
Noch nie war Schnee vermutlich so heimtückisch wie in Héctor Germán Oesterhelds und Francisco Solano López "Eternauta". Ursprünglich erschienen in Buenos Aires zwischen 1957 und 1959, ist dieser Comic-Klassiker nun erstmals in einer wunderbaren, mit ausführlichen Hintergrundinformationen versehenen Ausgabe auf Deutsch herausgekommen.
Vier Freunde haben sich im Hause Juan Salvos im Norden der Hauptstadt getroffen, um zusammen Truco zu spielen, als sie von einem Lärm unterbrochen werden: Draußen sind Autos zusammengestoßen, Menschen, äußerlich unverletzt, liegen tot auf der Erde. Es schneit - zarte leuchtende Schneeflocken fallen von oben herab: "Wohin man auch sah, über alles legte sich der Schnee, unwirklicher Schnee, Zeichentrickschnee. Todbringender, furchtbar tödlicher Schnee [. . .]"
Unheimliche Stille
Nicht der Zusammenprall, so stellt sich heraus, sondern die weiße phosphoreszierende Substanz in Flockenform ist die Ursache des Todes. Während die Geräusche der Stadt verstummen und eine unheimliche Stille sich ausbreitet, sickert das Ausmaß der Katastrophe, das "Mörderische, das Buenos Aires heimgesucht" hat, allmählich ins Bewusstsein des Protagonisten.
"Eternauta" ist ein Science-Fiction-Comic: Buenos Aires wird von Außerirdischen angegriffen, der tödliche Schnee ist nur ihre erste, infam getarnte Waffe, die sogleich einen Großteil der Menschenleben dieser Stadt auslöscht. Jede Berührung mit den Flocken führt augenblicklich zum Tod. Nur weil Juan und seine Freunde die tödliche Gefahr des Schnees erkennen und sich mit Schutzanzügen ausstatten, überleben sie, zusammen mit Juans kleiner Familie, diesen ersten Angriff der Außerirdischen.
Ihm werden schrecklichere folgen. Auf fast 350 großformatigen Seiten wird dieser Ausnahmezustand des Grauens, der Angst und des Kampfes ums Überleben in Tausenden Schwarzweißbildern entfaltet und durchgespielt - auf atemberaubende Weise.
Zwei Umstände verleihen dem Comic eine ganz eigene Wendung. Zum einen ist die Geschichte als Rahmenerzählung angelegt: Am Schreibtisch eines Comicautors, der Züge Oesterhelds trägt, erscheint eines Abends eine Gestalt aus dem Nichts - der Eternauta, ein ewig durch die Welten wandernder Zeitreisender. Der Eternauta ist Juan Salvo, der den Angriffen der Außerirdischen entkommen ist, indem er ins All hinauskatapultiert und verwandelt wurde. Seither ist er auf der Suche nach seiner Frau und seiner Tochter. Er erzählt die Geschichte der Invasion, die sich im Jahre 1963 ereignet. Doch jetzt befinden wir uns erst in der Mitte des Jahres 1959!
Auf einmal verwandelt sich die Science-Fiction-Geschichte in einen schrillen Kassandraruf: "Was tun, um all diese Gräuel zu verhindern?" Der Autor bleibt mit der Frage allein zurück: "Wird es zu verhindern sein, wenn man all das veröffentlicht, was der Eternauta mir erzählt hat?" Da rückt die reale Gegenwart und Geschichte eines Landes ins Bewusstsein, das seit den 1930er Jahren von einem Staatsstreich zum nächsten taumelt, dessen 1946 schließlich demokratisch gewählter Präsident, Juan Perón, knapp zehn Jahre später, 1955, durch einen weiteren Putsch entmachtet wird, mit dem politische Verfolgungen der peronistischen Linken einhergehen. Vor diesem Hintergrund stellt Oesterhelds Comic scharfsichtig die beklemmende Frage zur politischen Lage: Wohin wird das führen? Tatsächlich wurde die Frage verstanden, Einschüchterungen von Seiten der Regierung waren die Folge, López emigrierte nach Spanien, Oesterheld blieb in Argentinien.
Das anhaltende politische Chaos führt in den folgenden Jahren zu weiteren Putschen und einer tiefen Spaltung der Gesellschaft. Obwohl Perón 1973 aus dem Exil zurückkehrt und ein weiteres Mal eine demokratische Wahl gewinnt, gelingt es ihm nicht mehr, das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft in den Griff zu bekommen. Stattdessen bereitet sein harter Rechtskurs, der mit staatsterroristischen Methoden die ebenfalls gewalttätig gewordene Opposition auszuschalten beginnt, die Militärdiktatur von General Jorge Rafael Videla vor.
"Eternauta" nimmt die Ereignisse dieser dunkelsten Jahre Argentiniens vorweg. Auf schmerzliche Weise werden Oesterheld und seine gesamte Familie selbst darin verwickelt. Wie seine vier Töchter geht Oesterheld in den Untergrund, kämpft gegen das Militärregime, das inzwischen die Gefängnisse in Folterkammern umgewandelt hat und im Lauf der Jahre bis zu 30.000 Menschen grausam ermorden und teils spurlos verschwinden lässt.
Dieses Schicksal erleiden zwischen 1976 und 1978 auch Oesterheld und seine Töchter. Lediglich seine Frau, Elsa Sánchez, und zwei ihrer Enkel, Martín und Fernando, überleben. Anfang 2015 hat Anna Kemper, Journalistin der "ZEIT", deren bewegende Geschichte in einem dem Comic nun beigefügten Artikel dargestellt und damit die Übersetzung von "Eternauta" angeregt.
Aufruf zum Widerstand
1969 unternahm Oesterheld zusammen mit Alberto Breccia den Versuch eines Remakes von "Eternauta". Aufgrund des offenbar zu experimentellen Zeichenstils blieb der Erfolg aber aus, die Autoren brachen das Projekt bereits nach 50 Seiten wieder ab. Hingegen kehrte "Eternauta" 1976, gezeichnet von dem inzwischen für kurze Zeit nach Argentinien zurückgekehrten López, noch einmal wieder: "El Eternauta. Segunda Parte" ("Eternauta, Teil II") stellt ungeschminkt, wenngleich in Farbe, ein Argentinien dar, das von einem faschistischen Militärregime kontrolliert wird, und versteht sich als Aufruf zum Widerstand.