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Der tödliche Wert des Elfenbeins

Von Siobhán Geets

Artenschutz

Wenn nicht bald etwas geschieht, könnte es bald keine Elefanten mehr geben, warnt Regisseur Richard Ladkani.


Wien. Es war die größte Menge an Elfenbein, die je sichergestellt wurde - nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten Europäischen Union. In zwei kleinen Wohnungen in der Josefstadt, in Decken eingewickelt und hinter Kästen versteckt, fanden Zollfahnder diese Woche 90 Stoßzähne mit einem Gesamtgewicht von mehr als 560 Kilogramm. Die Ermittler vermuten, dass das Elfenbein nach Asien verschifft hätte werden sollen. China und Vietnam sind hier die größten Märkte.

In ihrem eben auf Netflix erschienenen Dokumentarfilm "The Ivory Game" spüren der österreichische Filmemacher Richard Ladkani und sein US-amerikanischer Kollege Kief Davidson dem mafiösen Geschäft nach. In Tansania begleiten sie Soldaten bei der Jagd auf Wilderer, in China und Vietnam legen sie sich mit Elfenbeinhändlern an.

"Wiener Zeitung": Ihr Film zeichnet ein düsteres Bild. Wann wird der letzte frei lebende Elefant sterben?

Richard Ladkani: Hoffentlich ist es mit dem Töten nächstes Jahr vorbei. Mit unserem Film wollen wir eine Kehrtwende erreichen. Die aktuellen Hochrechnungen sind aber beängstigend. Demnach gibt es noch 352.000 Elefanten in Afrika. Die Todesrate liegt bei 35.000 pro Jahr. Da kann man sich leicht ausrechnen, wann die Elefanten ausgestorben sind. Das darf einfach nicht passieren.

Die Gewinnspanne beim Elfenbeinschmuggel ist enorm. Wie funktioniert dieses System?

Die Schmuggler sind auf allen Ebenen bestens organisiert. An vorderster Front stehen die Wilderer. Sie verkaufen das Kilo um bis zu zehn Dollar an einen Mittelsmann. Der erzielt in der Hauptstadt schon einen Kilopreis von 300 Dollar. Dort wird alles auf Containerschiffe verladen. Von Singapur, Hongkong, Bangkok, geht es dann entweder direkt nach China weiter oder durch Transitländer wie Vietnam. Für den Film drehten wir auch dort, an der chinesischen Grenze. In Vietnam lag der Preis für Rohelfenbein schon bei 1500 Dollar. Erreicht es China, geht der Preis auf 2300 Dollar hoch. Wird das Elfenbein dann geschnitzt oder poliert, beginnt der Kilopreis bei 3000 Dollar und geht hinauf bis 20.000, 30.000 Dollar. Wenn eine Kunstfigur daraus geschnitzt wird, kann ein 15 Kilogramm schwerer Stoßzahn schon mal 300.000 Dollar erreichen. Das ist wirklich phänomenal.

Sie haben viel mit versteckter Kamera gedreht. Wie gefährlich waren die Dreharbeiten?

Das war bei Weitem das Gefährlichste, was wir je gemacht haben. Wir hatten mit Wilderern zu tun, die nicht zögern, zuerst zu schießen. Ein Wilderer, der in Tansania verhaftet wird, wandert bis zu 40 Jahre ins Gefängnis. Solche Leute erschießen lieber diejenigen, die sie jagen, bevor sie geschnappt werden. Wenn wir mit der Tanzanian Taskforce unterwegs waren und mit Soldaten Dörfer stürmten, mussten wir kugelsichere Westen tragen. Aber es war auch nicht einfach, in Asien zu operieren. Wir waren undercover in Hongkong, Vietnam und China. Dort haben wir unter dem Radar gearbeitet, also ohne Genehmigung - und mussten uns einerseits vor den Dealern in Acht nehmen, andererseits vor der Regierung, die natürlich nicht wollte, dass da jemand mit versteckten Kameras agiert. Kommt es zur Festnahme, wird man schnell der Spionage angeklagt. Wir mussten sehr vorsichtig sein.

In Tansania sind Sie einem "Shetani" ("der Teufel") genannten Mann auf den Fersen. Er soll 10.000 Elefanten auf dem Gewissen haben und etliche Kartelle kontrollieren.

Im Film wird der Pablo Escobar der Elefantentöter gejagt. Als wir von ihm hörten, war das für uns Filmemacher ein gefundenes Fressen: Die Behörden jagen jemanden wie in einem Hollywood-Film, der noch dazu so einen bezeichnenden Namen hat. Das war eine sehr spannende Sache. Wir konnten nie wissen, ob sie ihn wirklich bekommen werden.

Dabei ist er wahrscheinlich nur einer von vielen...

Ja, aber die Tansanier sind zuversichtlich, dass sie zumindest die großen Fische fangen und die großen Handelsbewegungen in ihrem Land aufhalten können. Sie haben in den vergangenen drei Jahren 1700 Wilderer festgenommen und immer noch eine Liste von 1300 Personen, die sie schnappen wollen. Es sind riesige Netzwerke aktiv, aber die Tanzanian Taskforce ist extrem erfolgreich. Sie hofft, den Kampf zu gewinnen.

Das ist gut für Tansania. Aber ist das Problem damit gelöst?

Nein, die Wilderer weichen einfach aus, ins südliche Afrika, nach Botswana, Simbabwe, Sambia. Dort sind die Behörden noch unvorbereitet. Die Welle schwappte von Zentral- nach Ostafrika und nun nach Südafrika. Sambia wird gerade sehr stark getroffen.

Der illegale Handel mit Elfenbein kennt keine Grenzen. Kooperieren die betroffenen Staaten?

Die Länder arbeiten viel zu wenig oder gar nicht zusammen. Die kenianischen Behörden hatten zum Beispiel keine Ahnung, was die Taskforce in Tansania macht - und umgekehrt. Tansania nahm während unserer Dreharbeiten Kontakt zu Sambia auf und hatte zum ersten Mal mit dem Chef des Geheimdienstes für Wilderei zu tun. Dabei wäre zwischenstaatliche Kooperation extrem wichtig. Doch die Länder begegnen sich sehr misstrauisch und teilen ungern Geheimdienstinformationen. Vor allem, weil die Wilderer und Schmuggler oft Kriminelle sind, die in den Menschen-, Waffen- und Drogenhandel verwickelt sind. Es handelt sich also um extrem sensible Daten.

Hängen Waffenhandel, Terrorismus und Elfenbeinschmuggel zusammen?

Die Al-Shabaab-Terroristen, die mit dem IS verbündet sind, finanzieren ihre Waffenkäufe durchaus mit Elfenbein. Es gibt hier direkte Verbindungen, das kommt auch im Film vor. Wir hatten selber keinen unmittelbaren Kontakt mit Al-Shabaab-Terroristen - glücklicherweise -, aber es werden immer wieder Wilderer festgenommen, die zugeben, für den Dschihad aktiv zu sein und mit Elfenbein zu handeln, um Waffen zu kaufen. Einer unserer Protagonisten, Andrea Crosta von Wild Leaks, hat in Somalia an der kenianischen Grenze recherchiert und mit versteckter Kamera festgestellt, dass es Zusammenhänge gibt. Wir wissen das auch aus Geheimdienstkreisen.

Wie hat sich der Markt für Elfenbein entwickelt?

Entscheidend war 2008, als unter dem Washingtoner Artenschutzabkommen ein einmaliger Verkauf von 105 Tonnen Elfenbein nach Asien genehmigt wurde. Botswana, Namibia und Südafrika sollten den Erlös nutzen, um ihren eigenen Elefantenbestand zu schützen. Alle hielten das für eine gute Idee. Doch die Chinesen haben das Elfenbein übernommen und lassen seither jährlich fünf Tonnen in den legalen Markt fließen. Dieses Elfenbein wird dann geschnitzt und in China verkauft. Jetzt haben aber die Luxusshops und Händler bemerkt, wie einfach sich ein Zertifikat, das Elfenbein als legal ausweist, fälschen lässt. Sie nehmen einen illegal importierten Stoßzahn und machen daraus die gleiche Schnitzerei. So können sie unter dem Deckmantel der Legalität agieren, das Zertifikat unendlich oft vervielfältigen - und so das Hundert- oder Tausendfache verdienen. Mit dem legalen Verkauf wurde der illegale Markt belebt.

Gibt es Hoffnung auf einen Mentalitätswandel in China?

Wenn der Handel in China nicht verboten wird, haben die Elefanten keine Chance. Am Ende des Films verkündet der chinesische Präsident Xi Jiping zusammen mit US-Präsident Obama, den Elfenbeinhandel beenden zu wollen. Das war vor einem Jahr. Sie haben also durchaus wahrgenommen, dass es nicht sinnvoll ist, den Handel weiter zu betreiben, weil der Imageschaden zu groß ist. Elfenbein ist ja auch wirklich nicht so wichtig, als dass man sich das alles antut. Es ist nicht Gold, es ist kein Rohstoff, kein Öl oder Gas. Elfenbein ist nur ein Luxusobjekt, das sich manche Reiche auf den Kaminsims stellen wollen.

Das Ganze geht also in die richtige Richtung?

Das Problem ist, dass auch ein Jahr nach der Ankündigung nur von einer Absicht gesprochen wird. Es wurde kein Zeitrahmen genannt. Im Juli hat Hongkong zumindest den ersten Schritt gemacht: Sie planen, den Elfenbeinhandel bis 2021 in Hongkong zu beenden. Das ist aber immer noch kein Gesetz. Selbst wenn China den Handel in fünf Jahren beenden würde, würden noch einmal 150.000 bis 170.000 Elefanten sterben. Experten prognostizieren auch, dass die Wilder, sobald es diese Deadline gibt, versuchen werden, das große Geschäft zu machen. Wenn sie wissen, dass sie noch fünf Jahre haben, dann wird das Abschlachten möglicherweise noch einmal dramatisch zunehmen. Weil sie wissen: Fünf Jahre können wir noch Geld machen, dann ist es vorbei.

Für die Elefanten sieht es also so oder so schlecht aus?

Die Frage ist, wie schnell dieses Verbot kommt. All das, was in Afrika passiert und was wir in unserem Film zeigen, sind nur Methoden, um das Abschlachten zu verlangsamen. Sie können es nicht aufhalten. In Afrika sind viele arme Leute bereit, für zehn Dollar pro Kilo einen Elefanten zu töten. All die Helikopter, die Drohnen, die Ranger haben keine Chance gegen den armen Mann, der bereit ist zu töten, um damit ein bisschen Geld zu machen.

Das Washingtoner Artenschutzabkommen von 1989 verbietet den Elfenbeinhandel. Dennoch wird weiter gehandelt - auch in Europa.

Man muss sich schämen, dass man in Österreich, Deutschland, England noch Elfenbein kaufen kann. Die Tatsache, dass es überhaupt noch Handel gibt, dass zum Beispiel in einem Antiquitätengeschäft in Salzburg zwei Meter lange Stoßzähne in der Auslage liegen, direkt im Stadtzentrum, das ist das falsche Signal. Es sagt: Elfenbein hat einen Wert, Elfenbein ist kostbar, Elfenbein ist etwas, was man bewundern soll. Und genau das besiegelt das Schicksal der Elefanten. Solange Elfenbein diese Wertschätzung hat, solange es etwas Kostbares ist, werden die Leute es kaufen oder gegebenenfalls zurücklegen und hoffen, dass sie es eines Tages zu Geld machen können. Genau das passiert in China: Eine Ermittlung von Wild Leaks hat ergeben, dass dort über 1000 Tonnen Elfenbein in Lagern gehortet werden - in der Hoffnung, dass die Elefanten aussterben und diese Tonnen dann Milliarden bringen. Der Begriff hierfür lautet "Betting on Extinction". Es ist eine Wette aufs Aussterben.

Der Elefant ist ein wahnsinnig symbolträchtiges Tier. Auch Politiker schmücken sich mit Elefantenschutz. Hilft das nicht?

Politiker nutzen immer die Gunst der Stunde, fragen sich, wie sie Wählerstimmen kriegen. Mit Elefantenpopulationen sind keine Wahlen zu gewinnen, außer man kann die Öffentlichkeit wachrütteln. Die Leute müssten sagen: Wir können nicht zulassen, dass das symbolträchtigste Tier der Welt, der Elefant, der Liebling aller Kinder, vor unseren Augen ausstirbt, weil manche Chinesen sich in Afrika daran bereichern wollen oder es toll finden, Elfenbein in ihre Wohnzimmer zu stellen. Das ist ein Symbolproblem, das wir lösen müssen. Schaffen wir es nicht, den Elefanten zu retten, dann können wir doch nicht ernsthaft glauben, all die anderen Probleme zu lösen, die uns auf der Welt beschäftigen, den Klimawandel zum Beispiel. Den Elefanten zu schützen wäre so einfach: Der chinesische Präsident muss den Handel verbieten. Dann hätten wir die Elefanten gerettet. Die Macht, die ein einziger Mensch hier hat, ist unglaublich.

Für Ihren Film wählten Sie den Vertrieb über einen großen Streamingdienst. Worin liegen die Vorteile gegenüber dem Kino?

Die Regisseure Ladkani (r.) und Davidson (l.) mit Produzent Leonardo DiCaprio.
© Terra Mater Factual Studios

Wir wollen mit unserem Film eine breite Masse erreichen. Deshalb ist Netflix für uns so attraktiv. Es ist in 190 Ländern abrufbar, hat 86 Millionen Zuseher und eine wahnwitzige Medienmaschine hinter sich. Das war genau das Richtige, um den Nerv der Zeit zu treffen - weltweit an einem einzigen Tag zu erscheinen, um Aufsehen zu erregen. Und genau das erreichen wir auch. Wir hoffen, dass auch bald Politiker sagen: Das ist ein Thema, mit dem kann ich Wahlen gewinnen - wir müssen Druck machen und lauter werden.

Wird der Film auch in China laufen?

Das ist das Problem: Netflix darf in China nicht ausstrahlen. Aber der Film wird in Hongkong und Taiwan auf Chinesisch gezeigt. Alleine in Hongkong gibt es Millionen Chinesen. Dazu kommen all die Chinesen, die im Ausland leben. Wir hoffen, dass die Strahlwirkung auf China ausreicht, um das Interesse der Behörden zu wecken. Wir versuchen auch, den Film über spezielle Filmfestivals und Streamings nach China zu bekommen. Wir arbeiten mit allen Mitteln.

Richard Ladkani, Jahrgang 1973, ist ein Regisseur und Filmemacher. Zahlreiche seiner rund 50 Dokumentarfilme haben Preise gewonnen, darunter "Vatikan - The Hidden World" über die Geheimnisse im kleinsten Staat der Welt und "The Devil’s Miner" über Kinder, die in Bolivien in Minen schuften. Mit "The Ivory Game" ist ihm ein investigativer Krimi rund um den weltweiten Elfenbeinschmuggel gelungen.

Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Artenschutz.