Der Begriff "Protestsong" schaffte es in den 1960er Jahren zum Missmut konservativer Kreise in viele Lexika. Der Künstler, der auch die ehrwürdigsten Zunftvertreter schlussendlich überzeugte, an diesem Phänomen nicht vorbeikommen zu können, war ein junger, schmächtiger Mann aus Duluth, Minnesota, mit dem Künstlernamen Bob Dylan. Als dieser im eisigen Jänner 1961 seine ersten Auftritte in New York hatte, setzte er eine Bewegung in Gang, die noch heute ihre Wirkung zeigt. Künstler können mit ihren Mitteln nicht nur unterhalten, sondern auch aufrütteln und Missstände anprangern. Es war kein Zufall, dass sich gerade in dieser Ära des Kalten Krieges die Jugend - nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der darauf folgenden Konflikte - der Ideale besann, die im Laufe der Geschichte immer wieder gewaltsam niedergeschlagen worden waren: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. In diesem geistigen Umfeld entstand die Menschenrechtsorganisation Amnesty International 1961 in London, als der Rechtsanwalt Peter Benenson in der Tageszeitung "The Observer" einen Appell für die Freilassung politischer Gefangener veröffentlichte.

Wie konnte Amnesty International das Jubiläum besser begehen, als mit den Songs der ehemaligen Leitfigur der Protestbewegung? Die 4-fach-CD "Chimes Of Freedom" versammelt insgesamt 73 Dylan-Songs, dazu gibt es noch drei als digitale Downloads. Es braucht dabei nicht gesondert erwähnt zu werden, dass der Erlös des Werkes der Menschenrechtsorganisation zugutekommt. Was allerdings tatsächlich überrascht, ist der Umstand, dass die meisten Songs extra für dieses Opus Magnum aufgenommen wurden bzw. bisher unveröffentlicht waren.
Und da sich die Gestalter durchaus Gedanken gemacht haben, wurden die Songs nicht lieblos aneinander gereiht, sondern mit Bedacht zusammengestellt. Eröffnen darf dabei der bereits verstorbene Johnny Cash mit den Avett Brothers ("One Too Many Mornings"), beenden der noch lebende 92-jährige Pete Seeger ("Forever Young"), ehe Dylan selbst ("Chimes Of Freedom") die Freiheitsglocken erklingen lässt. Dazwischen liegen etliche Stunden Musik, die Dylan-Fans wohl ähnlich irritieren wird wie so manche aktuelle Konzert-Performance des Altmeisters.
Dylans Songs waren nie eindimensional, er selbst hat sie immer wieder umgedeutet, verfremdet und verschiedenen musikalischen Trends ausgesetzt. Folglich können sich so verschiedene Künstler wie Bad Religion, My Morning Jacket, Natasha Bedingfield oder Maroon 5 auch ohne Gewissenskonflikte austoben. Die Interpretationen reichen von sehr originalgetreuen bis zu äußerst originellen. Haben einige Dylan-Getreue wie Kris Kristofferson ("Quinn The Eskimo") oder Patti Smith ("Drifters Escape") wenig Scheu, die Songs noch weiter zu entblättern, so merkt man der jüngeren Garde deutlich an, dass sie die Werke in die Jetztzeit übertragen wollen. Dabei gibt es geglückte Varianten, wie etwa von Adele ("Make You Feel My Love") oder Ke$ha ("Dont Think Twice, Its Allright"), gewöhnungsbedürftige wie jene von Sussan Deyhim ("All I Really Want To Do") sowie verfehlte wie von Mariachi El Bronx ("Love Sick"). Einiges hat man auch schon viel besser gehört. "I Want You" oder "Mr. Tambourine Man" wurden schon früher etwa von Sophie B. Hawkins und den Byrds hervorragend gecovert.
Trotzdem ist die fast schüchterne Annäherung von Disney-Sender-Ikone Miley Cyrus ("Youre Gonna Make Me Lonesome When You Go") erfrischend, die brummende TripHop-Variante von "Blind Willie McTell" durch Tom Morello The Nightwatchman erstaunlich inspiriert - und Bettye LaVettes Soul-Abhandlung von "Most Of The Time" einfach wunderschön.
Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: "When The Ship Comes In", häufig als traditioneller Gospel-Song zu Tode gespielt, ist in der von Schlagzeuglegende Jim Keltner produzierten Brachial-Version der Outernational nur digital erhältlich.