Wien. Treffen sich zwei digitale Ichs: Sie verliebt sich über eine Online-Partnerbörse in seinen Humor zwischen den Zeilen. Er sich in ihre schlagfertigen Antworten. Als sie einander zum ersten Mal offline treffen, scheinen allerdings sämtliche Gefühle füreinander im digitalen Raum geblieben zu sein. Er ist nicht derjenige, zu dem sie dessen Sätze, Smileys und Herzen geformt hatte. Und sie ist für ihn viel zu schüchtern, um sie mit ihrem digitalen Ich in Einklang zu bringen. Es funkt nicht zwischen den beiden.
Wurde hier wertvolle Zeit vergeudet? Ist es überhaupt möglich, sich im Online-Modus ehrlich in jemand anderen - ebenfalls im Online-Modus - zu verlieben? "Beim Online-Dating wird das Pferd von hinten aufgezäumt", sagt dazu Caroline Erb, die seit 2007 als Klinische und Gesundheitspsychologin für die österreichische Online-Partnerbörse Parship.at arbeitet. Parship wurde 2001 gegründet und kam 2002 nach Österreich. Beim ersten Kennenlernen im digitalen Raum verliebe man sich zunächst nicht in das Aussehen, die Gestik oder die Stimme des anderen, sagt Erb. Vielmehr liege der Fokus auf der Analyse und der Zuordnung jener Merkmale, die für eine langfristige Partnerschaft relevant seien.

"Früher waren es die Briefe"
In weiteren Schritten könne es um die Frage gehen, wie man jemanden durch eine besonders gewitzte Beschreibung seiner selbst oder durch originelle Antworten auf sich aufmerksam macht. "Früher waren das die Briefe auf Büttenpapier - heute sind es E-Mails."
Danach, möglichst rasch, sollte man jedoch telefonieren, so Erb, um die Stimme des anderen kennenzulernen und ein besseres Gefühl für ihn zu bekommen. Und bald darauf sollte man sich persönlich treffen.
Nun gibt es mehrere Möglichkeiten. Eine davon ist der eingangs erwähnte Fall, aufgrund dessen Erb immer zu einem baldigen Treffen rät. "Sonst schreibt man lange, und das Bild hält dem ersten Date nicht stand." Die Chemie könne aber auch stimmen - und dann kämen die Vorteile des Online-Datings
laut Erb zum Tragen. "Man hat im Vorfeld schon klar deklariert, was man sich von einer Partnerschaft vorstellt, ob man zum Beispiel Kinder möchte oder nicht, und man wurde über die Algorithmen der Online-Partnerbörse zusammengeführt."
Liebe auf den zweiten Blick
Diese würden seit den 70ern erforscht und perfektioniert, aktuell müsse jeder, der sich bei Parship.at anmeldet, mehr als 70 Fragen etwa zu Interessen und Wertvorstellungen für sein Persönlichkeitsprofil beantworten. Wichtig dabei laut Erb: "Es geht nicht um eine Selbsteinschätzung, durch die man ein verzerrtes, geschöntes Bild seiner selbst präsentieren könnte, sondern um direkte und indirekte Fragestellungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen."
Studien von Parship.at zufolge ist das Tempo, sofern die Chemie auch offline stimmt, ein höheres. "Man macht schneller Nägel mit Köpfen und zieht schneller zusammen." Und: Man könne im digitalen Raum Menschen kennenlernen, die zu einem passen, die man allein durchs Fortgehen in einer Bar oder einem Pub nie kennengelernt hätte.
Es sei also nicht unbedingt Liebe auf den ersten, aber durchaus auf den zweiten Blick möglich. Einer Studie der Online-Partnerbörse zufolge hat bereits jede vierte Beziehung in Österreich ihren Ursprung im Internet. Hauptzielgruppe fürs Online-Dating sind laut Erb die 28- bis 55-Jährigen. Die "Erfolgsquote" bei Parship.at, wo die Frauen unter den Mitgliedern mit 52 Prozent leicht überwiegen, liege bei 38 Prozent. An zweiter Stelle beim Kennenlernen liegt der Freundeskreis, gefolgt vom Ausgehen.
Eine weitere Studie der Plattform unter 1500 Personen zwischen 18 und 69 Jahren ergibt allerdings, dass die Anzahl der Singles in Österreich seit Jahren konstant ist. In den vergangenen zwölf Jahren schwankte sie demnach zwischen 26 und 32 Prozent. Im Vorjahr gab es 28 Prozent Singles. Die Statistik Austria kommt auf einen ähnlichen Wert, in Zahlen rund 1,7 Millionen Menschen. In der Altersgruppe der unter 30-Jährigen gab es der Studie zufolge mit 44 Prozent die meisten Singles. Rund 62 Prozent sehnen sich nach einer fixen Beziehung.
Der Partnerbörse zufolge halten allerdings die im Internet gestarteten Beziehungen am kürzesten und jene, die mit dem Kennenlernen beim Ausgehen begannen, am längsten. Macht die Online-Partnersuche, für die man noch dazu meist hunderte Euro pro Jahr bezahlt, dann überhaupt Sinn? Oder kann man sich gleich in eine Bar setzen - und abwarten? "Die Partnersuche hat sich extrem verändert", meint dazu Persönlichkeitstrainer und Flirtcoach Horst Wenzel, Geschäftsführer der "Flirt University" in Köln, diplomatisch - und desillusionierend: "Die eierlegende Wollmilchsau gibt es bei der Suche nach dem perfekten Partner nicht." Ein Nachteil, wenn sich ein digitales Ich auf Partnersuche begibt, sei jedoch, dass dieses leicht perfektionistisch werden könne. "Man schaut immer weiter, ob vielleicht doch noch jemand Besserer kommt", sagt Wenzel. Umgekehrt sei das abnehmende Engagement, um den Partner zu kämpfen, sodass man die Beziehung nach kürzerer Zeit beendet, auf die schier unendliche Auswahl im Netz zurückzuführen.
"Die Netz-Identität ist losgelöst"
Diese sei jedoch nicht real, es sei eine Traumwelt, gespickt mit bearbeiteten Fotos und geschönten Texten. "Der Unterschied zwischen digitalem und echtem Ich ist enorm, die Netz-Identität ist völlig losgelöst", sagt Wenzel. Bei dieser gehe es nicht darum, wie man ist, sondern darum, wie man sich präsentiert. Damit schüre man falsche Erwartungen - am Ende seien meist beide Seiten enttäuscht. Denn die Onlineversion des jeweils anderen, in die man sich verliebt hat, existiere in der realen Welt nicht. In dieser herrschten auch Schwächen vor - in die man sich offline allerdings verlieben könnte.
Dem Argument, im digitalen Raum mehr Menschen kennenlernen zu können, entgegnet Wenzel: "Hier geht ganz viel Potenzial verloren. Manche wären vielleicht ein super Paar, kommen aber aufgrund des Algorithmus gar nicht zusammen." Oder die zwei sitzen sogar schon in der Bar nebeneinander, kommen aber nicht dazu, einander in die Augen zu schauen, weil sie auf Online-Partnersuche in ihr Smartphone starren.
Freilich könne bei dieser auch das Schicksal zuschlagen, man solle aber stets auf mehreren Ebenen aktiv bleiben und nicht ausschließlich im digitalen Raum unterwegs sein. Das Online-Dating sollte man neben Alltag, Hobbies und Nachtleben nur als einen weiteren Kanal zum Menschen-Kennenlernen nutzen, sagt Wenzel. Denn viele Singles bei Dating-Apps wie Tinder seien eher auf eine hohe Anzahl an Eroberungen aus, auch wenn diese die Suche nach der großen Liebe in ihrem Online-Profil vorgaukeln.
Insgesamt gebe es aktuell rund 2500 Singlebörsen auf dem deutschsprachigen Markt, sagt Alexandra Langbein des Portals Singlebörsen-Vergleich. Die erste Online-Partnerbörse war Eharmony und ging im Jahr 2000 in Amerika an den Start. Die Tendenz heute gehe in Richtung Dating-Apps, die Anzahl der Nutzer - und der Umsatz - steigen stetig an. Es gebe auch Nischen-Portale zum Beispiel für Mediziner oder Metzger. "Für jede Zielgruppe gibt es heute eine Singlebörse", so Langbein.
Bezahlte Animateure
Bei Partnervermittlungen wie Parship.at seien etwa gleich viele Männer wie Frauen aktiv, auf Seiten für Sexkontakte und Seitensprünge zu 70 Prozent Männer. Aktiver beim Anschreiben seien die Männer - schreibfreudiger die Frauen.
Es gebe allerdings auch unseriöse Portale. Wie zum Beispiel kitzzle.net. "Sie gaukeln vor, dass man echte andere Menschen auf dem Portal kennenlernen könnte. In Wirklichkeit werden Animateure eingesetzt, die von der Plattform bezahlt werden, um den Nutzern das Geld aus der Tasche zu ziehen." Strafen drohen diesen Börsen allerdings selten. Denn die meisten veröffentlichen ihre unseriösen Praktiken laut Langbein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Im Kleingedruckten.