Der US-Präsidentenwahlkampf hinterlässt aktuell wieder einmal seine Spuren in der Welt der Comics. Aber längst interessieren sich nicht nur eingefleischte Comicfans dafür - wie eine moderne amerikanische Mythologie sind Superhelden als Metapher bereits längst selbst Teil der politischen Kommunikation geworden.
Bestes Beispiel dafür ist der Begriff des Green Lanterism, den etwa der Ökonom Paul Krugman immer wieder in seinen Kolumnen und Tweets verwendet. Der Begriff entstand bereits in den Jahren der George W. Bush Regierung als Kritik an einer vermeintlichen Überschätzung des Präsidentenamts. Der Vorwurf war, dass manche Berater meinten, der Präsident habe nur mit vollem Willen und aller Macht seine Ideen zu verfolgen und könne so - fast wie der mit einem galaktischen grünen Energiering ausgestattete Held Green Lantern im DC-Universum - unglaubliche und für unmöglich gehaltene politische Erfolge erzielen.
Eine Frage der Farbe

Entweder solle er wie Präsident Lyndon B. Johnson hinter den Kulissen Abmachungen schließen oder aber wie Ronald Reagan als großer Kommunikator die öffentliche Meinung zu seinem Gunsten beeinflussen. Er müsse nur mit viel Vorstellungskraft und Ideenreichtum Führerschaft übernehmen, das realpolitische Umfeld und die Strukturen wären bei vollem Einsatz zweitrangig und können übergangen werden. Noch 2015 nannten Unterstützer in Zeitungsbeiträgen Donald Trump, diesmal in vollen Ernst, einen "Green Lantern candidate". Heute würden Trump-Kritiker wohl daran erinnern, dass es auch gelbe und sogar orange Ringträger in den DC Comics gibt: Deren Superkräfte speisen sich aus Furcht und - irgendwie bezeichnend - aus Gier.

Von solchen Superheldenvergleichen ist im Wahljahr 2020 wenig übrig geblieben. Vor allem bei den großen Mainstream-Comicverlagen Marvel und DC kommt der laufende Wahlkampf nur als reine Kulisse vor. Natürlich gibt es in einem Wahljahr immer öfter Titelbilder, auf denen die jeweiligen Helden "zufällig" gerade vor dem Capitol oder dem Lincoln Memorial in Washington ihre Abenteuer erleben, aber über Staffage geht es kaum hinaus.
In der neuen Serie im Watchmen-Universum etwa erlebt die moralisch höchst ambivalente Figur Rorschach sein Comeback und scheint bei einem Attentatsversuch auf einen Präsidentschaftskandidaten eine Rolle zu spielen. Man darf jedoch vermuten, dass dies wohl nur als Aufhänger für die eigentliche Geschichte fernab des politischen Geschehens dienen wird. Diese auffällige Zurückhaltung wird wohl einerseits mit der durch Covid-19 und den digitalen Wandel ausgelösten Krise der klassischen, gedruckten Monatshefte zu tun haben, aber auch dem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima in der Comicbranche geschuldet sein. Zu schnell werden progressive, "woke" MacherInnen von Kritikern als naive Social Justice Warriors verunglimpft, während diese Kritiker selber in die Nähe der reaktionären und oft frauenfeindlichen Comicgaters gestellt werden und mit Boykottaufrufen konfrontiert sind.
Wenn man heute aktuelle Hinweise auf die Wahl und den Präsidenten Trump suchen will, so lohnt es sich, andere Comicgenres zu beobachten. Einen wahren Boom haben Parodien kleinerer Verlage in den letzten Jahren erlebt. Oft wird dabei die Person Trump persifliert, so konnte man ihn schon einmal als orangen Hulk bei seinen Zerstörungsorgien erleben, oder aber auch - von seiner Unterstützerseite erdacht - als Anführer einer Space Force beobachten, wenn er die von Alien übernommenen Anführer der demokratischen Partei ausschaltet. Der Nischenverlag Devils Due Comics etwa hat es in diesem satirischen Metier zur Meisterschaft gebracht und hält dabei mit seiner politischen Ausrichtung nicht hinterm Berg. Hier erleben die progressiven Politiker der Demokraten ihre Abenteuer als Superhelden.
Die Wonder Women
Die Abgeordnete Alexandra Ocasio-Cortez erinnert als Amazone an Wonder Woman und der von seiner jüngeren Anhängerschaft verehrte Senator Bernie Sanders triumphiert als muskelbepackter He-Man - mitsamt Halbglatze. Ehrlicherweise sei aber erwähnt, dass der Inhalt der Hefte mit den attraktiven Titelbildern dann doch kaum mithalten kann. Für den Image Verlag wiederum hat der Autor Jimmie Robinson ganz aktuell seine absolut politisch unkorrekte Antiheldin Bomb Queen für eine vierteilige Miniserie aktiviert. Diesmal soll sie ihre Popularität nutzen und gegen Donald Trump im Wahlkampf antreten, und das obwohl sie eigentlich dessen anarchischen Politikstil schätzt.
Für die Leser wirklich erschreckend ist dabei, dass die Handlung 2024 stattfindet - dieser Comic-Trump strebt also offenbar sogar eine dritte Periode als Präsident an. Inhaltlich und künstlerisch auf einem ganz anderen Niveau präsentiert sich da "Ausnahmezustand" von James Sturm, erschienen auf Deutsch bei Reprodukt. In monochromen, grau schattierten Episoden beobachtet man in kurzen Episoden, wie in der von vermenschlichten Hunden bewohnten Welt die Ehe von Mark und Lisa zerbricht. Der Betrug wird zum Leitmotiv, einerseits in der Beziehung der beiden wie auch in der amerikanischen Gesellschaft im Hintergrund der Wahl von 2016, und man fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Aus dem gerade noch begeisterten Bernie-Sanders-Anhänger Mark spricht nur noch Verachtung für Hilary Clinton und deren Anhängerin Lisa. Ob er überhaupt an der Wahl teilnimmt oder sogar den verhassten Trump, der nur in einem einzigen Bild auftaucht, aus Trotz wählt, bleibt unklar. Während Mark seinen Truck und somit seine Unabhängigkeit verkaufen muss und er sich bei einem zwielichtigen Bauunternehmer verdingt, hat Lisa - aus wohlhabenden Familienhaus kommend - es leicht, sich auf den sozialen Medien politisch zu engagieren. Er hat sich mit geplatzten Schecks herumzuschlagen und kämpft währenddessen um das Besuchsrecht für die beiden gemeinsamen Kinder. Alltägliche Sorgen und Streit mit den Kindern wegen der maximal erlaubten Spielezeit am Handy nehmen Mark alle Energie. Der gemeinsame Urlaub mit den Kindern im November an der Küste von Neuengland kann nicht mit früheren Familienurlauben mithalten - es hat schon seinen Grund, warum in der Nebensaison (Off Season ist immerhin der Originaltitel dieses Comics) die Geschäfte halb leer stehen.
Und trotzdem gibt es immer wieder Momente voller Freude und Glück. Eine Versöhnung ist hier noch nicht ganz ausgeschlossen, sowohl für Mark und Lisa wie auch das zersplitterte Amerika. Ohne erhobenen Zeigefinger hat James Sturm damit einen intelligenten Comic geschaffen, der zum Nachdenken anregt.