Als René Tardi Ende Mai 1940 als französischer Kriegsgefangener im Stalag II B im pommerschen Hammerstein ankommt, erhält er eine Nummer. "Meine Identität wurde durch eine Matrikelnummer ersetzt." Kurz zuvor musste er erfahren, wie unvorbereitet die französische Armee, in die er freiwillig eingetreten war, auf den vorhersehbaren Angriff der Deutschen war. "Die Fritzen drangen in unser Land ein, als sei es ein weicher Camembert." René Tardi war 25 Jahre alt.

"Der lange Marsch durch Deutschland" ("Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B.", Bd. 2, S. 5)
"Der lange Marsch durch Deutschland" ("Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B.", Bd. 2, S. 5)

"Im Krieg bist du nur eine Nummer, da bist du kein Mensch mehr, sondern nur mehr ein Schwein. Da legst du alles ab, da hast du keinen Respekt mehr vor irgendwas." Das sagt der Opa in Regina Hofers und Leopold Maurers Comic "Insekten". Maurers Großvater ist im Jahr 1940 freiwillig zur Waffen-SS gegangen. Er war 17 Jahre alt.

Es sind völlig gegensätzliche Erfahrungen, vor allem aber zwei diametral gegensätzliche Einstellungen, die in den beiden Comics dargestellt sind. Auch die Autoren und Zeichner mussten sich dabei unterschiedlichen Herausforderungen stellen.

René Tardi ist der Vater des Zeichners Jacques Tardi, der u.a. für seine Comics über das Schicksal der Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bekannt wurde. Nun hat der Sohn die Geschichte seines Vaters gezeichnet und in drei Bänden herausgebracht: "Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B", "Der lange Marsch durch Deutschland" und "Nach dem Krieg" basieren auf ausführlichen Aufzeichnungen, die der Vater in den 1980er Jahren auf Bitte des Sohnes hin angefertigt hatte.

Erinnerung als Auftrag

Tardi zeichnet sich als jugendliches Alter Ego in die Comics hinein, begleitet den Vater durch alle drei Bände seiner Kriegserlebnisse und holt etwas nach, was er zuvor verabsäumt hatte: Geduldig hört er seinem "alten Herrn" zu, stellt interessierte Fragen, mitunter auch freche, und taucht tief in seine Geschichte ein.

Aus: Hofer/Maurer, "Insekten", Seite 40.
Aus: Hofer/Maurer, "Insekten", Seite 40.

Anders bei Hofer und Maurer. 2004 hat das Zeichnerpaar an drei Tagen Maurers Opa interviewt und seine Erinnerungen auf Kassette aufgenommen. "Wir waren die Division ,Das Reich’. Das Regiment ,Der Führer’, das war mein Regiment." Es handelt sich um eine jener Eliteeinheiten, die für Hitler gewütet hatten. Der Opa war ein überzeugter Nazi - und ist es geblieben. Erinnerung hält er für unnötig: "Man sollte alles vergessen, begraben, unter der Geschichte. Weil wir alten, wir Nazis, sind ja jetzt bald alle tot, wir Nazis. Dann ist alles vergessen und vorbei das Ganze."