Die Affinität zwischen Comic und Architektur ist offenkundig. Nicht allein, dass das zeichnerische Entwerfen von Bauwerken eine Art Übersetzung räumlicher Bilder auf die zweidimensionale Ebene des Papiers darstellt. Architektonische Prinzipien liegen dem Aufbau jeder Comicseite zugrunde, was sich in dem Begriff Seitenarchitektur für Layout einer Comicseite spiegelt. Panels sind oftmals auf komplexe Weise ineinander verschichtet, wie Gebäude verbaut und gestapelt. Beim Lesen eines Comics nimmt man diese Architektur einer Seite oder Doppelseite bewusst oder unwillkürlich wahr, bevor man sich den Details zuwendet. Die Anordnung der Bildkästchen, ihre Stabilität oder Brüchigkeit, verrät bereits etwas über den Fortgang einer Erzählung sowie die Ästhetik des Comics.
Seit Beginn des Mediums ist die Seitenarchitektur ein viel genutzter Spielraum für Experimente und ästhetische Erneuerung. Winsor McCays "Little Nemo" oder George Herrimans "Krazy Kat" sind frühe grandiose Beispiele dafür. Mit dem Titel "Building Stories" hat der US-amerikanische Zeichner Chris Ware zuletzt dieses Ineinander von Architektur und Erzählen im Comic luzide zum Ausdruck gebracht.
Nazi-Anbiederung und Vision
Dies sei nur ein Hintergrund, mit dem man sich einer Reihe kürzlich erschienener Comics annähern kann, die Architektur, Architekten und/oder Architekturgeschichte in den Mittelpunkt stellen und zusammen höchst spannende Einblicke in Architektur- und Zeitgeschichten des 20. Jahrhunderts gewähren. Bemerkenswert ist, dass die Zeichner in drei Fällen selbst diplomierte Architekten sind.
In "Mies van der Rohe" (Carlsen) zeichnet Agustín Ferrer Casas das Leben des gebürtigen Deutschen nach, der einst als Steinmetz Ludwig Mies begann, sich einen Namen als avantgardistischer Stararchitekt - symbolisch als Ludwig Mies van der Rohe - machte und 1930 die Leitung des Bauhauses in Dessau übernahm. Während das Experiment Bauhaus von den Nationalsozialisten in Etappen abgedreht wird und Mies van der Rohes (1886-1969) Versuche, dennoch Aufträge im Nazideutschland zu bekommen, scheitern, beginnt für ihn in den USA eine Ära, in der die internationale Verbreitung und Weiterentwicklung des von ihm mitgeprägten Bauhausstils eine neue Dimension erreichen.
Der spanische Zeichner legt keine Hagiografie des Bauhaus-Architekten vor, sondern blickt hinter die Fassaden glänzender Architektur. Unter den verschiedenen Brüchen, die sein Leben prägen, wie der Zusammenbruch einer Kultur- und Wertegeschichte nach dem Ersten Weltkrieg, der ihn zu einer neuen visionären Architektur herausforderte, beleuchtet Casas die Anbiederungen des Architekten an den Nationalsozialismus. Als Stararchitekt von Gropius an das Bauhaus geholt, nachdem dieser Hannes Meyer aufgrund einer kommunistischen Haltung abgesetzt hatte, sollte Mies van der Rohe durch seine apolitische Haltung das Bauhaus vor den Zugriffen der Nazis schützen. Dagegen macht Casas ebenso die tatsächlich groben politischen Fehleinschätzungen Mies van der Rohes sichtbar wie seine opportunistische Haltung, die auch in seinen Frauenbeziehungen einen deutlichen Niederschlag findet. Nichtsdestotrotz ist Casas’ Faszination für die Leistungen des Architekten spürbar, etwa in seinen herausragenden Architekturdarstellungen. Schließlich erinnern seine Seitengestaltungen mit scheinbar verschiebbaren Panels an die Ästhetik des Bauhauses.