Als wir noch jung und furchtlos waren, aber uns vor allem das Geld zum Reisen fehlte, war Autostopp eine willkommene Möglichkeit, in ferne Städte zu gelangen. Venedig, Ljublijana, Dublin, Bern, Barcelona sind einige Stationen, an die ich mich erinnere. Interessante Begegnungen waren immer dabei, manchmal auch gruselige. Wir waren zwei Schülerinnen, 16 und 18 Jahre alt, unterwegs auf den Straßen Europas. Zerfetzte Jeans, Nirvana-T-Shirts, dick geschminkte Augen und Tschick im Mund. Grunge, Baby.

Im Nachhinein betrachtet verstehe ich mein 18-jähriges Ich, den Eltern zu verschweigen, dass wir von Abenteuerhunger getrieben in Fahrzeuge fremder Leute stiegen. In brenzligen Situationen hätten wir damals nicht einmal ein Handy für Notrufe gehabt. Ende der Neunziger Jahre hieß die Alternative schreien oder laufen. Wir waren bereit, beides zu tun. "Wird schon nix passieren", sagten wir uns furchtlos vor. Also machten wir uns auf.

Besonders gerne denke ich an die Trips in ost- und südeuropäischen Ländern zurück. Da bremsten auf der Autobahn die Auto- und LKW-Fahrer so häufig, dass es manchmal nicht für eine Zigarettenpause reichte. "Ich freue mich immer, wenn ich Autostopper mitnehmen kann", hörten wir häufig die LKW-Fahrer sagen. Das Leben auf der Autobahn ist einsam. Gelegentliche Pausen auf Raststationen nutzen die Trucker zum Schlafen oder Essen. Der Mensch versinkt in seiner Gedankenwelt, grübelt und hat kaum soziale Interaktionen. Also fuhren wir oft bei Truckern mit. Wenn es Nacht wurde, schliefen wir abwechselnd in der "Koje" hinter dem Fahrersitz. Ausnahmslos alle LKW-Fahrer, die wir auf den Autobahnen Europas kennenlernten, waren herzliche Typen zum Teil mit hohem Unterhaltungswert.

Meiner höchst subjektiven Europa-Statistik zufolge waren Schweizer und irische Autofahrer die größten Autostopp-Muffel. Mal warteten wir sechs oder sieben Stunden, ein anderes Mal gingen wir die Strecke zu Fuß – vorausgesetzt sie war kurz. In Irland war das möglich. Ganz nachvollziehen kann ich die Aversion, Anhalter mitzunehmen, nicht. Hat man Angst, Opfer eines Raubzugs oder Gewaltverbrechens zu werden? In den meisten Fällen wollen die Leute wohl ihre Ruhe haben.

Beim Abrufen der 20 Jahre alten Erinnerungen sehe ich nur Männer. Wir waren zwei junge Mädels, da wird man eher mitgenommen. Der Vorteil kann aber schnell zum Nachteil werden. Zum Beispiel, als uns ein verschwitzter ungepflegter Kerl nach einer mehrstündigen Wartezeit von der Autobahnraststation erlöste. Tipp: Wenn du mit einem mulmigen Gefühl in das Auto eines Fremden einsteigst, lass es am besten sein. Es war bereits dunkel geworden, als der Mann nach etwa einer halben Stunde eine Abfahrt von der Autobahn nahm. Kurz stockte es mir den Atem. Ich weckte meine Freundin und konnte gerade noch die Frage deponieren: "Wohin fahren Sie?!", da sah ich eine Waldlichtung. Er hielt an. Mein Puls raste, Panik stieg in mir auf. Ich wartete seine Antwort nicht ab und begann zu schreien, er solle uns wieder zurück zur Raststation bringen. Er sprach ruhig und drehte sich langsam um. Er möchte uns nichts tun und habe nur eine Bitte: Uns unsere gebrauchte Slips abkaufen."Ah eh nur! Bist deppert?", lautete die wenig diplomatische Antwort meiner Freundin. Ich lachte – trotz der Ernsthaftigkeit unserer Lage. Die Panik war weg, der Mann schien harmlos. Ja, harmlos wie Prikopil, denke ich heute zwei Jahrzehnte später. Ich glaube, es war ihm unangenehm. Schließlich kehrte er um, brachte uns wortlos in den nächsten Ort und entschuldigte sich mit zwei Zwanzigern bei uns.

Trotz des Vorfalls bereue ich das Trampen nicht. Es waren immer spannende Begegnungen. Heute ist das Risiko dank Handy außerdem wesentlich kleiner. Probiert es - und nehmt genügend Unterwäsche mit.