Chris Ware ist ein Comiczeichner, der mitunter 20 Jahre für die Vollendung eines Buchs braucht. Dann aber sind Kritik und Leser begeistert: Sein letzter Band, "Building Stories", wurde mit nichts weniger als James Joyces "Ulysses" verglichen. Kaum jemand ist so manisch auf der Suche nach innovativen grafischen Erzählmethoden - und verblüfft allzu oft mit erfolgreichen Funden. Nicht zuletzt passt sein Werk perfekt in unsere Zeit, weil es oft von sozialer Isolation handelt. Und über den Umweg des Bewusstseinsstroms auch viel über die heutigen USA verrät. Mit der "Wiener Zeitung" sprach Ware anlässlich des Erich-Fried-Festivals über Erinnerungstaktiken, Comiczeichner als Idioten und den wahren Superhelden, "Peanuts"-Erfinder Charles M. Schulz.

"Wiener Zeitung": In Ihrer Graphic Novel "Building Stories" geht es unter anderem um die Angst davor, seine Lebensträume nicht zu erfüllen . ..

Chris Ware: Ja, da gibt es diesen Impuls, den wir alle in uns tragen, der aber vielen gar nicht bewusst ist. Und viele, denen er bewusst ist, schaffen es auch nicht, das Leben so zu erfüllen, wie sie es sich gedacht haben.

Chris Ware. - © Michael Hetzmannseder
Chris Ware. - © Michael Hetzmannseder

Ist Angst ein Antrieb Ihrer Arbeit?

Ich bin immer gelähmt vor Angst! Meine Arbeit ist geboren aus Angst. Der Angst, in der Welt zu sein, der Angst vor anderen Menschen. Das hat in meiner Kindheit begonnen, ich wusste nie, ob meine Freunde wirklich Freunde sind. Denn am Wochenende haben sie mit mir gespielt und in der Schule waren sie dann nicht mehr nett zu mir. Das hat eine generelle Nervosität bei mir ausgelöst und ich bin lieber zuhause geblieben. Das ist aber nicht unüblich bei Cartoonisten, zumindest in meiner Generation. Aber auch vorher - Charles Schulz war genauso. Der mochte es auch nicht besonders, das Haus zu verlassen, blieb lieber bei seiner Familie. Ich weiß, das ist eine kindische Angst, sie ist nicht besonders raffiniert oder politisch motiviert, aber ich bin halt ehrlich, so ist es.

Wenn Sie an einem Buch wie "Rusty Brown" fast 20 Jahre arbeiten - haben Sie dann nicht Angst, dass Ihnen am Ende der Anfang nicht mehr gefällt?

Ich mache das schon auch, dass ich etwas neu zeichne. Wir machen das ja auch mit unseren Erinnerungen: Wir denken an Dinge, die uns passiert sind, und in unserem Gedächtnis schreiben wir sie einfach um. Wir vergessen total, was da noch passiert ist oder welche Menschen dabei waren, und ersetzen sie durch andere Leute.

"Rusty Brown" ist nicht nur ein Antiheld, sondern ein Anti-Superheld. Ist das Ihr Statement dagegen, dass in Comics und Filmen nur mehr Superheroen gefeiert werden?

Das ist keine Absicht. Als ich vor 20 Jahren damit angefangen habe, war es ja noch absurd, sich vorzustellen, dass erwachsene Menschen sich Filme mit Superhelden ansehen und ernsthaft darüber diskutieren. Ich kann noch immer nicht glauben, dass das die amerikanische Welt ist, in der wir leben. Als Kind waren Superhelden peinlich! Man hat sich über dich lustig gemacht, wenn du so etwas gelesen hast. Aber wir machen uns die Kultur, nach der wir uns sehnen.

Kann es daran liegen, dass diese Art Comics eine originale Kunst der USA sind?

Als sie entstanden sind, füllten sie die Lücke der abwesenden Väter im Zweiten Weltkrieg, sie reflektierten aber auch den arroganten amerikanischen Impuls, immer alles richten zu können, das moralische Zentrum der Welt zu sein, das auf alles eine Antwort hat, was natürlich beschämend falsch ist. Außerdem erscheinen sie mir auch ziemlich faschistisch. Sie scheinen gerade sehr passend für die USA zu sein - und das ist nichts Gutes. Ich persönlich finde das echte menschliche Leben schon seltsam genug, ich muss es nicht noch durch einen Verstärker jagen.

Ihre Graphic Novels werden mit großer Literatur verglichen. Wie würden Sie Ihre Arbeit selbst kategorisieren?

Ich schreibe für Leser, die auch große Literatur lesen wollen. Das klingt arrogant, ist aber mein Anspruch an mich selbst. Mein Standard ist Tolstoi, Proust, Tschechow, Woolf, Zadie Smith, Maya Angelou. Aber auf der anderen Seite schätze ich beim Comic das Unprätentiöse. Comics kann man leicht abschütteln. Wenn man in ein Museum geht und ein Bild nicht versteht, ist man wahrscheinlich selbst schuld. Wenn man einen Comic nicht versteht, dann ist eher der Zeichner ein Idiot. Das ist eine sehr ehrliche Beziehung zwischen Leser und Autor.

Die Ästhetik von "Building Stories" erinnert auch oft an wissenschaftliche Grafiken - wie kommt’s?

Ich mag jede Form, die uns die Welt verstehen lässt, technisch, piktografisch. Und ich komme dann immer wieder darauf zurück, wie wir Dinge erinnern und begreifen, und versuche, neue Wege zu finden, unser sich ausbreitendes vielschichtiges Bewusstsein darzustellen, wie simultane Dinge in unserem Gehirn passieren. Ich bin der Feinheit und der Textur der Realität auf der Spur. Ich finde nicht, dass die Mehrheit der Graphic Novels mit ihren Bild/Text, Bild/Text-Abfolgen die Realität richtig einfangen können. Genauso wie Fernsehen nichts mit Realität zu tun hat, das ist ein barocker Zugang, wie man aufregende Abenteuer nachstellt. Ich orientiere mich lieber am Rhythmus von Musik.

Gehe ich recht in der Annahme, dass Rusty Brown nicht zufällig Brown mit Nachnamen heißt?

Ja, Brown ist in der Geschichte der Comics ein merkwürdig beliebter Nachname. Schon um die Jahrhundertwende gab es eine Figur namens Buster Brown, ein kanadischer Underground-Cartoonist heißt Chester Brown, ein amerikanischer Jeffrey Brown. Ich glaube, einen Brown hab’ ich jetzt vergessen.

Und dann gibt es noch Charlie Brown. Für wie wichtig erachten Sie das kulturelle Erbe der "Peanuts"?

Charles Schulz war ohne Zweifel der größte Cartoonist aller Zeiten. Er hat über 50 Jahre seine Persönlichkeit auf die Seiten gebracht, er hat den Lesern beigebracht, dass man sich um eine Figur sorgen kann. Er hat das essenzielle Werkzeug der Empathie eingeführt. Ohne ihn könnte meine Generation keine langen Geschichten zeichnen über Charaktere, die einem Leser am Herzen liegen. Ich mochte Charlie Brown so sehr, ich wollte, dass es ihm besser geht. Schulz hat geschafft, sein Herz auf den Strips auszubreiten. Ich denke jeden Tag an ihn, er war so ein guter Mensch, sehr bescheiden, fast beschämt von seinem Ruhm. In den USA bräuchten wir mehr von seiner Art, wir haben gerade ziemlichen Hunger nach Männern, die keine Halunken sind.