Ärzte der Wiener Kinderklinik im Jahr 1933, Hans Asperger in der ersten Reihe rechts. - © Foto: Sammlungen und Geschichte der Medizin Medizinische Universität Wien
Ärzte der Wiener Kinderklinik im Jahr 1933, Hans Asperger in der ersten Reihe rechts. - © Foto: Sammlungen und Geschichte der Medizin Medizinische Universität Wien

Man muss nicht Asperger heißen, um ein Asperger zu sein. Denn für viele Jugendliche und Erwachsene mit dieser seltenen und leichten Form des Autismus ist die Bezeichnung "Aspie", kurz für Asperger, eine Möglichkeit zur Selbstbehauptung, zur Identifikation, mittels derer sie sich gegenüber den "Neurotypischen", wie sie Nichtautisten gerne nennen, abgrenzen. Der Psychologe Tony Attwood etwa ist bekannt dafür, dass er seinen Patienten die Diagnose "Asperger-Syndrom" üblicherweise mit den Worten "Gratulation - Sie haben Asperger!" einleitet. Vor allem im englischsprachigen Raum ist der Name populärkulturell weit verbreitet, meist gekoppelt an den Mythos vom genialen, überdurchschnittlich intelligenten Autisten.

Der österreichische Kinderarzt Hans Asperger (1906-1980) widmete sich an der Heilpädagogischen Abteilung der Wiener Universitätskinderklinik besonders diesen gesellschaftlichen Außenseitern. "Kleine Professoren" nannte er seine Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen und 1938 beschrieb er erstmals in Fallstudien ihr eigentümliches Verhalten und ihre Schwierigkeiten. 1943 verfasste er darüber seine Habilitation, viele der darin beschriebenen Zustandsbilder gelten heute noch als gültig. 1991 nahm die Weltgesundheitsorganisation das Asperger-Syndrom in die "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" (ICD) auf.

Wissen und Handeln

Trotz des heute weltweit verbreiteten Begriffs "Asperger-Syndrom" weiß man aber nur sehr wenig über den Namensgeber, vor allem, was dessen Arbeit während des Nationalsozialismus betraf. Denn sowohl aufgrund der engen Zusammenarbeit zwischen der Kinderklinik und der "Jugendfürsorgeanstalt Am Spiegelgrund" als auch in seiner Funktion als Gutachter während des Nazi-Regimes hat Asperger mit Sicherheit vom menschenverachtenden Umgang mit psychisch Kranken und Behinderten gewusst. Aber inwieweit hat er diesen auch vertreten und danach gehandelt?

Hört man von Hans Asperger während der NS-Zeit, so dominiere meist eine leicht apologetische Haltung, betont der Zeithistoriker Herwig Czech im Interview. Asperger habe eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Perspektive eingenommen, die nicht in Einklang mit der auch an der Wiener Universitätsklinik verbreiteten Ideologie des "lebensunwerten Lebens" gestanden wäre, heißt es in diesem Zusammenhang immer wieder.

Als Beleg dafür wird vor allem ein Vortrag Aspergers im Oktober 1938 genannt. Darin sprach er sich unter anderem dafür aus, autistische Kinder zu fördern und generell alle geistig Behinderten nicht bloß in Fragebögen, sondern in ihrer gesamten Persönlichkeit zu erfassen. "Bevor man das zu einem Akt des Widerstands stilisiert, muss man wissen, dass die Förderung der förderungswürdigen Kinder mit der Praxis der Heilpädagogik im Nationalsozialismus durchaus im Einklang war", betont Czech. "Das war auch das deklarierte Ziel von denjenigen Ärzten, die im Zentrum des Euthanasie-Komplexes standen: Es ging immer darum, diejenigen, bei denen man sich einen Nutzen von Therapien und Förderungsmöglichkeiten versprach, von denen zu scheiden, wo diese Bemühungen fruchtlos schienen. Dieses Werturteil kam in der Selektion oder im Gutachten zum Ausdruck: Ist es gerechtfertigt, ist es aussichtsreich, ein bestimmtes Kind zu fördern oder nicht?"

Die historischen Quellen zeigen, dass Asperger durchaus nicht in einer grundsätzlichen Oppositionshaltung zur offiziellen Linie der "Rassenhygiene" stand. Einmal legt er ein klares Bekenntnis zum Programm des NS-Regimes ab, dann wieder relativiert er. Rückhaltlose Begeisterung wird nicht sichtbar. Czech: "Seine Prioritäten waren sicher andere als jene der offiziellen Rassenhygiene", vermutlich dieselben wie vor 1938 - und auch nach 1945: seine Patienten."

Titelblatt der Habilitation von Hans Asperger. - © J. Kerviel
Titelblatt der Habilitation von Hans Asperger. - © J. Kerviel

Asperger stellte sich vor allem auf die Seite einer relativ kleinen Gruppe von Patienten und Patientinnen, für die er die Bezeichnung "autistische Psychopathen" verwendete. Bei Diagnosen und Syndromen mit schlechterer Prognose zögerte er hingegen nicht, das auch zu sagen, so Czech. In einem Fall lässt sich ganz konkret nachvollziehen, dass er 1941 ein Mädchen mit diagnostizierter Postenzephalitis (d.h. das Gehirn erlitt durch Entzündung Schädigungen) auf den Spiegelgrund schickte. Es kam dort um. Offenbar gab es in diesem Fall auch ein stilles Einverständnis mit der Mutter, das Kind diskret zu beseitigen.

Von der Universitäts-Kinderklinik wurden viele Kinder auf den Spiegelgrund überstellt, ein Teil davon waren auch Patienten und Patientinnen von Asperger. "Was Überstellungen aus der heilpädagogischen Abteilung Aspergers angeht, weiß man bisher von sieben oder acht Kindern. Bis auf das erwähnte Mädchen haben diese den Spiegelgrund überlebt."

Clemens  von Pirquet - © Wikicommons
Clemens  von Pirquet - © Wikicommons

Die Heilpädagogik

Die heilpädagogische Station hatte Erwin Lazar in den 1920er Jahren aufgebaut, und zwar als Abteilung der Wiener Universitätskinderklinik, geleitet von Clemens von Pirquet (1874-1929). Heilpädagogik war damals schon ein interdisziplinäres Fach, das sich zwischen Psychiatrie, Pädagogik und Kinderheilkunde bewegte. Nach Lazars Tod übernahm Valerie Bruck kurzfristig die Leitung der heilpädagogischen Abteilung. Sie war wie Hans Asperger Mitglied der St. Lukas Gilde, einer Ärztevereinigung, die katholische Eugenik propagierte: Diese verfolgte eine Aufwertung des Erbgutes und die Vermeidung von Erbkrankheiten innerhalb des Rahmens der katholischen (Sexual-)Ethik.