"Jedes Haar ist gezählt", sang Bob Dylan am Montagabend in Wien bei seinem Auftritt - und seine physische Erscheinung legte die Frage nahe, wie lange er die "Never Ending Tour" noch bestreiten kann. In einer nicht restlos ausverkauften Stadthalle begann der Altvater des Folk-Rocks mit einer auch für seine Verhältnisse ungewohnt brüchigen Stimme. Die nicht wirklich harmonierende Band ließ beim kaum erkennbaren Opener "To Be Alone With You" Schlimmes befürchten. Doch wie eine alte Maschine, die erst in Fahrt kommen muss, boten Dylan und seine vier musikalischen Begleiter in der Folge erdigen Blues-Rock.

Für spezielle Klangfarben sorgte dabei Larry Campbell, der u. a. eine Pedal Steel Guitar und eine irische Zister zum Einsatz brachte. Letztere trug auch viel zu einem der wenigen originellen Arrangements bei, indem die ursprüngliche offene Gitarrenstimmung von "It's Alright, Ma" auf dieses Instrument übertragen wurde. Lead-Gitarrist Freddy Koella konnte seine Country-Wurzeln nicht verleugnen, und die Rhythmus-Gruppe bot solides Handwerk und ließ sich auch durch zeitweilige Abstimmungsprobleme beim Rest der Belegschaft nicht stören.

Dylan selbst verzichtete zur Enttäuschung zahlreicher Fans auf den Griff zur Gitarre und betätigte sich stattdessen als hämmernder Pianist. Bei zeitweiligen Ausflügen in die Bühnenmitte wirkte er desorientiert und wusste sichtlich nicht, wohin mit den Händen. Sicherer fühlte er sich allerdings hinter dem Elektro-Piano und an der Mundharmonika. Dabei schaffte er es sogar, seine bekannt individuelle Spielart noch zur Unkenntlichkeit zu verfremden.

Den Großteil des Konzertes bestritt die Band freilich mit flottem Blues-Rock, dessen Geradlinigkeit das Publikum aus der Reserve lockte. Mit einer Zugabe von drei Songs, darunter "Like A Rolling Stone" (leider ohne Chor) und "All Along The Watchtower", verabschiedete sich Dylan von Wien.