

Die große Eishalle, die im Community Center im Herzen des Kleinstädtchens liegt, wurde kurzerhand zum Kühlhaus für Lebensmittel umfunktioniert, erzählt Kevin Waterman, der heute immer noch für die Kühlung der Halle zuständig ist.
Eilig wurden provisorische Telefonleitungen verlegt, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, mit ihren Angehörigen Kontakt aufzunehmen. In der Stadtbibliothek von Gander wurden einige Computer mit Internetzugängen aufgestellt. Heute noch erinnern Gästebucheinträge an die damalige Zeit. "Wir hatten Gäste aus Kenia, Uganda, Costa Rica, aus vielen europäischen Ländern, aus Südamerika und natürlich viele US-Amerikaner", erzählt Bibliotheksmanagerin Pat Parsons.
Viele Passagiere waren um ihre Familien besorgt. Schrecklich war etwa das Schicksal des Ehepaars Dennis und Hannah ORourke, deren Sohn Kevin Feuerwehrmann in Manhattan war. Bis zum Ende des Aufenthalts in Gander konnten sie keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. In den bangen Stunden des Hoffens kümmerte sich Beulah Cooper um die beiden und nahm sie bei sich auf. Noch heute ist Frau Cooper sichtlich gerührt, wenn man sie darauf anspricht. Erst fünf Tage nach dem Terroranschlag - und nach ihrer Ankunft in New York - erfuhren die beiden, dass ihr Sohn in den Trümmern des World Trade Center umgekommen war.
Die Frauen in Gander haben Unglaubliches geleistet, da jeder Fluggast kostenfrei versorgt wurde. Stundenlang haben sie damit zugebracht, Eintöpfe zuzubereiten oder Muffins zu backen. Um die Passagiere zu den Unterkünften zu bringen, unterbrachen die Schulbus-Chauffeure, die gerade nach gescheiterten Lohnverhandlungen in Streik getreten waren, sogar ihren Protest. "Wir wussten, dass wir etwas zu tun hatten. Und das haben wir gemacht", sagt der ehemalige Buschauffeur Garry White. "Nachdem die gestrandeten Passagiere abgeflogen waren, haben wir wieder gestreikt. Unsere Forderungen wurden dann auch erfüllt."
"Die Hilfsbereitschaft der Menschen in Neufundland ist unfassbar", schrieb ein Passagier in einem Dankesbrief an die Gemeinde. In drei großen Ordnern sind die Briefe gesammelt und liegen im Foyer des Rathauses auf. "Bewohner haben uns die Haustüre geöffnet und uns auf eine warme Dusche herein gebeten", schreibt ein anderer. "Wenn man zu Fuß auf der Straße ging, hielten Autos an und fragten, ob man mitfahren wolle", schildern die beiden Österreicher.
Keiner wusste, wie lange der "Zwangs-Aufenthalt" in Neufundland schließlich dauern würde. Zuerst dachte man, dass der US-Luftraum nach zwei Tagen wieder geöffnet sein würde. Bei zahlreichen europäischen Airlines wurde auch darüber nachgedacht, aufzutanken und wieder nach Europa zurückzufliegen. Nach der zweiten Nacht war den meisten klar, dass sich der Aufenthalt etwas hinauszögern werde. "Man versuchte uns bei Laune zu halten", erzählt Luxner.
"Es gab die Möglichkeit, mit Locals im Gander-Lake zu angeln oder einen Ausflug in die Wildnis zu unternehmen. Am Abend gab es Bingo oder Karaoke. Damit wir nicht die ganze Zeit über das gleiche Gewand tragen mussten, richtete man Kleiderkörbe ein, in denen man sich frei bedienen konnte."
Die Versorgung und die Bestellung von Nahrungsmitteln waren für die Ladenbetreiber in Gander Schwerarbeit. Das bestätigt auch der Chef des lokalen Coop-Markts, Morley Goodyear. Damit es zu keinen Engpässen kam, stand er drei Tage und drei Nächte durchgängig im Dienst. Die starke Belastung führte zu einem totalen Zusammenbruch. "Ich wurde ins Krankenhaus gebracht, musste drei Tage dort bleiben, und dann folgten noch zwei weitere Wochen Zwangspause", erzählt Goodyear.
"Wir haben versucht, wirklich alles Menschenmögliche zu tun", sagt er weiter. "So kam eine muslimische Familie zu uns und bat um Halal-Food. Nach langen Telefonaten mit einem Muslim in der Inselhauptstadt St. Johns konnten wir die geeigneten Nahrungsmittel schließlich besorgen."
Rührende Geschichten
Bürgermeister Elliott hat heute noch Tränen in den Augen, wenn er die Geschichte mit den krebskranken Kindern erzählt, die auf dem Weg nach Disneyland waren. "Eine junge Frau hat sich um sie gekümmert und versucht, sie zu unterhalten", erzählt Elliott. "Das Rührende an dieser Geschichte war der Satz eines der Kinder, dass Gander viel schöner sei als Disneyland."
"Gander hat Menschen zusammengeschweißt", sagt Beulah Cooper. Es gab keinen Unterschied, ob ein Passagier in der ersten Klasse oder Economy gereist ist. Alle wurden gemeinsam in den Schlafsälen untergebracht. Wer die Dankesbriefe im Rathaus oder in der öffentlichen Bibliothek liest, entdeckt etwa ein Schreiben der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, die ebenfalls im Lufthansa-Jumbo auf dem Weg nach New York war. Die Lufthansa hat im Mai 2002 einen Airbus A340 auf den Namen "Gander/Halifax" getauft - als offizielles Dankeschön an die lokale Bevölkerung.
Der damalige Hugo-Boss-Chef Werner Baldessarini war ebenfalls ein gestrandeter Passagier in Gander. Auch er verfasste einen liebenswerten Brief, in dem er sich für die Unterstützung bedankte.
Schlendert man heute - zehn Jahre nach 9/11 - durch die Straßen von Gander und fragt Menschen nach den damaligen Ereignissen, sind viele immer noch gerührt. Fast jeder weiß Geschichten zu erzählen. So gab es in Lewisporte eine Frau aus Texas, die einen Mann aus Schottland kennen lernte. Die beiden haben geheiratet und ihre Hochzeitsreise in Neufundland verbracht. Liebenswert ist auch die Story von Bonnie Harris von der "Society for the Protection of Cruelty to Ani-mals", die sich um die Tiere, die in den Frachträumen der 39 Großraumflugzeuge untergebracht waren, kümmerte. Darunter war ein seltenes Schimpansenpärchen, das für einen Zoo in den USA bestimmt war.