Es war ein Tag der Apokalypse, an dem vor fünf Jahren "Love And Theft", das 30. und bis zum gestrigen Freitag letzte Studio-Album von Bob Dylan, erschien. Der 11. September 2001 brannte sich mit den Terroranschlägen in New York und Washington tief ins Bewusstsein der Amerikaner. Während Künstler wie Bruce Springsteen von den Ereignissen stark geprägt wurden und mit mehr oder minder patriotischen Platten reagierten, zog es Dylan vor, das Aufnahmestudio zu meiden und andere Projekte (u.a. seine Autobiographie "Chronicles") zu verfolgen. Es wurde die längste Pause, die er jemals zwischen zwei Studio-Alben eingelegte. Erst jetzt, fünf Jahre später, erscheint mit "Modern Times" der Nachfolger von "Love And Theft".

Schon der Titel ist programmatisch. Dylan, der gerne immer wieder Filmzitate in seinen Songtexten unterbringt (das Album "Empire Burlesque" aus dem Jahr 1985 ist ein gutes Beispiel dafür), bezieht sich bewusst auf den Charlie Chaplin-Klassiker. Der Mensch und Künstler als Opfer des Fortschritts ist für die Folk-Legende kein Albtraum, sondern Realität, wie er auch in einem Interview mit dem "Rolling Stone" feststellte. "Wir lieben alle Schallplatten, die man mit einem Plattenspieler abspielen kann, doch schauen wir der Realität ins Auge: diese Tage sind vorbei. Man tut das Beste was man kann, man bekämpft die Technologie so weit es möglich ist, aber ich kenne niemanden, der in den letzten 20 Jahren eine Platte gemacht hätte, die gut geklungen hätte" , so Dylans bitteres Resümee.
Doch "Modern Times" selbst ist in keiner Weise das Manifest eines 65-Jährigen gegen den Fortschritt. Dylan hat ja auch den besten Produzenten engagiert, den einzigen, der seine Gedanken und Wünsche zu 100 Prozent teilt. Mister Jack Frost, wie er in den Cover-Notes heißt, ist ein Alias von Dylan, das er schon beim Vorgängeralbum benutzt hatte. Und dieser hat tatsächlich ein erstaunlich gutes Werk abgeliefert. "His Bobness" klingt nicht mehr nasal und spröde, sondern ansatzweise wie ein echter Crooner. Die Texte voller Lebens- und Liebeslust passen genau so gut dazu, wie der sehr entspannte Country-Blues-Sound, den seine langjährige Tour-Band souverän praktiziert.
Dylan singt von Liebe und Schmerz, ähnlich wie vor 32 Jahren auf dem Album "Planet Waves", das übrigens auch mit seiner damaligen Tour-Band, "The Band", entstand. Dabei zitiert er freizügig Blues und Bibel, passt sie wie eh und je seinen Bedürfnissen an. Die Liebeserklärung "Spirit On The Water" erinnert ein wenig an "You Angel You". Das Mädchen raubt dem Künstler auch diesmal den Schlaf ( "I keep thinking about you, baby / I can't hardly sleep" ), doch diesmal ist ein wenig bluestypischer Zweifel vorhanden, schließlich ist "Uncle Bob", wie ihn einst Neil Young nannte, schon reiferen Alters: "You think I'm over the hill, Think I'm past my prime. Let me see what you got; We can have a whoppin' good time."
Das Alter und die Liebe beschäftigen Dylan, dies ist in den Songs von "Modern Times" spürbar. Dazu kommt eine verschmitzte Abgeklärtheit, die etwa Leonard Cohen schon in jüngeren Jahren ausgestrahlt hat. "I got troubles so hard, I just can't stand the strain / Some young lazy slut has charmed away my brains" singt er etwa in "Rollin' And Tumblin'", das nicht nur den gleichen Titel wie der Muddy Waters-Song trägt, sondern auch dessen erste Strophe entlehnt hat.
Dass er allerdings immer noch epische Weltuntergangs-Songs hervorzaubern kann, vermittelt er in "Thunder On The Mountain", dem ersten schwungvollen Song des Albums. Dylan inszeniert eine kleine Apokalypse, lässt den "Donner vom Berg" grollen und Zeichen an die Wand malen. Und während Pistolenschüsse ertönen und die "Ladies" aus Washington fliehen, gesteht er so nebenbei dem Hörer freimütig, Ovids "Ars amatoria" ("Die Kunst der Liebe") studiert zu haben.
Abgeklärter Country-Blues.
Bob Dylan: Modern Times (Columbia / SonyBMG)