Es war ein anderes Syrien, in das Sarah Glidden vor sieben Jahren gereist ist. In der Comic-Reportage "Im Schatten des Krieges" (Reprodukt) begleitet die Bostonerin Journalisten bei Recherchen in der Türkei, im Irak und eben Syrien. Sie wollten die Folgen des Irakkriegs mit eigenen Augen sehen, trafen auf Flüchtlinge, besuchten Foltergefängnisse und einen Iraker, der in den Fokus der US-Antiterror-Justiz geraten war. Auch wenn sich die Situation seither geändert hat, ist Gliddens Comic-Dokumentation doch eine packende Form, Zeitgeschichte und das Ringen einer Generation von engagierten Amerikanern mit Kollektivschuld zu vermitteln.

Ein Teil der Recherchereise führte in den Irak. - © Reprodukt
Ein Teil der Recherchereise führte in den Irak. - © Reprodukt

"Wiener Zeitung": In Ihrem Buch "Schatten des Krieges" begleiten Sie Journalisten, die Geschichten vom Irak-Krieg erzählen wollten, die sie in konventionellen US-Medien vermisst haben. Welche Informationen waren das?

Sarah Glidden. - © Sarah Shannon
Sarah Glidden. - © Sarah Shannon

Sarah Glidden: Meine Freunde vom "Seattle Globalist" waren und sind der Meinung, dass amerikanische Medien sich nur auf bestimmte Themen einschießen. Sie wollten aus Ländern berichten, die in den USA stigmatisiert sind, in denen "nur schlimme Sachen passieren". So haben sie einmal eine Reportage über einen Mann in Kambodscha gemacht, der früher für die Khmer Rouge Landminen versteckt hat. Und nun sucht er sie eigenhändig mit einem Stock wieder. Meine Freunde wollen verschiedene Seiten von Orten der Welt zeigen, über die viele Amerikaner nur ein oder zwei Dinge wissen.

Ein wenig erinnert diese Empfindung, dass gewisse Nachrichten - aus welchen Gründen auch immer - unterdrückt werden, auch an die aktuelle Fake-News-Debatte...

Derzeit wird über alles zu wenig berichtet, das nichts mit Donald Trump zu tun hat. Es ist aber nicht so, dass sich der Rest der Welt zu drehen aufgehört hat. Medien sind von sich selbst besessen. Wenn Trump Journalisten attackiert, dann berichten sie darüber. Und das ist gut so, denn wir brauchen eine freie Presse. Wer hätte sich einen Präsidenten vorstellen können, der behauptet, manche Nachrichtenportale sind Feinde des amerikanischen Volkes. Ich frage mich, ob er weiß, woher diese Diktion stammt. Es ist ein Problem, wenn Staatsoberhäupter dreist die Unwahrheit sagen. Er erfindet einfach Zahlen, etwa dass drei Millionen Menschen illegal gewählt haben, dafür gibt es keinen Beweis. Das ist so ein Unterschied zu allen bisherigen Präsidenten, die haben zwar Sachen gesagt wie: "Amerika macht große Schritte vorwärts". Das war jetzt auch nicht direkt wahr, aber sie haben sich nicht erfundene Zahlen aus dem Arsch gezogen. Es ist schon verrückt, wenn wir über Fake-News reden, sprechen wir über zwei völlig unterschiedliche Dinge: einerseits über diese viralen, erfundenen Geschichten auf Facebook und Co und andererseits über Trump, der seriöse Medien beschuldigt, Fake-News zu verbreiten.

Auf Ihrem Blog gibt es einen trostlos-witzigen Cartoon, in dem alle Nachrichten bis zum Wetterbericht nur mehr schrecklich sind. Kann es auch zu viele schlechte Nachrichten geben, um sie auch zu verdauen?

Ja, und das ist schädlich, denn wir sollten uns fokussieren und organisieren. Viele Menschen glauben, sie können die ganzen Informationen in sich einsaugen, aber du könntest den ganzen Tag Nachrichten lesen und du wirst am Ende noch weniger wissen.

Mit Ihrem Buch wollten Sie sozusagen ein Making-of von Journalismus machen, dabei haben Sie auch festgehalten, an welche Grenzen Ihre Freunde gestoßen sind. Was haben Sie über Journalismus erfahren?

Er ist viel komplizierter, als ich dachte. Das ist keine noble, makellose Profession. Man muss viele schwierige Entscheidungen treffen und oft trifft man die falsche. Der beste Journalismus ist einer, der zeigt, dass die Menschen, die an anderen Orten leben, trotzdem nicht anders sind als wir. Ein Journalismus, der die Menschen dreidimensionaler macht: Auch Bösewichte sind Menschen, auch Opfer machen Fehler, die Dinge sind komplizierter, als uns Politiker das weismachen wollen.

Was kann Journalismus nicht?

Er kann keine objektive Wahrheit liefern, außer vielleicht der Wetterbericht. Jeder Journalist hat seine eigene Perspektive, er spricht mit manchen Menschen und mit manchen nicht. Deswegen brauchen wir unterschiedliche Nachrichtenquellen, damit wir ein größeres Ganzes erkennen.

Was war die eindrucksvollste Begegnung bei Ihrer Reise?

Das waren die irakischen Flüchtlinge, die - was ich verstehen kann - einige bittere Worte für Amerikaner über hatten. Aber sie haben immer sehr schnell differenziert: Wir sprechen über eure Regierung, nicht über euch! Das war eindrucksvoll: Nach allem, was sie durchgemacht hatten, haben sie etwas geschafft, was viele Amerikaner nicht können. Viele von uns tendieren dazu, Bewohner eines Landes mit deren Regierung gleichzusetzen.

Sie zeichnen "Non-Fiction"-Comics, dieses Genre scheint immer populärer zu werden. Können Sie sich erklären, warum?

Den Trend gibt es schon eine Weile in den USA. In Frankreich gibt es ein Magazin, "21", in dem sind die letzten 30 Seiten immer reserviert für Comic-Journalismus. Ich glaube, diese Comics sind so populär, weil wir mit Nachrichten überhäuft werden und dabei alles so gleich aussieht. Wir sehen Text um Text um Text. Wenn dann plötzlich ein Comic aufpoppt, dann ist das einmal eine Abwechslung. Wir haben uns vielleicht auch schon zu sehr gewöhnt an konventionelle Nachrichten. Ein handgezeichnetes Bild zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich als ein Foto. Es kann eine stärkere Verbindung herstellen zu denjenigen, über die berichtet wird, aber auch zu Themen, die eher abstrakt sind.