Auch wenn es derzeit höchstens ein paar Plusgrade hat – es wird heißer auf der Erde. Das fühlt nicht nur jeder Mensch jeden Sommer, wenn er immer öfter an Hitzetagen schwitzt. Das untermauerte auch der Weltklimarat mit Zahlen und Fakten. Wenn es so weitergeht mit der ungehemmten Verbrennung von Kohlenwasserstoffen, dann sind die zwei Grad, welche die Wissenschaft der Politik als absolute Obergrenze für den globalen Temperaturanstieg ans Herz legt, bald erreicht und überschritten. Ein scheinbar kleiner statistischer Zuwachs, der im realen Leben wie ein biblischer Sündenfall bestraft wird: mit Dürre und Flut, Sturm und Feuer, wenn man sich die Nachrichten des vergangenen Sommers besieht.

Es sind Innovationen auf allen Ebenen nötig, wenn die angestrebte und angezeigte CO2-Reduktion nicht nur eine auf St. Nimmerlein verschobene Vision bleiben soll. Es geht darum, anders zu essen, anders zu bauen, anders zu produzieren und anders zu fahren, um nur die wichtigsten Hebel zu benennen.

In Mailand.  
- © Mikita Jo

In Mailand. 

- © Mikita Jo

Wie so oft in der Geschichte wäre auch der großflächige Umstieg auf das Rad keine echte Revolution, wenn niemand etwas verliert. In Amsterdam zum Beispiel wurden zahlreiche Autospuren zu Fahrradwegen umgewidmet, um die Stadt den Radlern zu öffnen, bis 2025 sollen 11.000 Autoparkplätze verschwinden, 1.500 pro Jahr. Eingefleischte Autofahrer haben es vermutlich nicht gerade mit Freude zur Kenntnis genommen. Dafür stieg dort der Anteil der Fahrradfahrten im Stadtverkehr auf 38 Prozent. In Wien erfolgten selbst im Lockdown-Jahr 2020 nur neun Prozent aller Fahrten mit dem Rad.

Dabei liegt Amsterdam in der Rangliste der besten Radstädte nur auf Platz 5, davor kommen noch Kopenhagen, Antwerpen, Münster und Utrecht. Das besagt ein Report des deutschen Versicherungs-Startups Coya, der Daten aus den 15 größten deutschen Städten und 75 internationalen Metropolen für einen weltweit angelegten Vergleich auswertete.


Die Studie bewertet die vielen unterschiedlichen Bedingungen, die das Radfahren angenehm oder schwierig machen. Der prozentuelle Anteil der Fahrradnutzung wurden ebenso einbezogen wie zum Beispiel das Wetter. Auch die Anzahl der Fahrradgeschäfte pro 100.000 Radfahrern, die Quantität und Qualität der Radwege, die Verfügbarkeit von Leihfahrrädern oder Fahrraddiebstähle wurden für das Gesamtergebnis herangezogen.

Der Fahrrad-Himmel ist nach dieser Studie die niederländische Stadt Utrecht, die Fahrradhölle die nigerianische Hauptstadt Lagos. Wien liegt in dieser Wertung am 33. Platz, ist also besserer Durchschnitt. Knapp da

Wie so oft in der Geschichte wäre auch der großflächige Umstieg auf das Rad keine echte Revolution, wenn niemand etwas verliert. In Amsterdam zum Beispiel wurden zahlreiche Autospuren zu Fahrradwegen umgewidmet, um die Stadt den Radlern zu öffnen, bis 2025 sollen 11.000 Autoparkplätze verschwinden, 1.500 pro Jahr. Eingefleischte Autofahrer haben es vermutlich nicht gerade mit Freude zur Kenntnis genommen. Dafür stieg dort der Anteil der Fahrradfahrten im Stadtverkehr auf 38 Prozent. In Wien erfolgten selbst im Lockdown-Jahr 2020 nur neun Prozent aller Fahrten mit dem Rad.

Radfahrwerte

Dabei liegt Amsterdam in der Rangliste der besten Radstädte nur auf Platz 5, davor kommen noch Kopenhagen, Antwerpen, Münster und Utrecht. Das besagt ein Report des deutschen Versicherungs-Startups Coya, der Daten aus den 15 größten deutschen Städten und 75 internationalen Metropolen für einen weltweit angelegten Vergleich auswertete. Die Studie bewertet die vielen unterschiedlichen Bedingungen, die das Radfahren angenehm oder schwierig machen. Der prozentuelle Anteil der Fahrradnutzung wurden ebenso einbezogen wie zum Beispiel das Wetter. Auch die Anzahl der Fahrradgeschäfte pro 100.000 Radfahrern, die Quantität und Qualität der Radwege, die Verfügbarkeit von Leihfahrrädern oder Fahrraddiebstähle wurden für das Gesamtergebnis herangezogen.

Der Fahrrad-Himmel ist nach dieser Studie die niederländische Stadt Utrecht, die Fahrradhölle die nigerianische Hauptstadt Lagos. Wien liegt in dieser Wertung am 33. Platz, ist also besserer Durchschnitt. Knapp dahinter liegen München, Helsinki und Tel Aviv. New York liegt abgeschlagen an 67. Stelle, Istanbul an 74. und Moskau schaffte es nur auf Platz 86.

In Leeds.  
- © Garry Butterfiel

In Leeds. 

- © Garry Butterfiel

Es fehlt nicht an ambitionierten Versuchen, den komplexen Wirkungen der emissionslosen Fortbewegungsarten gerecht zu werden. Man hat auch versucht, die Auswirkungen des Fahrradfahrens in jenem Wert ausdrücken, der Europa am wichtigsten erscheint: in Geld. 150 Milliarden Euro ist das Radfahren wert, wie ein Report der "European Cyclists Federation" vorrechnet. Da wäre dann wirklich alles enthalten: Die CO2-Ersparnis ebenso wie die Reduktion der Luftverschmutzung, die Gesundheitsvorsorge, die Umsätze des Fahrradmarktes und sogar die Schonung des Straßenbelags. Der motorisierte Verkehr kostet uns gemäß einer EU-Studie in diesen Bereichen 800 Milliarden Euro jährlich. Daraus lässt sich der Schluss ziehen: Die Welt braucht mehr Rad- und weniger Autofahrer. 

Der klassische Vergleichswert, der auf einen Blick Auskunft gibt über den Anteil von Autos, Radfahrern und Fußgängern am gesamten Verkehrsaufkommen, ist der modal split. 2020 nutzten in Wien rund 27 Prozent die Öffis auf ihren täglichen Wegen. Wie auch 2019 bleibt der Anteil der PKW-Nutzung bei 27 Prozent. Während der Pandemie wurden 2020 die Wege vermehrt mit dem Fahrrad bzw. zu Fuß zurückgelegt. Der Anteil der Fußgänger von 28 auf 37 Prozent, der Anteil der Radfahrer stieg von 7 auf 9 Prozent. In Berlin ist er etwa doppelt so groß. 

Modal-Split: Ihr Browser kann derzeit leider keine SVG-Grafiken darstellen!

Der Modal Split ist jedoch eine bisweilen umstrittene Kenngröße. Die Mobilitätsforscherin Alexandra Anderluh arbeitet mit ihrem Team an der FH St. Pölten an einem Tool, dass die "Wirkungsimplikationen aktiver Mobilität" in Gemeinden, Städten und Regionen für Entscheidungsträger umfassend sichtbar machen soll: "Infrastruktur-Maßnahmen kosten Geld, und es stellt sich die Frage, welche Benefits den Investitionen gegenüberstehen. Die Wahrnehmung der positiven Folgen der Fußläufigkeit oder des Radfahrens sind oft segmentiert: Man sieht entweder die gesundheitlichen, umweltpolitischen oder wirtschaftlichen Folgen, die Auswirkungen auf den Tourismus zum Beispiel oder die Verschiebung im 'modal split'."

"Es stellt sich die Frage, welche Benefits den Investitionen gegenüberstehen."

Alexandra Anderluh, Mobilitätsforscherin

Aber es fehlt der ganzheitliche Blick. Anderluh möchte die Wechselwirkungen zwischen Rad- und Fußverkehr, Gesundheit und Wirtschaft quantitativ erfassbar machen. Diese ganzheitliche Wahrnehmung, so die Forscherin, wird derzeit bei politischen Entscheidungsprozessen nur unzureichend berücksichtigt. 

Das Auto behauptet sich trotz guter Argumente und unangenehmer Kostenwahrheiten hartnäckig als Lastesel der Fortbewegung, und das wird es vermutlich auch in seinen umweltschonenden und elektrifizierten Versionen bleiben. Für mittlere Entfernungen und Fernstrecken ist das Fahrrad keine Alternative zum motorisierten Verkehr. Sein Potenzial liegt bei den kurzen Wegen, also Strecken kürzer fünf Kilometern, allerdings mit zunehmender Tendenz zu längeren Wegen, wie Verkehrserhebungen zeigen. Mit einem Pedelec sind auch Entfernungen bis zu 15 Kilometer kein Problem.

Taiwan 
- © lisanto

Taiwan

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Das sind jedoch die Grenzen, die dem Beitrag des Radfahrens zum Umweltschutz gesetzt sind. Denn obwohl zwei Drittel aller Wege kürzer als fünf Kilometer sind, wird bei den 15 Prozent langen Wegen fast drei Viertel des CO2 ausgestoßen: "Auf den gesamten Personenverkehr bezogen ist das CO2-Minderungspotential bei den kurzen Wegen also eher begrenzt", meint der emeritierte Professor der Universität Dresden, Gerd-Axel Ahrens. Er hat jahrzehntelang auf dem Gebiet der Verkehrsplanung geforscht. Und erinnert daran, dass die Verkehrsplanung einst falsch abgebogen ist: "In den fünfziger Jahren wurden im Münsterland, wo ich aufgewachsen bin, alle kurzen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt." Damals wurden auch noch Fahrradwege angelegt, die dann jahrzehntelang im Denken der Verkehrsplaner keine Rolle mehr spielten.

Doch es geht nicht nur um die Verminderung der Treibhausgase. Was die Gesundheit betrifft, scheint das Radfahren ein permanentes Rehabilitationsprogramm zu sein: Diabetes, Herzkrankheiten, Osteoporosis und andere schwere Krankheiten kommen bei Pedalisten zwar auch vor, aber offenbar seltener als bei schlechter bewegten Zeitgenossen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO genügen täglich 30 Minuten moderate körperliche Aktivitäten, um das Risiko dieser Erkrankungen erheblich zu verringern.

Zu Fuß gehen oder Rad fahren bringen nicht nur einen enormen persönlichen Zugewinn an Fitness und Wohlbefinden, die Bewegungsarten lassen sich auch hervorragend in den Alltag integrieren. Durch regelmäßiges Radfahren erhöht sich die Lebenserwartung um 3 bis 14 Monate. Doch das Fahrradfahren kann auch negative Auswirkungen auf Leib und Leben haben. Ahrens weist auf eine "verzerrte Risikoakzeptanz hin: Würde man im Luft- oder Bahnverkehr ähnliche Unfallshäufigkeiten wie beim Radfahren registrieren, würde man diese Verkehrsmittel meiden."

Die Statistik gibt dem Forscher recht: Im ersten Quartal 2021 vermerkte die Statistik Austria 893 Fahrradunfälle, sechs mit tödlichem Ausgang. Insgesamt waren im ersten Quartal 2021 15 Prozent aller bundesweit im Straßenverkehr verunfallten Personen Radfahrer. Im Jahr 2020 starben 40 Radfahrer bei Verkehrsunfällen. 2018 waren es 41 Menschen, dem gegenüber stehen 62 Todesopfer zehn Jahre früher.

"Historische Chance"

Ein Blick auf Vergleichszahlen in anderen Ländern Europas zeigt, dass es im Laufe der Jahre nicht überall zu einem Rückgang der tödlich verunglückten Radfahrer im Straßenverkehr kam. In Frankreich etwa stieg die Zahl im Vergleichsraum 2008 bis 2018 von 148 auf 175, in der Schweiz von 27 auf 39. In Spanien hingegen blieb die Zahl beinahe gleich. Worauf sind diese Unterschiede zurückzuführen? Folgt man Studien aus den USA und Europa, passen Autofahrer ihr Fahrverhalten durch die Präsenz von Radfahrern im Straßenverkehr an - je mehr Radfahrer, desto weniger Unfälle, je weniger Radfahrer, desto gefährdeter sind sie.


Um die Welt der Radfahrer freundlicher und sicherer zu machen, steigen in den meisten Ländern Europas die Ausgaben für Infrastruktur. "Eine historische Chance", freut sich die ECF in ihrem Jahresbericht 2020. Noch nie seien die politischen Rahmenbedingung besser gewesen

In der Tat: Die Fördergelder für den Ausbau des Radverkehrs stiegen im Vergleich von 2007-2013 zu 2014-2020 von rund 700 Millionen Euroauf rund 2,5 Milliarden Euro an. Und auch der mehrjährige Finanzrahmen 2021–2027 verheißt laut ECF Gutes: Sie geht von rund sechs Milliarden Euro aus, eine Summe die auch für einen signifikanten modal shift nötig wäre. Obendrein kommt noch ein Stückchen des 800 Milliarden Euro schweren Corona-Hilfsfonds der EU der emissionslosen Fortbewegung zugute. Viele Länder Europas haben nämlich im Rahmen ihrer nationalen Wiederaufbauprogramme auch daraus Zuschüsse für das Radfahren beantragt. Belgien gilt als Vorzeigebeispiel, mit Investitionen in der Höhe von insgesamt 746 Millionen Euro - unter anderem für Bike-Sharing-Systeme, Radwege, sicherere Kreuzungen, Fahrradkorridore für die Verbindung zwischen Stadt und Land oder neue Radwege entlang von Straßen, Eisenbahnen, Kanälen oder Autobahnen. Italien hat sich ebenso dem Ausbau der Infrastruktur verschrieben: 1.200km touristische Radwege sowie 570 Kilometer für Pedalisten in den Städten sind geplant.

Und Österreich? Mit dem Mobilitäts-Masterplan 2030 soll der Anteil des Radverkehrs erhöht werden, er sieht auch Investitionen in emissionsfreie Fahrzeuge wie Kaufanreize für E-Bikes und E-Lastenräder vor. Allerdings, so kritisiert die ECF, gibt es keine konkreten Zahlen zu geplanten Ausgaben sowie keine genauen Ausführungen der Projekte.


Radfahren kurbelt aber auch die Fließbänder der Fabriken an. Laut Eurostat wurden 2020 in der EU rund 12,2 Millionen Fahrräder hergestellt, ein Jahr davor waren es 11.4 Millionen. Die Produktion variiert stark, von etwa 1.500 Fahrrädern in Dänemark über 410.000 in Österreich bis zu mehr als 2,6 Millionen in Portugal im Jahr 2020.

Und wie ein Blick auf die Exportzahlen verrät, werden Räder auch außerhalb Europas zunehmend beliebter: 2020 wurden fast 1,3 Millionen Fahrräder und 300.000 E-Bikes im Gesamtwert von 471 Millionen Euro exportiert, ein Jahr zuvor waren es noch rund 900.000 Räder und 200.000 E-Bikes Die meisten Räder wurden nach Großbritannien geliefert, in die Schweiz und nach Brasilien.


Im selben Jahr wurden mehr als die Hälfte der 800.000 E-Bikes aus Taiwan importiert, die anderen 4,8 Millionen Räder kamen gut zur Hälfte aus Kambodscha und China. Übrigens: Die chinesische Stadt Hangzhou liegt im Ranking der beste Radstädte der Welt als erste nichteuropäische und erste asiatische Stadt auf Platz 7, zwischen Malmö und Bern, Peking rangiert weit dahinter auf Platz 38, zwischen Vancouver und San Francisco.