Dass Künstliche Intelligenz (KI) einmal menschliche Intelligenz und Kreativität kapern könnte und die Weltherrschaft übernehmen, erwartete von den Anwesenden niemand. "Dieses Monster wird nicht kommen", sagte Irina Nalis-Neuner. "Bei dieser Schreckenserzählung handelt es sich um ein Ablenkungsmanöver von den vielen kleinen Problemen, die ganz real mit Digitalisierung und KI verbunden sind."
Die Transformationspsychologin der Universität Wien war mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Gerald Bast, dem Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, am Dienstagabend zu Gast bei der Podiumsdiskussion "Kann KI Kultur?" im Belvedere 21.
Recht schnell ging es bei der Diskussion nicht mehr um die Frage, ob KI Kunst kann. Es möge sein, dass eine KI Dinge zu schaffen im Stande sei, die "stark nach Kunst aussehen", so Kaup-Hasler. Doch von Algorithmen sei kein großer Beitrag zu den Künsten zu erwarten. Sie selbst hatte einmal gemeinsam mit einer Künstlerin zwei Maschinen ein Theaterstück aufführen lassen. "Das ist nach einer halben Stunde schrecklich langweilig."
Wenn Nullen und Einsen Bilder malten oder komponierten, sei das eigentlich sogar ziemlich banal, zumindest auf einer technischen Ebene, wie Gerald Bast sagte.
Linear, banal, unkritisch
In dieser Banalität jedoch liegt eines der KI-Monster oder Probleme begraben, wie das Podium feststellte: Die Digitalisierung neige dazu, lineares Denken zu forcieren und Dichotomien zu verstärken. Kritik- und Urteilsvermögen sind bei einer KI nicht vorhanden: "Es ist eine extrem primitive Denkweise: ja oder nein, wahr oder falsch. Zwischentöne sind nicht möglich. Abwägen, hinterfragen, kombinieren: ausgeschlossen", so Gerald Bast.
Das Problem mit der Linearität sei allerdings weniger auf die Technologie selbst zurückzuführen, als vielmehr auf die Gesellschaft, auf die sie trifft. Wenn es an Schulen und Universitäten nur noch um technisches Wissen ginge, losgelöst von den Künsten, den Geistes- und Sozialwissenschaften, dann "habe ich Sorge, was mit Gesellschaft und Wissenschaft passiert", so Bast.
Bei ihren einführenden Worten hatte Anita Eichinger, Leiterin der Wienbibliothek im Rathaus, noch auf die Rolle der Kunst hingewiesen, die Gesellschaften, die sich in einer so großen Transformation befinden, Zusammenhalt vermitteln könne. Genau diese Fähigkeit zur Kollaboration, der Sinn für das Gemeinsame, das Gemeinwohl selbst drohten aber in einer durchdigitalisierten Welt verloren zu gehen, befürchtete Nalis-Neuner. "Was feiern wir denn als Erfolg?", fragte sie. "Wir haben in den letzten Jahrzehnten die Unicorns verehrt, die Plattformunternehmen, deren Sinn es ist, Geld mit Daten zu machen, auf die sie keinen Zugriff haben sollten und deren Investoren den schnellen Exit anstreben. Jemand kann asozial sein, aber dafür bewundert werden, dass er den Mars besiedeln will. Wir sollten stattdessen denjenigen applaudieren, die etwas für die Gesellschaft tun."
Walter Hämmerle, Chefredakteur der Wiener Zeitung, der die Diskussion moderierte, versuchte immer wieder, den roten Faden der Kunst aufzunehmen. Doch Themen wie Autorschaft, künstliche Kreativität und Ähnliches wurden von den drei Podiumsgästen schnell abgehakt. Schließlich sei die Frage, was Kunst ist oder keine, eine gesellschaftliche Zuschreibung, und die verändere sich ständig. Wenn jemand bereit sei, für das Bildnis von Edmond de Belamy, das ein Computer malte, 398.000 Euro zu zahlen, sage das nichts über KI, sondern allenfalls etwas über die Mechanismen des Kunstmarktes.
Die digitalen Technologien haben die Kunst inspiriert, die wiederum die Rolle von KI kritisch hinterfragt. Statt also darüber zu sprechen, was Kunst ist und was nicht, sei es wichtig, die gegenwärtige Form der Digitalisierung als "eine von Männern dominierte gesellschaftliche Entwicklung" zu thematisieren, regte Kaup-Hasler an: "Wir müssen dagegen steuern. Den Fehler, den glücklichen Zufall, alles, was zutiefst menschlich ist, in diese Entwicklung hineinbringen und so dafür Sorge tragen, dass sie nicht völlig fehlläuft."
"Kann KI Kultur?" war die vierte Veranstaltung aus der Reihe Digitaler Humanismus, eine Diskussionsreihe, die die Wienbibliothek im Rathaus, die Universität für angewandte Kunst Wien, und die "Wiener Zeitung" gestalten.
Die Veranstaltung zum Nachsehen: