Viele Jahre schien es ein Running Gag zu sein: Bob Dylan ist der Favorit für den Literatur-Nobelpreis, hieß es in den Medien vor der Vergabe der Auszeichnung. Doch immer gab es einen anderen wichtigen Dichter, der den Vorzug erhielt. Ob Tomas Tranströmer, Alice Munro oder Patrick Modiano, ganz gleich, wie die Namen auch lauteten, ihr Oeuvre hatte die Juroren schlussendlich mehr überzeugt als die vielen Songtexte des "song and dance man".

Doch jeder Schmäh ist einmal zu Ende und die Pointe lieferte die Schwedische Akademie am 13. Oktober 2016: Bob Dylan erhält den Literatur-Nobelpreis! Er habe "neue poetische Ausdrucksformen innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition geschaffen", lautet dabei die Begründung. Aus, vorbei. In Zukunft muss man sich einen neuen ewigen Favoriten suchen.

Der 75-Jährige wird sich freuen - und ein wenig wundern. Vor wenigen Jahren klang es aus Stockholm ein wenig anders: Der Nobelpreis an Bob Dylan sei "verrückt". Der Künstler sei eine Art "Literatur-UFO", meinte Peter Englund, der ständige Sekretär der Akademie. Nun, das UFO hat den Preis bekommen.

Dylan selbst war das Thema Nobelpreis nie so wichtig. Preise und Ehrungen ist der als Robert Allen Zimmerman in Duluth geborene Künstler gewohnt. Hie und da schrieb er auch darüber, etwa über das Ehrendoktorat der Princeton Universität, das er 1970 erhielt ("Day Of The Locusts"). Ja, richtig: Er schrieb darüber. Es war ein simpler Songtext, so wie viele davor und viele danach. Dylan hat neben Songtexten und wenigen Zeilen zu seinen Platten nur zwei Bücher geschrieben. "Tarantula", ein Band mit Gedichten, erschien offiziell 1971, nachdem schon in den Jahren davor illegale Versionen publiziert worden waren. 2004 kam dann der erste Teil seiner Autobiographie "Chronicles" heraus. Auf den zweiten Teil warten die Leser seither vergeblich.

Doch die Frage, die sich viele stellen, lautet: Warum erhält ein Songwriter, so bedeutend er auch sein mag, einen Literatur-Nobelpreis? Und was haben Songtexte mit Literatur zu tun? Die Antwort gab Dylan schon 1964: "I’m a poet, and I know it, hope I don’t blow it" ("I Shall Be Free No. 10"). Er hat es nicht vergeigt, bis heute nicht.

Natürlich kann man Literatur vom hohen Ross herab definieren. Doch geht es letztendlich immer um Worte - und was diese bei Menschen auslösen. Seit Beginn seiner Karriere waren es die Texte, die Dylan sang, die ihn zur Ikone einer ganzen Generation werden ließen. Andere Folk-Sänger sangen besser, konnten besser mit Gitarre und Mundharmonika umgehen, doch sie hatten nicht diese einzigartige poetische Ader.

Dylans Texte waren nicht nur sozialkritisch, sie erzeugten Bilder und waren für seine Fans oft schwer zu verstehen. Da geht etwa in "Desolation Row" Einstein als Robin Hood verkleidet mit einem eifersüchtigen Mönch spazieren, auf der "Highway 61" soll dagegen Abraham seinen Sohn opfern und in "Mr. Tambourine Man" folgt er einem merkwürdigen Trommelspieler. Sehr bald gab es Ausgaben der Texte der Songs in gebundener Form. In manchen Ländern wurden die Texte auch erläutert.

Dylanologie

Es entstand ein Phänomen, das bis heute existiert und sich Dylan- ologie nennt: Texte werden erforscht, zerpflückt und bewertet. Und gleichzeitig werden die Erkenntnisse publiziert. Seit den 60er Jahren entstanden auch verschiedenste Zeitschriften, die meisten wurden nach einigen Jahren wieder eingestellt. Und während viele normale Fans mittlerweile im Schockzustand aus seinen Konzerten kommen, haben sich Wissenschafter und Juristen in aller Welt einem neuen Hobby verschrieben. Dylan-Zitate möglichst auffällig unauffällig in ihren Arbeiten unterzubringen.

Im Jahr 2008 wurde etwa zum ersten Mal in der Geschichte des amerikanischen Supreme Court als Begründung für eine sogenannte dissenting opinion (ein Thema, das derzeit auch in Österreich dank Bundespräsidentenwahl-Anfechtung en vogue ist), ein Song-Text von Bob Dylan zitiert: "When you got nothing, you got nothing to lose". Ein paar Jahre später folgte übrigens der konservative Richter Antonin Scalia, der heuer verstarb und bislang nicht nachbesetzt wurde, mit einem der berühmtesten Zitate: "The times they are a-changin‘".

Dylans Texte sind so einprägsam, dass sie auch Politiker gerne zitieren. Manchmal auch, ohne zu wissen, dass sie vom einstigen Folk-Sänger stammen. Und wenn ein kleines Zitat-Hoppala passiert, dann wird genussvoll darüber diskutiert.

Die Bedeutung der Lyrics, wie Songtexte auf Englisch genannt werden, war seit den Anfängen der Dylan-Karriere klar. Mitte der 60er Jahre entstand dann sogar ein Musik-Video, in dem Dylan seinen Text auf Kartons aufgemalt in die Kamera hält. Dieses Leitmotiv wurde von anderen Kollegen in der MTV-Ära des Öfteren kopiert. Genauso wie Dylans Songs von vielen anderen Künstlern nachgesungen wurden, oft auch in anderen Sprachen. Dylan-Texte zu übersetzen war nie eine einfache Angelegenheit, meist gelang es anderen Song-Poeten wie etwa dem italienischen Liedermacher Fabrizio De Andrè am besten.

Dylan selbst ist schon seit Jahren Legende, Ikone und Mythos. Er darf mittlerweile Sinatra singen, Weihnachtsalben aufnehmen, in TV-Spots auftreten und auch nur Konzerte für eine einzige Person geben. Er singt genauso für den US-Präsidenten wie den Papst, wagt es, sich der chinesischen Zensur zu stellen und durch China zu touren. Und trotz der Berühmtheit bleibt der Singer/Songwriter stets der große Unbekannte. Einmal wurde er vor einigen Jahren in Polizeigewahrsam genommen, weil er sich ein leer- und zum Verkauf stehendes Haus angesehen hatte. Die Nachbarn hatten die Polizei angerufen, da sie einen "Landstreicher" bei dem Objekt gesehen hatten.

Für Dylan wird der Literatur-Nobelpreis kaum Auswirkungen haben. Seine Bücher werden sich wohl nicht viel besser verkaufen, seine Platten genauso wenig - und auch bei seinen Konzerten werden wegen der Stockholmer Entscheidung nicht mehr Zuschauer kommen. Der Literatur-Nobelpreis hat sich aber dadurch aufgewertet. Erstmals ist nicht nur ein Songschreiber geadelt worden, sondern vielleicht der bekannteste Vertreter der Pop-Kultur. Und auch bekannte Literaten werden heuer beim erstmaligen Hören des Preisträgers nicht nochmals nach dem Namen fragen. Vielleicht gibt es dann in einigen Jahren auch einen Song über die Preisverleihung, diesmal vom Nobelpreisträger/Singer/Songwriter höchstpersönlich.