Das Auslagern unliebsamer, anstrengender oder sonstwie problematischer Tätigkeiten ist eines der evolutionären Programme der Menschheit. Und wohl auch ihr Erfolgsrezept. Es reicht von ersten Ideen der Arbeitsteilung der Urmenschen bis zur Hyperspezialisierung der modernen Gesellschaft. Der Gedanke der Effizienz zieht sich durch etliche Stationen dazwischen - und hat sich nach und nach in allen Lebensbereichen als Maxime etabliert.
Auch sich selbst sucht der Mensch seit seiner Bewusstwerdung zu optimieren, effizienter zu machen. Durch die Steigerung von Lebenszeit und -qualität aufgrund medizinischen Fortschritts, mehr Kraft und Konzentration durch zielgerichtete Ernährung und Training; durch das Delegieren monotoner oder gefährlicher Tätigkeiten an immer komplexere Maschinen. Und schließlich durch die Vision der Kompensation der eigenen Mängel und Schwächen durch die Verschmelzung mit Technik. Alles inspiriert vom Gedanken des Fortschritts und der steten Weiterentwicklung.
Delegierte
Menschlichkeit
Virtuell gelebte Sexualität, Altenpflege mit Streichelrobotern, Fortpflanzung im Reagenzglas - auch vor dem Delegieren von zwischenmenschlichen Tätigkeiten an die Technik hat das große Auslagern nicht Halt gemacht. Doch wie viel Zwischenmenschliches lässt sich delegieren? Wo ist es hilfreich, auf Automatisierung zurückzugreifen? Wann entlastet es konkrete Beziehungen und damit letztlich die Gesellschaft in der Verantwortung dem Einzelnen gegenüber? Wo entsteht die Gefahr, Menschlichkeit an Maschinen zu delegieren? Und wie perfekt kann und darf der Einzelne dabei werden, ohne aufzuhören, Mensch zu sein?
Eine Tätigkeit an eine Maschine abzutreten, passiert meist aus einer Problemsituation heraus. Der Mensch gerät an Grenzen und entwickelt Technik, die ihn entlastet. Ein innerfamiliärer Streit um die Betreuung der Großmutter, gesellschaftlich betrachtet das Fehlen von Pflegekräften oder massive Überalterung sind solche Szenarien; ebenso wie nicht gelebte oder befriedigte Sexualität beziehungsweise basaler das Bedürfnis nach Zuneigung und Zärtlichkeit - sei es, weil Menschen keinen Partner finden, in komplexe Abhängigkeiten geraten oder ihre körperlichen Sehnsüchte aus anderen Gründen nicht leben können. Die zu Hilfe gezogene Technik - von der Sexpuppe bis zum Pflegeroboter - schafft hier maßgeschneidert Befriedigung im vielfachen Sinne.
Das Problem ist aus der Welt geschafft, so scheint es - und doch fängt es genau deshalb an, eines zu werden. Denn vom Konflikt, vom Problem befreit, ist jegliche zwischenmenschliche Interaktion auch ihres Motors beraubt. Denn ein Manko der Evolution hat die digitale Welt noch nicht gelöst: dass sich der Mensch erst im Spiegel erkennen, sich als eine soziale Tatsache erst im Blick des Anderen und in der Auseinandersetzung mit ihm entwickeln kann. Fallen diese, den eigenen Horizont erweiternden Hürden weg, droht die Gefahr der Regression und auch der emotionalen Gleichschaltung, der Simulation von Leben anstelle von echter Lebendigkeit. Keimfreie Lust hat wenig Reiz. Sie bedeutet auch, nicht an Auseinandersetzungen wachsen zu können, aus Fehlern lernen zu können, sich im Extremfall in unterkühlter Harmonie gar nicht mehr entwickeln zu können - an- und miteinander.
Die gar nicht perfekte Perfektion
Glück hat sich oft als das Überwinden von Hindernissen herausgestellt und nicht als der Wegfall ebendieser. Und das gilt nicht nur für das soziale Miteinander - sei es in der Sexualität oder in freundschaftlichen wie familiären Beziehungen. In lustvolles Staunen versetzt uns oft weniger die technische Perfektion als die elektrisierende Reibung daran; der Überraschungsmoment bereichert nachhaltig mehr als präzise Planbarkeit. Nicht alles, was sich perfektionieren lässt, muss auch perfektioniert werden. Und technische Verbesserung hat sich in vielen Bereichen negativ auf die Lebensqualität ausgewirkt. An diesen vielleicht erst auf den zweiten Blick bestechenden Erkenntnissen wird sich nicht erst 2050 zeigen, wie es künftig um die Menschlichkeit - und damit letztlich die Menschheit - stehen wird. Das Streben nach Effizienz wird der Mensch aus seinem Evolutionscode nicht streichen können. Sehr wohl jedoch die (bisher durchaus bewährte) Gleichsetzung von Optimierung mit technischem Fortschritt.
Das allzu Menschliche nicht an Maschinen zu delegieren, sondern Technik in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen - das könnte aus dem oft stilisierten Kampf Mensch gegen Maschine eine positive Form der Symbiose schmieden. Zukunft ist dann nichts mehr, dem der Mensch hilflos ausgeliefert ist. Er hat sich ja die technischen Mittel geschaffen, sie nach seinen Wünschen mitzugestalten.