Meine Atemzüge waren die einer, wie mir vorgekommen war, / vollkommen zerstörten Lunge gewesen, / ein fürchterlicher Zerstörungsprozeß war jedesmal, / wenn ich ein- oder ausatmete, deutlich erkennbar [...]." Was sich anhört wie ein aktueller Bericht aus einer Covid-Intensivstation, ist tatsächlich Thomas Bernhards Autobiografischen Schriften entnommen. Im Jahr 1949 wird der 18-Jährige mit einer schweren Rippenfellentzündung auf eine Krankenstation verbracht, auf der sich vorwiegend "Todeskandidaten" aufhalten.
Jugend als Krankengeschichte
Mitte der 1970er Jahre hat Bernhard mit seinen autobiografischen Rückblicken in die eigene Kindheit und Jugend begonnen. Seit 2018 erscheinen die Prosastücke als Comicinszenierungen des Innsbruckers Lukas Kummer beim Residenz Verlag. Nach "Die Ursache - Eine Andeutung" (1975/2018) und "Der Keller - Eine Entziehung" (1976/2019) ist zuletzt "Der Atem - Eine Entscheidung" (1978/2021) herausgekommen.

Literatur geschieht niemals im luftleeren Raum. Bernhards Erzählung "Der Atem" richtet den Fokus auf die Spitäler, vor allem auf die Patienten, die mit einem schweren Krankheitsverlauf isoliert auf einer Station liegen, die eine bösartige Krankheit überstehen, aber auch auf die Sterbenden und die Verstorbenen. Sie liest sich wie ein Stundenbuch zur Covid-Zeit, wie ein Requiem auf die in den Stationen Sterbenden, doch zugleich ist "Der Atem" auch ein Auferstehungsbuch für den Autor selbst. Kummers Comicversion ist gleichsam das Brevier dazu, im wörtlichen Sinne einer kurzen Fassung.
Der in Kassel lebende und lehrende Zeichner, Jahrgang 1988, begegnet der Textvorlage mit Zurückhaltung. Ausgerechnet die durch die Comicpanels stakkatoartig erwirkten Unterbrechungen von Bernhards sich lang dahinziehenden Sätzen verstärken ihren Duktus der scheinbaren Endlosigkeit, indem sie halb absetzen, um dann fortzufahren.
Doch wie lässt sich Bernhards Verfahren der Wiederholung auf der Bildebene umsetzen, dass es auch noch beim dritten Mal wie neu aussieht? In "Die Ursache", dem ersten Band, hatte Kummer mit der bildlichen Spiegelung der nationalsozialistischen Schule in der katholischen nach 1945 eine pointierte Umsetzung des literarischen Prinzips geliefert. Doch die sich wiederholende Wiederholung erweist sich, wie der Zeichner im Gespräch einräumt, bei zunehmender Band-Anzahl als anwachsenden Herausforderung.
Die Zeichnungen bleiben nahe am Text
Kummers sparsamer Realismus bleibt nah am Text, zeigt die Gegenstände stark formalisiert und Gesichter nur schemenhaft. Im aktuellen Band geben die hellen Hintergründe die sterile Stimmung der Krankenhaussäle wieder. Sequenzen mit geringfügigen Änderungen in den grafischen Wiederholungen bilden neben Bernhards syntaktischem Duktus das langwierige Patientendasein ab.
Die Darstellung sich wiederholender krankenhäuslicher Ödnis ist allerdings eine Gratwanderung. Hinweise auf greifbare Gegenstände in der Vorlage wirken wie grafische Rettungsanker. Ein Beispiel bietet das Gurkenglas, das mit einem roten Gummischlauch und einer Punktionsnadel verbunden wird, um dem Patienten "drei Liter einer gelbgrauen Flüssigkeit" aus dem Brustkorb abzusaugen. "[N]ach und nach, / und zwar stoßweise / unter rhythmischen / Pump- / und Sauggeräuschen" spuckt besagter Gummischlauch eine grau-schwarz kolorierte Masse in das Gurkenglas, das panelweise voller wird. Das Wechselspiel von Wortfetzen und (grauen) Farbklecksen läuft hier zu einer Hochform des Comicmediums auf.
Gegenläufig lässt Kummer am Ende der Gurkenglas-Sequenz die Panelhintergründe von oben nach unten zusehends eindunkeln. Die zunehmenden Graustufen bis hin zur Einschwärzung signalisieren den schrittweisen Verlust des Bewusstseins der Hauptfigur.
Nicht durchgehend ist die grafische Umsetzung derart überzeugend. Als weitere Strategie lässt der Comic Krankenhauspersonal oder Besucher gelegentlich verschwommen erscheinen, um die Sichtweise des geschwächten Protagonisten zu markieren. Dass der Zeichner die Schrift, die an eine frühe Schreibmaschine erinnert, selbst entwickelt hat, lenkt die Aufmerksamkeit auf die grafische Materialität des Buchstabens. Die jeweils in unterschiedlichem Maße ins Bild ragenden Textmengen rufen einen ästhetischen Effekt hervor, indem sie ein an Gezeiten erinnerndes Auf und Ab zeichnen, das im Kontext an die Lungentätigkeit und den Rhythmus des Ein- und Ausatmens denken lässt.
Dass Bernhards Erzählung entgegen der unterkühlten Krankenhausatmosphäre zugleich von einer unglaublichen Wärme getragen ist, lässt sich an den bisherigen Ausführungen nicht ahnen. Bevor Bernhard in die Klinik eingeliefert wird, ist sein Großvater erkrankt und in das selbe Krankenhaus eingeliefert worden. Während dieser, der Schriftsteller Johannes Freumbichler, selbst noch auf Untersuchungsergebnisse wartet, besucht er seinen Enkel Bernhard regelmäßig. "Jetzt mußte es aufwärts gehen." Die Großvater-Besuche nennt der Autor als wesentlichen Grund für seine "Entscheidung" zum Leben (auf die der Untertitel der Erzählung anspielt).
Liebe statt Tiraden
Durch die Aussparungen einiger notorischer Tiraden Bernhards kommt im Comic diese Liebeserklärung an den Großvater noch stärker zum Ausdruck. Sein Großvater wird die Krankheit nicht überleben, was zur Folge hat, dass die "Schule meines Großvaters [...] abgeschlossen gewesen (war)".
Für Bernhard begann allerdings ein zweites Leben. Neben seinem Großvater errichtet der Autor auch seiner Mutter in melancholisch-gefühlvollen Worten ein geradezu herzzerreißendes Denkmal. Für uns Covid-Kundige allerdings wirkt Bernhards Erzählung über seine Grenzerfahrungen mit dem Leben wie eine eindringliche und beherzigenswerte Ermahnung: "Ich bin sicher, ein Besuch im Sterbezimmer hatte auf den Besucher eine lebenslängliche Wirkung."