Dass ein Schriftsteller offen eingesteht, eine seiner Figuren nicht angemessen dargestellt zu haben, gehört nicht zum Alltag des Literaturbetriebs. Genau das jedoch macht der spanische Comicszenarist Antonio Altarriba in seinem jüngsten Comicroman, den er zusammen mit seinem Landsmann und Zeichner Kim alias Joaquim Aubert Puigarnau verfasst hat. Im Nachwort zu "Der gebrochene Flügel" schreibt der Autor, das Buch sei "als
Wiedergutmachung" entstanden. Anlässlich einer Lesung von
"Die Kunst zu fliegen" (deutsch 2012) habe ihn die Frage einer Leserin vor den Kopf gestoßen, was ihn zu dieser Korrektur bewogen habe.

"Der gebrochene Flügel": Ein facettenreiches, vielschichtiges Panorama spanischer Geschichte, betrachtet durch die außergewöhnlichen Lebensgeschichten zweier gewöhnlicher Menschen. - © Avant-Verlag
"Der gebrochene Flügel": Ein facettenreiches, vielschichtiges Panorama spanischer Geschichte, betrachtet durch die außergewöhnlichen Lebensgeschichten zweier gewöhnlicher Menschen. - © Avant-Verlag

In "Die Kunst zu fliegen" haben die beiden Autoren ein beeindruckendes Porträt von Altarribas Vater Antonio geschaffen und zugleich eine Geschichte Spaniens aus dem Blickwinkel eines anarchistischen Kämpfers im Bürgerkrieg der 1930er Jahre mitgezeichnet. In einem großartigen, schmerzflirrenden Bogen verknüpft der Autor den Kindheitstraum seines Vaters zu fliegen mit seinem Sturz aus dem vierten Stock eines Altersheims im Jahr 2001 als seinem letzten Abflug aus dem Leben. Dazwischen zeichnen Altarriba und Kim das Leben des Bauernburschen nach, der in den 1920er der elenden Enge seiner Verhältnisse zu entkommen versucht, in Saragossa Fuß fasst und sich auf die Seite des anarchistischen Widerstands schlägt. Ganz im Geiste jenes Buenaventura Durruti, dem Hans Magnus Enzensberger 1972 einen schillernden Collagen-Roman, "Der kurze Sommer der Anarchie", gewidmet hatte, kämpft er für die Befreiung des Landes aus dem Würgegriff des Francofaschismus.

Ideologischer Selbstmord

Als Antonio nach dem Sieg der Franquisten allerdings als Verlierer nach Spanien zurückkehrt, sieht er sich, um zu überleben,
zu einem "ideologischen Selbstmord" gezwungen. Die Geschichte, schreibt Enzensberger in seinem Roman, ist im besten Fall "ein Bündel von Geschichten". Auch die Brüche in Antonios Lebensgeschichte verwandeln diese in ein Bündel. Doch Altarriba stellt der Geschichte des Vaters außerdem die Geschichte seiner Mutter als Korrektiv gegen und bündelt damit ihre beiden Geschichten.

Während die Mutter in "Die Kunst zu fliegen" das Schattendasein einer frömmelnd-frigiden Ehefrau fristet, die das Weltbild des ehemals anarchistischen Kämpfers nicht zu Begreifen imstande ist, hat ihr Sohn auf der Suche nach der Geschichte seiner Mutter in "Der gebrochene Flügel" ein völlig anderes Wesen dieser Frau entdeckt.