Ikonen dürfen alles - erst recht, wenn sie Bob Dylan heißen. Seit Jahren verstört der Singer/Songwriter, der vor genau 75 Jahren unter dem Namen Robert Zimmerman das Licht der Welt erblickte, reihenweise seine Fans. Früher schrien sie noch "Judas", heute verlassen sie seine Konzerte, um in den sozialen Medien ihren Ärger kundzutun. War es in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch der Umstieg auf die elektrische Gitarre, der Folk-Puristen empörte, so sind es jetzt die krächzende Stimme und eigenwillige Arrangements, die manche abstoßen.

Doch Bob Dylan sind die Fan-Reaktionen zumeist egal. Zu sehr hat er sich von seinen Anhängern vereinnahmt, fehlinterpretiert und missverstanden gefühlt. Stattdessen war er ein Leben lang auf der Flucht vor ihnen. In den 60ern zog er von New York nach Woodstock, um Ruhe zu finden - was naturgemäß misslang. Denn auch dort versammelten sich Enthusiasten und warteten nur darauf, dass ihr Hohepriester des Protestsongs aus dem Haus trat. Und diskutieren wollten sie über alles, wie Dylan Jahre später verriet, etwa über Biolandbau - ein Thema, zu dem His Bobness nicht wirklich etwas zu sagen hatte.
Für manche eingefleischte Fans war Dylan im Sommer 1966 sogar gestorben. Viele glaubten, es wäre ein Doppelgänger, der den Liedermacher nach dem Motorradunfall am 29. Juli 1966 darstellen würde. Der echte Dylan wäre nie nach Nashville gegangen, um Country-Songs aufzunehmen, so der Vorwurf. Sogar das Plattencover von "John Wesley Harding" wurde analysiert und nach Todesbotschaften untersucht, die natürlich auch prompt gefunden wurden, genauso wie die vier Köpfe der Beatles.
Für tot erklärt
Tatsächlich können nicht alle Menschen mit Bob Dylan heute noch etwas anfangen. In einer italienischen Musikshow hat kürzlich die Star-Moderatorin und Sängerin Raffaella Carrá - in Österreich etwa durch den Hit "A far lamore comincia tu (Liebelei)" bekannt - Bob Dylan für tot erklärt. "Heute vor 35 Jahren ist Bob Dylan gestorben", meinte die 72-Jährige, ehe die jungen Teilnehmer sie aufklärten: Sie habe die Bobs verwechselt. Vor 35 Jahren starb Bob Marley.
Viele Menschen kennen wiederum nur den Dylan der 60er Jahre. Trotz zahlreicher Grammy-Auszeichnungen seit 1997, trotz Chartserfolgen - das Album "Together Through Life" aus dem Jahr 2009 war in zahlreichen Länder wie etwa den USA, Großbritannien und auch Österreich Nummer eins -, mit Dylan werden nur alten Songs wie "Blowin In The Wind", "The Times They Are A-Changing" oder "Mr. Tambourine Man" assoziiert. Die zahlreichen Bootleg-Series-Ausgaben zeigen diese rege Nachfrage nach alten Konzert- und Studioaufnahmen. Zwölf an der Zahl sind bereits erschienen und mit jeder neuen Auflage werden sie teurer und ausgefallener. Die letzte Ausgabe, "The Cutting Edge 1965 - 1966", kostet in der Deluxe-Variante bereits satte 130 Euro.
Doch Dylan ist weder 1966 noch 1981 gestorben. Er hat weiter unbeirrbar Platte für Platte aufgenommen, ist von Konzert zu Konzert gereist und hat sich im hohen Alter auch einige Träume erfüllt. 2009 erschien eine schon ewig geplante Weihnachtsplatte (angeblich hat es zu Beginn der Siebziger Jahre gemeinsame Aufnahmen mit Elvis Presley gegeben), 2004 der erste Teil seiner Autobiografie "Chronicles". Und zwischen 2006 und 2009 hatte Bob Dylan mit der "Theme Time Radio Hour" sogar eine eigene Radio-Show, in der er unzählige Songs präsentierte.
Zum 75. Geburtstag hat er mit "Fallen Angels" nun ein neues Album herausgebracht. Es ist eine Platte mit Coverversionen - und die Fortsetzung von "Shadows In The Night" aus dem Vorjahr. Die Überraschung war groß, als Dylan Sinatra-Standards nachsang. Doch so abwegig, wie es manchen im ersten Augenblick erschien, war das Projekt nicht. Dylan hatte schon immer Freude daran, Songs zu covern. Enthielt seine allererste Platte noch überwiegend Traditionals, so waren auf der 1970 doppeldeutig mit "Self Portrait" betitelten Doppel-LP schon Songs enthalten, die klassische Dylan-Fans nicht mehr so leicht verdauen konnten. "What is this shit?", zitierte Greil Marcus in der legendären "Rolling Stone"-Besprechung einen Freund. Da hatte sich "Uncle Bob" (Copyright: Neil Young) nur an Songs wie "Blue Moon", "Let It Be Me" oder "The Boxer" gewagt.
Später folgten noch zahlreiche andere Cover-Platten, etwa 1973 die LP "Dylan", die von der Plattenfirma Columbia selbst edierte Trotzreaktion auf Dylans Vertragsausstieg mit dem im heimischen Radio häufig gespielten Song "Lily of the West". Spätere Alben wie "Good As I Been To You" (1992) oder "World Gone Wrong" (1993) wurden dagegen gelobt und sogar enthusiastisch gefeiert.
Und auch "Shadows In The Night" wurde erstaunlicherweise meist gepriesen. Da kann es, Hand aufs Herz, "Fallen Angels" nicht schlechter ergehen, schließlich klingt der "Song & Dance-Man", wie sich Dylan einst selbst bezeichnet hat, darauf erfrischend entspannt, und seine Stimme ist nicht allzu brüchig und erstaunlich klar. Musikalisch groovt die Band im Lounge-Modus unaufdringlich dahin. "Fallen Angels" ist angenehm unaufgeregt, allürenfrei und gleichzeitig charmant. All das, was Dylan mit wenigen Ausnahmen - wie etwa der Zeit bei den Traveling Wilburys - zuletzt oft nicht gelang.
Dylans Songauswahl - auch diesmal sind etliche durch Sinatra bekannt gewordene Nummern dabei - ist nicht sonderlich überraschend ausgefallen. Wer sich Dylans Radio-Show manchmal zu Gemüte geführt hat, wird etwa Songs wie "Skylark" oder "Come Rain Or Come Shine" auf der Platte wiedererkennen. Aus dem Fundus des "Great American Songbook" lässt es sich leicht fischen. Dylan hat nie ein Hehl daraus gemacht, sich für alte Songs und Platten zu interessieren. Schon in frühester Jugend hörte er zahlreiche Scheiben aus den Sammlungen der Väter von Freunden. Und dieser Hang, Musik in sich aufzusaugen, hielt auch in späteren Jahren an.
Dylan bleibt rastlos
Mit seiner Live-Band hat Dylan auch immer wieder Songs gecovert, wobei er die Musiker oft nur mit einer Kassette beglückte, auf der ein neuer, alter Song zu hören war. Nach einem Probelauf wurde dann der entsprechende Song live einige wenige Male dargeboten. Auch die Songs von "Fallen Angels" wird er wohl nicht sehr häufig live spielen. Dylan bleibt selbst im höheren Alter rastlos.
Angeblich, wie er dem "Rolling Stone" vor einigen Jahren in einem Interview verriet, arbeitet er an dem zweiten Teil der "Chronicles". Und in der Vergangenheit folgte auf Platten mit Covers meist ein Meisterwerk. Fröhliches Schaffen, Uncle Bob!
Bob Dylan: "Fallen Angels" Columbia/Sony
Buchpräsentation : "Refractions of Bob Dylan & AustroBob:" Dienstag,
18.30 Uhr, Amerika-Haus, Friedrich-Schmidt-Platz 2.