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Mehrheiten müssen auch Minderheiten achten

Von Universitätsprofessorin Katharina Pabel, stellvertretende Vorständin des WU-Instituts für Europarecht und Internationales Recht.

Katharina Pabel ist stellvertretende Vorständin des WU-Instituts für Europarecht und Internationales Recht.
© Martin Eder

Bei der Gesetzgebung sind auch Minderheiten zu berücksichtigen.


In einem demokratischen System werden Entscheidungen durch die Mehrheit getroffen, in einer repräsentativen Demokratie, wie sie durch das Bundes-Verfassungsgesetz verwirklicht ist, durch Mehrheitsbeschlüsse im Parlament. Das Recht, das auf diese Weise geschaffen wird, geht (mittelbar) vom Volk aus, es ist von allen zu beachten.

Das Majoritätsprinzip ist der Kern des demokratischen Prinzips, den Hans Kelsen, der als Staatsrechtslehrer einer der "Architekten" der Verfassung war, aus der Idee der Freiheit ableitet. Eine Mehrheitsentscheidung hinzunehmen, auch wenn man sie inhaltlich nicht unterstützt, ist nicht immer einfach. Demokratie stellt aber auch die Erwartung auf, dass Mehrheitsentscheidungen akzeptiert werden - allerdings nicht, ohne die Minderheit zu schützen. Zum einen stellt gerade das parlamentarische Verfahren sicher, dass über Gesetzentwürfe öffentlich debattiert wird und auch die Parteien, die sich in der parlamentarischen Minderheit befinden, am Gesetzgebungsprozess beteiligt sind. Zum anderen bilden Grund- und Menschenrechte verbindliche inhaltliche Schranken für Mehrheitsentscheidungen des Parlaments, die Minderheiten schützen. Den Schutz von Minderheiten hat schon Kelsen als essenziellen Bestandteil der Demokratie angesehen. Von einer Diktatur der Mehrheit kann also keine Rede sein - nicht zuletzt, weil jede Mehrheit damit rechnen muss, sich bei der nächsten Entscheidung oder Wahl in der Minderheit (Opposition) wiederzufinden. Immer wieder wird diskutiert, wie die Bürger stärker an Entscheidungen beteiligt werden können. Das kann etwa durch Elemente direkter Demokratie erreicht werden.

Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass auch direkt-demokratische Entscheidungen Mehrheitsentscheidungen sind und sich folglich Fragen des Schutzes der unterlegenen Minderheit stellen. Auch andere Formen der Partizipation werden diskutiert und probiert, wie etwa die Mitwirkung und Proteste gegen Entscheidungen, man denke nur an die "Fridays for Future"-Bewegung. Diese finden - noch - außerhalb von verfassungsrechtlich vorgegebenen Prozessen statt. Die Entwicklung von Partizipationsformen und ihre aktive Wahrnehmung sind wesentliche Elemente, dass die Demokratie von allen Bürgern getragen wird. Sie können die Akzeptanz politischer Entscheidungen stärken.

Allerdings ist auch insofern durch entsprechende Verfahrensausgestaltung der Schutz der Minderheit und die letztliche Entscheidung der Mehrheit zu sichern, vor allem durch legitimierte RepräsentantInnen. Denn nicht die Lautesten und die Aktivsten sollen sich durchsetzen, sondern die Mehrheit - zur Verwirklichung der Freiheit nach der Idee von Kelsen.