Der Schock saß 1970 tief, als die Dylan-Fans sich die neueste Platte des Protest-Prinzen auflegten oder im Radio hörten. Bob Dylan sang auf "Self Portrait" Songs, die so absolut nicht zu ihm passten, deren Inhalt rein gar nichts mit der aktuellen politischen Situation zu tun hatte, als ob er schon komplett in eine Drogenwelt abgesunken wäre. Oder gar jene Verschwörungstheorien stimmten, dass der "echte" Dylan beim Motorradunfall 1966 gestorben wäre.
Die Coverversion des Simon & Garfunkel-Hits "The Boxer" sorgte unfreiwillig für Humor. Dylan, der beide Stimmen geradezu nachäffte, und irgendwie beim Imitieren von Garfunkel nicht ganz nüchtern klang. Zwei Platten umfasste das Werk, das sich auch noch geradezu spöttisch "Self Portrait" nannte. Greil Marcus schaffte es, eine langatmige Kritik des Werkes für den "Rolling Stone" durch den legendären Satz "Whats this shit?" zu eröffnen, doch die Mühe, seine gesamte Abhandlung zu lesen, macht sich bis heute kaum jemand.

- © Sony
Dylans "Self Portrait" war nach wenigen Monaten bereits in der Versenkung verschwunden. Mit "New Morning" erschien 1971 eine traditionellere Dylan-Platte. Geblieben ist über die Jahre eigentlich nur ein Song, auf dem der einstige Held einer Generation kein einziges Wort sang. "Wigwam" war der perfekte sommerliche Soundtrack für TV-Dokumentationen und wurde reichlich in den 70er Jahren dafür verwendet.
Rehabilitation
Mehr als 40 Jahre später versucht man die Platte, die Dylan selbst in Interviews nicht verteidigen wollte, zu rehabilitieren. Sony hat den zehnten Teil der Bootleg Series "Another Self Portrait" genannt und augenscheinlich diesem Werk gewidmet. Dabei wird aber die Schaffensperiode des Künstlers zwischen 1969 und 1971 beleuchtet. Steve Berkowitz, der das Projekt betreute, berichtet von der sensationellen Entdeckung, die dazu führte. Denn eigentlich wollte man nur die Originalbänder von "Self Portrait" für eine neue, remasterte Ausgabe aus den Archiven holen, und stellte fest, dass diese nicht mehr ganz taugten. Bei weiterem Nachgraben fand man dann die unbearbeiteten Aufnahmen der Sessions – und diese klangen so anders als erwartet, dass es plötzlich klar wurde: ein neues Bootleg-Series-Album ist gefunden.
Die Öffentlichkeit kennt bislang die von Produzent Bob Johnston ziemlich verkitschte Version. Dieser hatte die Originalaufnahmen nach Nashville mitgenommen und dort mit weiteren Musikern aufgepeppt. Ursprünglich hatte Dylan in New York den Gitarristen David Bromberg angerufen, und diesen gefragt, ob er mit ihm ein Studio ausprobieren wolle. Bromberg war Dylan als Musiker von Jerry Jeff Walker aufgefallen. Doch tatsächlich entpuppten sich die Sessions als Aufnahmen für eine neue Platte von Dylan. Dazu gesellte sich dann auch noch Al Kooper, der schon zuvor bei etlichen Platten des Meisters aus Duluth an Orgel und Piano mitgewirkt hatte.
Intime Aufnahmen
Die Aufnahmen klingen äußerst intim, unplugged und inspiriert. Dylan singt mit klarer Stimme und großer Freude. Nichts ist da zu hören von angeblich ungeliebten Songs, stattdessen scheint es dem Folk-Propheten geradezu Spaß zu machen, alte Songs aufzunehmen. Kooper berichtet, dass Dylan bei den Aufnahmen auch etliche Ausgaben des "Sing Out!"-Magazins dabei hatte, in denen er nach Songs blätterte. Allerdings kannte er die Songs, die er dann mit seinen Mitstreitern einspielen sollte.
"Self Portrait" enthielt neben etlichen Cover-Versionen auch einige Live-Aufnahmen des "Isle Of Wight"-Konzertes des Jahres 1969. Diese klangen durch die technischen Gegebenheiten der damaligen Zeit sehr platt. Nun wurden auch diese Bänder aufgefunden und neu abgemischt. Die acht Tonspuren boten die Möglichkeit, den Klang jenes Konzertes, das die Rückkehr von Dylan auf die große Bühne bedeutete, wiederauferstehen zu lassen. Um Dylan 1969 zu sehen waren nicht nur mehr als hunderttausend Menschen gekommen, sondern auch die Beatles John Lennon (mit Yoko Ono), George Harrison und Ringo Starr sowie Keith Richards, Bill Wyman und Charlie Watts von den Rolling Stones. Dylan hatte auf einen Auftritt in Woodstock verzichtet und war stattdessen mit der Band nach Großbritannien gereist.
Für Fans ist nun der gesamte Isle Of Wight-Auftritt von Dylan auf CD zu hören. Allerdings nur in der Deluxe-Version von "Another Self Portrait", die vier CDs (darunter auch das remasterte Original) und auch eine Abhandlung von Greil Marcus zum neuen Werk beinhaltet. Wer die mehr als 60 Euro nicht ausgeben will, kann auf der Doppel-CD zumindest zwei Songs vom legendären Auftritt hören.