Joe Sacco, Zeichner und Reporter der Zerstörung. - © Michael Tierney
Joe Sacco, Zeichner und Reporter der Zerstörung. - © Michael Tierney

Verzweifelte Menschen. Zerstörte Städte. Der Schmerz in den Gesichtern und die Grausamkeit des Alltags. Aber auch die Hoffnung, die Unterstützung und der Zusammenhalt. Die menschliche Natur in allen Facetten im Krieg. Keine Wertungen, sondern der Versuch abzubilden, wie das Leben ist. Doch ist es keine textlastige Reportage, auch keine Foto-Dokumentation der Ereignisse in bunten Bildern und viel Blut, sondern ein Comic. Dabei aber eindringlicher und tiefgründiger und näher an den Menschen als viele klassische Kriegsreportagen in den Massenmedien. Der Mann hinter diesen Comics heißt Joe Sacco.

Joe Sacco ist beides – Journalist und Cartoonist. Und er schuf sein eigenes Genre – den investigativen Kriegscomic. Ein Comiczeichner als Kriegsreporter? Vor Sacco kaum denkbar, durch Sacco aber nicht nur akzeptiert, sondern weithin anerkannt und geschätzt. "Wir leben in einer visuellen Welt und Menschen reagieren auf das Visuelle. In Comics kann man das Interessante und solide Informationen in ein ansehnliches, ein schmackhaftes Format bringen", so der Zeichner über seinen Zugang. Sacco hat keine Angst, sich in die gefährlichen Gegenden, zu den dunklen Plätzen der Geschichte zu begeben. Seine Leser finden sich in vom Krieg zerstörten Schauplätzen wieder, sei es Goražde  oder Palästina. Durch seine Worte und Zeichnungen werden die traumatischen Erlebnisse der Zivilbevölkerung offenbar. Die alltäglichen Probleme und der Überlebenswille, aber auch der Zusammenhalt, der die Menschen ausmacht, werden sichtbar. Sacco zeichnet die Geschichten nach, die in den Mainstream-Medien oft nicht beleuchtet werden. Sei es, weil die Zeit fehlt, oder aber auch das Interesse am Alltag – auch wenn es ein schwerer ist.

Um Joe Saccos Blick auf die Welt und sein Interesse an den – zunächst vielleicht weniger bedeutenden – Kleinigkeiten zu verstehen, muss man einen Blick auf seine Biografie werfen. Im Alter von elf Jahren hatte Sacco schon auf drei verschiedenen Kontinenten gelebt.  Geboren 1960 in Malta, verschlug es ihn und seine Eltern, eine Lehrerin und ein Ingenieur, in einer letzten Welle von Nachkriegsemigranten nach Australien. Der australische Staat kam damals für die Überfahrt der gesuchten europäischen Arbeitskräfte auf. Doch nicht alle waren von den neuen Arbeitskräften begeistert – Saccos Eltern sahen sich am Arbeitsplatz mit Anfeindungen und Vorurteilen konfrontiert und entscheiden sich daher, in die USA, genauer gesagt nach Los Angeles, auszuwandern. Damals war der kleine Joe gerade einmal elf Jahre alt.

Der Wechsel von Australien in die USA verlief problemlos, aber auch sehr überraschend. Sacco beschrieb in einem Interview eine Episode, die für sein späteres Leben relevant war: "Eine der ersten Fragen, die mir die neuen Klassenkameraden in den USA stellten, war ‚Was für eine Sprache spricht man in Australien?‘ Ich war total verblüfft. In Australien haben wir eine Menge über die Welt und andere Staaten, Menschen und Gesellschaften gelernt – das war ein echter Schwerpunkt – und dann das. Da wussten die Amerikaner nicht einmal, dass dort Englisch gesprochen wurde." Auch der Unterricht – Sacco beschreibt ihn oft als sehr eindimensional und einseitig, etwa was die Rolle der Palästinenser betrifft – trug dazu bei, dass Sacco einen speziellen Zugang zu Information und Wissen suchte. "Ich mag das Wort Globalisierung nicht – es wird immer noch zu positiv besetzt genutzt, ich sehe aber so viel Negatives darin. Aber einen Vorteil brachte mir die Globalisierung, ich bin viel herumgereist und wurde nirgendwo sesshaft." Das Reisen in früher Kindheit hatte einen positiven Einfluss auf sein Weltbild, so Sacco rückblickend, es sei eine gewissen Entfremdung, eine Entwurzelung eingetreten, aber in einem positiven Sinne.

Die Ergebnisse einer solchen Entwurzelung waren schon in der Kindheit sichtbar: Während seine Freunde draußen spielten, las Joe lieber drinnen seine Comics – "The Phantom" oder auch "Mad". Mit sechs Jahren zeichnete er seine ersten Geschichten. Doch trat diese Ausdrucksform in den Hintergrund, als Sacco auf der Highschool schon die Weichen für eine klassische journalistische Karriere stellte. "Ich habe begonnen, Austauschschüler zu interviewen, und habe erkannt, dass ich es liebte, die Geschichten der Menschen zu hören."

Sacco studierte Journalismus, gab jedoch den klassischen Print-Journalismus bald wieder auf, weil er, wie er sagt, keinen befriedigenden Job finden konnte. Er zog nach Berlin und widmete sich seiner Leidenschaft, dem Comiczeichnen. Zwischen 1988 und 1992 reiste er in der Welt herum und nahm unter anderem an der Europa-Tournee der Rockband Miracle Workers teil. In dieser Zeit kreierte er auch seine eigene Comic-Buchreihe unter dem Namen "Yahoo".

Seinen großen Erfolg und sein internationale Renommee begründete sich durch seine intensive Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt. Ende 1991 besuchte er Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete. Weil das dort Erlebte ihn nicht mehr losließ, widmete er Palästina ab Januar 1993 eine Reihe von Geschichten. Seine reportageartigen Comics, in denen sich Text und Bild abwechseln, ähneln der Form nach dem Werk "Maus – Die Geschichte eines Überlebenden" von Art Spiegelman. 1996 wurde "Palästina", in zwei Bänden publiziert, als beste neue Serie für den prestigeträchtigen Harvey Award nominiert. Dabei hat Sacco "keine formale künstlerische Ausbildung, ich arbeitete vor meiner Recherche vor allem als Cartoonist."

Nach seinen Aufenthalten im Nahen Osten reiste Joe Sacco, der sich als zeichnender Journalist definiert, in die bosnische Enklave Goražde: "Ich bin zwischen Ende 1995 und Anfang 1996 vier Mal hingefahren. Zum Zeitpunkt meiner Ankunft hatten die Einwohner Goraždes schon dreieinhalb Jahre Krieg hinter sich. Sie wurden bombardiert, waren praktisch ausgehungert und kämpften Haus um Haus, um ihre Familien zu verteidigen. Sie lebten in zerstörten und verbrannten Häusern, oft ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Sie waren immer noch von befreundetem Gebiet abgeschnitten. Und sie wussten nicht, ob ihre Situation im Friedensprozess berücksichtigt werden würde. Doch sie begannen auch zu begreifen, dass sie vielleicht bald die Nachkriegszeit planen mussten, wieder an die Banalität anknüpfen mussten und an die Welt vor den nationalistischen Parolen, dem Hunger, den Geschossen und den Massakern. Diese Realität habe ich versucht zu beschreiben."

Der Alltag nach dem Krieg – im Flüchtlingslager oder in zerstörten Städten  – der Reporter als Beobachter und Zuhörer. - © Joe Sacco, Edition Moderne
Der Alltag nach dem Krieg – im Flüchtlingslager oder in zerstörten Städten  – der Reporter als Beobachter und Zuhörer. - © Joe Sacco, Edition Moderne

Ende 1998 machte er sich auf, in Details die Prozesse am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag zu verfolgen. 2009 veröffentlichte er mit "Footnotes in Gaza" (deutsch "Gaza", 2011) eine Fortsetzung von "Palästina". Zu den Hintergründen erklärt Sacco selbst: "1992 bin ich nach Palästina gereist, weil ich wissen wollte, was dort wirklich abläuft. Der Konflikt hat mich seither nie losgelassen." Derzeit arbeitet Sacco an einem eigenen neuen Projekt und gemeinsam mit dem Journalisten Chris Hedges an einem Buch über Armut in den USA.

Auf die Frage, warum er sich diese Nische ausgesucht hat und seine Vision von Comics, meinte Sacco: "Comic ist ein Pop-Medium, nun aber lockt es die Leser in komplexe Themen. Das ist subversiv – und ein wichtiger Grund, warum ich dem Comic treu bleibe. Es wäre gut, wenn noch mehr Comic-utoren künstlerische Risiken eingehen würden."

Print-Artikel erschienen am 27. September 2013 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal".