"Die Respektlosigkeit ist in Wien schon sehr groß. Das ist mir erst im Ausland aufgefallen": Nicolas Mahler während des Gesprächs mit der "Wiener Zeitung". - © Foto: Martin Reiterer
"Die Respektlosigkeit ist in Wien schon sehr groß. Das ist mir erst im Ausland aufgefallen": Nicolas Mahler während des Gesprächs mit der "Wiener Zeitung". - © Foto: Martin Reiterer

Der Verlag hat bei mir angefragt, ob es mich interessieren würde, ein Buch aus dem Katalog als Comic zu machen.

Und da sind Sie gleich auf Bernhard gekommen?

Das war mein Wunsch. Eigentlich wollten die "Warten auf Godot" von mir. Da haben sie aber die Rechte nicht gekriegt, weil die Rechteverwalterin gegen Adaptionen ist, auch gegen Verfilmungen. Und dann habe ich "Alte Meister" vorgeschlagen.

War auch das Bildhafte ein Grund dafür, weil Bernhards Roman ja im Kunsthistorischen Museum spielt?

Nein, das ist mir erst später aufgefallen. Beim zweiten Lesen ist mir die Idee gekommen, dass man mit den Bildern aus dem Kunsthistorischen eigentlich einen Großteil der Geschichte erzählen kann. Ab dem Zeitpunkt, als mir das klar wurde, machte die Arbeit großen Spaß.

Warum haben Sie ausgerechnet die "Österreichbeschimpfung" bei Bernhard rausgekürzt?

Ich glaube, dass ich so eine Österreichneurose habe, dass ich mich damit gar nicht beschäftigen wollte. Ich bin ja auf Österreich ganz schlecht zu sprechen. Außerdem ist das Thema ohnehin schon zu sehr mit Bernhard verknüpft.

Zuletzt haben Sie ein Stück von Bernhard adaptiert: "Der Weltverbesserer". Ihre Umsetzung wirkt wie eine Inszenierung. Sind Sie als Zeichner auch Regisseur?

Genau das war mein Anliegen. Einerseits habe ich mir gedacht, bei einem Bühnenstück ist es ja sinnlos, das zu zeichnen, andererseits hat es mich auch wieder gereizt. Und so habe ich es richtig mit "Vorhang auf und zu!" und statisch, ohne Ablenkung, gezeichnet.

Die Figurenkonstellation im "Weltverbesserer" - ein diktatorischer Professor und seine Frau - erinnert an Ihren "Flaschko"-Comic, mit Flaschko, seiner Mutter und einem Fernsehgerät als Akteuren.

Ja, deswegen habe ich ihn auch gemacht. Ich habe mir schon bei der Lektüre gedacht, das erinnert mich sehr an "Flaschko", teilweise mit wortwörtlichen Übereinstimmungen.

Ihre Figuren sind oft komisch und tragisch in einem. "Die Komödie ist nur eine Tragödie vom Mond aus betrachtet." Ist das eine Strategie des Humoristen Mahlers, frei nach Büchner, die Welt vom Mond aus zu betrachten?

Ja, wenn man mittendrin steckt, ist alles traurig, man muss nur warten. Bei Woody Allen heißt es: "Komödie ist Tragödie plus Zeit". Für mich ist das normal. Die Tragödie ist mir zu fad. Oder zu einfach, oder zu alltäglich. Das hat man eh immer. Ich habe schon gern eine Gedankenleistung dabei. Ich finde, dass die Komödie eine viel größere Gedankenleistung als die Tragödie erfordert.

Kommen wir zu Ihrer Adaption von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften": Wie schafft man es, 1000 Seiten auf 150 Seiten zu bringen?

Das ist eigentlich ganz leicht. Der Bernhard war schwieriger. Wahrscheinlich, weil mir der Bernhard näher ist als der Musil. In erster Linie ist es einmal ein ausgezeichneter Titel. Als mir das Buch beim Umräumen zu Hause vor die Füße gefallen ist, habe ich es aufgehoben und zuerst einmal quergelesen. Da habe ich Passagen, die mich interessieren, angestrichen. Andere sind rausgeflogen. Da war ich relativ schnell.

Hatte es für Sie auch einen Reiz, einen "heiligen Text" ein bisschen respektlos anzugehen?

"Musil-Sätze sind ausgesprochen bildhaft. Aber ich habe bemerkt, dass sich Bild und Text gegenseitig die Kraft nehmen. Und da habe ich mir gedacht, ich vertraue auf das Bild." Nicolas Mahler - © Foto: Martin Reiterer
"Musil-Sätze sind ausgesprochen bildhaft. Aber ich habe bemerkt, dass sich Bild und Text gegenseitig die Kraft nehmen. Und da habe ich mir gedacht, ich vertraue auf das Bild." Nicolas Mahler - © Foto: Martin Reiterer

Nein, eigentlich nicht. Ich bin allerdings kein Musil-Verehrer. Der ist phasenweise brillant und dann wieder unerträglich . . .

Was ist unerträglich?

Es ist schon ein extremes Macho-Buch. Einer meiner Arbeitstitel war: "Musil für Maskulinisten", also die Gegenbewegung zu den Emanzen, die auf die Überlegenheit des Männlichen abzielt.

Ich habe mich dann aber doch für jene Motive entschieden, die mich wirklich interessieren. Man könnte jedes Jahr ein Buch zum "Mann ohne Eigenschaften" herausbringen, jeweils mit einem anderen Aspekt.

Sie haben sich u.a. auf die berühmte "Parallelaktion" konzentriert - eine Art Wettrennen mit der Jubiläumsfeier des deutschen Kaisers im Jahr 1918; die österreichische Feier sollte noch größer und pompöser ausfallen.

Das hat mich angesprochen. Das Ganze ist ja wie ein Faschingsball. Und die Figuren sind Archetypen: der General mit der Quaste am Säbel, seine Exzellenz, die Dienerin, die Salondame . . .

. . . und der Frauenmörder Moosbrugger: In Ihrem Buch spielt er eine zentrale Rolle. Da gibt es viele Spiegelungen und Parallelführungen, die Sie zeichnerisch andeuten. Was interessiert Sie an der Figur?

Dass er eine prägnante Figur ist. Im Grunde ist er die einzige Figur im gesamten Roman, die total schlüssig ist. Das ist natürlich verkürzt. In jede Figur kann man viel hineinlegen. Was ich gemacht habe, ist eigentlich keine Adaption, sondern ein Spiel mit Motiven.

Kürzen, Streichen, Weglassen, Überspringen etc. sind Techniken, die Sie ausgiebig nutzen und virtuos beherrschen. Ist Reduktion auch eine Art Lebensstrategie?

Das hat schon etwas mit der Persönlichkeit zu tun. Wie man das Leben wahrnimmt. Das große Ganze kann ich nicht erfassen, das würde mich überfordern. Also muss ich mich an etwas Kleinem festhalten.

Worin sehen Sie die besondere Spannung in der Kombination von Text und Bild, wie sie in Comics vorkommen?