Sommer 1967: Der junge Bob Dylan bei der Arbeit an den legendären "Basement Tapes". - © Elliott Landy
Sommer 1967: Der junge Bob Dylan bei der Arbeit an den legendären "Basement Tapes". - © Elliott Landy

Ein Stück Musikgeschichte erblickt endlich übervollständig in einer offiziellen Version das Licht der Welt. Die "Basement Tapes" sind die Apokryphen des Bob Dylan, häufig zitiert, in verschiedensten Versionen an die Öffentlichkeit gelangt und schlicht legendär. Im Jahr 2014 klingt dieser Kult ein wenig aberwitzig, doch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Welt noch anders.

Als Bob Dylan 1966 am Höhepunkt seines Erfolges einen schweren Motorradunfall hatte und von der Bildfläche verschwand, kursierten wildeste Gerüchte. Dylan musste schon fixierte Konzerte absagen, manche Fans glaubten, der Künstler sei gestorben. Die Plattenfirma stopfte das Produktionsloch mit einer Greatest Hits-Platte. Dylan hatte sich schon vor dem Unfall nach Woodstock zurückgezogen, um ein wenig Privatleben zu genießen. Es gelang nur nicht. Die extremsten Fans belagerten sogar sein Haus und wollten mit ihm über wichtige Dinge des Lebens reden, etwa über biologische Landwirtschaft, wie Dylan in einem seiner wenigen TV-Interviews verriet. Der Songwriter sah sich nur nicht als politische Galionsfigur oder gar als Vordenker einer Generation. Und von biologischer Landwirtschaft hatte er erst recht keine Ahnung.

Doch Dylan schaffte es im Sommer des Jahres 1967, den Fans zu entkommen. Seine Begleitband, die sich später The Band nennen sollte, hatte in der Nähe ein Haus gemietet. Im Keller wollten die Musiker proben, doch der Sound erwies sich als katastrophal. Robbie Robertson, Gitarrist der Band, hatte einen befreundeten Soundtechniker eingeladen, sich die Örtlichkeit anzusehen. Dessen Urteil war vernichtend. Der Keller mit seinem Betonboden und den entsprechenden Betonziegelwänden war unbrauchbar, jeglicher Versuch einer Adaptierung sinnlos. Doch das Haus war bereits gemietet, ein Zurück war nicht möglich. Und so legten die Musiker im Keller einfach einen Teppich aus und begannen zu proben.

The Band in den Wäldern rund um das "Big Pink"-Haus in West Saugerties. - © Elliott Landy
The Band in den Wäldern rund um das "Big Pink"-Haus in West Saugerties. - © Elliott Landy

Dylan gesellte sich schließlich dazu und war von der Örtlichkeit begeistert. Auf Drängen seines Managers Albert Grossman wurde beschlossen, im Keller Songs einzuspielen. Dylan plante Songs für andere Künstler wie etwa Johnny Cash zu schreiben. Diese mussten aber aufgenommen werden, damit sie dann als Acetatplatten den Kollegen übermittelt werden konnten.

Es war die entspannte Atmosphäre in diesem "Big Pink" genannten Haus (das der ersten Platte der Band wenig später den Namen verlieh), die ein freudiges (Er-)Schaffen ermöglichte. Dylan tippte in der Küche auf einer alten Olivetti-Schreibmaschine die Lyrics (so viele, dass nun sogar eine eigene Platte mit neuvertonten Stücken erscheinen wird) und brachte sie dann in den Keller. Dort wurde gejammt, Dylan erfand witzige Texte aus dem Stegreif und passte sie an vorhandene Melodien an.

Die Band musizierte unaufhörlich, auch wenn Dylan nicht dabei war. Wie Organist Garth Hudson, der die Aufnahmen durchführte und akribisch durchnummerierte, erzählt, war die Aufnahmeeinrichtung improvisiert. Die Mikrofone stammten vom Folk-Trio Peter, Paul & Mary, den Rekorder hatte Grossman um einige hundert Dollar besorgt.

Das Ritual war immer gleich: Tagtäglich traf man sich um 13 Uhr im Keller, um zu musizieren. Dabei wurden nicht nur selbst geschriebene Songs eingespielt, sondern auch Covers und Traditionals. Dylan erschuf Songs in einem unglaublichen Tempo. Die Band lieferte den erdigen Country-Blues-Sound, der heutzutage gerne als Americana bezeichnet wird. Für den Rock-Schriftsteller und Journalisten Greil Marcus sind die Aufnahmen ein Abbild des unsichtbaren Amerikas. Marcus hat den "Basement Tapes" ein ganzes Buch gewidmet.

Ende Oktober 1967 war dann alles wieder vorbei; Dylan begab sich nach Nashville und die Band spielte ihr besagtes Debütalbum "Music From Big Pink" ein. Doch etliche Songs aus den Keller-Sessions verbreiteten sich. Einige wurden Hits ("Quinn The Eskimo", "This Wheel’s On Fire"), andere waren durch das bekannteste Bootleg, das je erschien, zumindest den eingefleischten Fans ein Begriff. "Great White Wonder" wurde sogar 1969 im "Rolling Stone" besprochen.

Thee Bootleg-Series Volume 11: The Basement Tapes Complete. - © Columbia/Sony
Thee Bootleg-Series Volume 11: The Basement Tapes Complete. - © Columbia/Sony

Dylans Plattenfirma meinte damals: "…die Verkäufer dieser Platte  nehmen einem großen Künstler die Möglichkeit, die Einspielungen soweit zu perfektionieren, dass dieser sie als vollständig und hörenswert erachtet".

1975 brachte Columbia eine Doppel-LP heraus, bei der aber teilweise Songs überarbeitet bzw. von der Band scheinbar neu eingespielt worden waren. Nun erscheint endlich das laut Plattenfirma vollständige Werk in einer 6-CD-Box, einer Vinyl-Variante sowie einer sogenannten Raw-Edition (Doppel-CD) – und sinnigerweise im Rahmen der Bootleg Series. Die Nummer könnte nicht passender sein: die Doppel-Eins.