Gott sagte zu Abraham: Töte mir deinen Sohn. Abe sagte: Mensch, was tust du mir da an? Gott sagte: Na schön, du kannst machen, was du willst, doch das nächste Mal, wenn du mir unter die Augen trittst, nimmst du besser die Beine in die Hand. Abe sagte: Okay, also wo willst du dieses Killing haben? Gott sagte: Wo schon? Draußen auf dem Highway 61. (Das ist keine wortgetreue Übersetzung, ich versuche nur den Duktus dieser Verse ungefähr wiederzugeben, ohne musikalische Begleitung.)

Der Song "Highway 61", eine Art lyrischer Episoden-Film, wirbelt um Garth Hudsons Jahrmarktsorgel herum, als hätten sich alle Derwische aus Radschastan ein Stelldichein gegeben. Aber auf der Platte, auf der dieser Song zum ersten Mal erschienen ist und die nach ihm benannt wurde - "Highway 61 Revisited" aus dem Jahr 1965, die nach dem Urteil vieler Kritiker als die beste Rock-Platte der 60er Jahre gilt -, spielt dieser Song eine eher untergeordnete Rolle. Der wichtigste Song darauf heißt "Like A Rolling Stone". Er ist der Klassiker der 60er Jahre, definiert diese Epoche auf Jahre hinaus, weit mehr als etwa "Satisfaction" von den Rolling Stones.

Aber natürlich bedeutet der Titel zunächst genau das, was damals jeder darunter verstanden hat. Als ob Bob Dylan, der Folkie mit Gitarre, jetzt den Rock "wie einer von den Rolling Stones" spielte, der damals neben den Beatles bekanntesten Rock-Gruppe der Welt. Ein "rolling stone" ist jedoch im Wörterbuchsinn auch "ein rollender Stein" - also "jemand, der ein unstetes Leben führt" . Das war die Bedeutung, die dem Titel "Rolling Stone Blues" von Muddy Waters zukam.

Junge Stones und alte Männer

Für die Rolling Stones war es ein Glück, dass sie sich gerade von diesem Altmeister des Blues zu ihrem Band-Namen inspirieren ließen. Sie hätten sich, als Rock&Roll-Band, auch anders nennen können, z. B. die "Rolling Rocks". Zufällig und zum Glück wählten sie aber stattdessen diesen kleinen Wortwitz, "Rolling STONES" und trafen damit - in dem Wort "Steine" - eines der Ur-Symbole der Menschheit, das bis ins Paläolithikum, bis in tiefste mythische Bedeutungsschichten hinabreicht.

Die Stones, diese jungen Burschen aus England, spielten zunächst auch die Musik ganz alter Männer aus Amerika nach, jener Weisen des schwarzen Blues, die um die gleiche Zeit, ab 1962, beim alljährlichen American Folk Blues Festival, in schwarze Bühnen-Anzüge gekleidet, von deutschem Konzertpublikum beklatscht und von deutschen TV-Anstalten für die Nachwelt konserviert wurden. Erst durch die Berührung mit dem solcherart gespeicherten Wissen vieler Generationen konnten die jungen Schnösel als Musiker erscheinen, deren Kenntnis der Welt die Zahl ihrer tatsächlich gelebten Jahre um ein Vielfaches übertraf. Die Rolling Stones traten, wie Kinder in der Verkleidung mit Zylinder und Gamaschen, als alte und welterfahrene Männer auf, bevor sie richtig erwachsen waren.

Bob Dylan kannte dieses Gefühl. Er hatte selbst auf seiner ersten Platte einen uralten Blues-Mann gespielt. Erst später, nachdem er begonnen hatte, seine eigenen Songs vorzutragen, getraute er sich, zuzugeben: "Ich war damals noch sehr viel älter, aber jetzt bin ich viel jünger als damals." Viele Rock-Musiker erlebten damals einen solchen beschleunigten Wurf in die Erwachsenenwelt, und erst später holten sie den Reifeprozess nach. Manche überlebten ihn nicht oder nur in beschädigter Weise. Die Beatles schafften es erst mit "A Hard Days Night", einen Song zu schreiben, in dem sie nicht mehr ihre Vorbilder imitierten, sondern eine wirklich eigene Aussage trafen - und in dem sie ausdrückten, wie es sich anfühlte, selber erwachsen zu werden. Die Stones erreichten diesen Punkt, eher zufällig und ohne es zunächst zu erkennen, mit "Satisfaction" - und später noch einmal mit "Gimme Shelter".

Dylan, der sich die Masken unzähliger anderer Künstler angelegt hatte, schaffte es mit einem Song in der zweiten Person Singular. Wen sprach er da an? Wer war es, der hier auf so unsanfte Weise in der schnöden Erwachsenenwelt begrüßt wurde? War es sein eigenes Spiegelbild? War es er selber, in Verkleidung? War es ein Mann, der eine Frau ("Miss Lonely") niedermacht? Ein Prolo, der eine gefallene Oberklassentussi zurechtweist?

Was für ein "schönes Lied" dieses "Like A Rolling Stone" unter der Oberfläche dieser Tirade aus poetischen Gehässigkeiten trotz alledem ist! Irgendwann, auf einer Tournee durch den Süden der USA, erklärte der junge, noch recht unbekannte Bob einem Reporter: "Wir sind so etwas wie das Kingston Trio." Das musste damals als ironisches Statement aufgefasst werden. War doch das Kingston Trio der Inbegriff des "Schön-Singens", der stromlinienförmig abgerundeten und harmonisch abgeschliffenen College-Bubi-Sangeskunst der 50er Jahre. Dylans quäkende, krächzende, so gar nicht am vollmundigen Hamsterbacken-Gesang ausgerichtete Stimme hatte für jeden normalen Musikhörer mit dem Kingston Trio nicht das Mindeste gemein.

Doch die Stimme täuscht. Dylan hat unzählige Stimmen und Nuancierungen gespeichert, die er in jedem Song abrufen kann. Greil Marcus, der amerikanische Musikkritiker, der sich mit Dylan und Elvis Presley ausführlich beschäftigt hat, hört aus den Stimmen dieser beiden Sänger etwas quasi Prophetisches heraus - eine Art mythisches Reservoir aller amerikanischen Epochen und Regionen. Ich vergleiche es, nüchterner, mit der Fähigkeit jener Vögel, die gelernt haben, wie ein Handyton zu tirilieren. Wenn Mick Jagger die Stimme, ja fast die Seele eines Don Covay imitierte, verriet er damit in erster Linie schauspielerisches Talent. Paul McCartneys Little-Richard-Impressionen sind einsame Klasse, aber nicht original. Wie Dylans viele Stimmen stammten auch sie ursprünglich aus einem gut sortierten Plattenschrank.