Freetown/Wien. Ein paar Graffitis an Straßenecken, ein paar Schilder, die nicht abmontiert wurden, erinnern noch an die große Seuche, die Sierra Leone heimgesucht hat. Schilder, auf denen die Bürger aufgefordert werden, sich die Hände zu waschen, damit sie sich nicht mit dem Ebola-Virus infizieren. Sonst wollen aber viele Menschen nicht mehr allzu sehr an Ebola erinnert werden, sagt Anne Menzel, Politologin der Universität Marburg, die sich gerade auf Feldforschung in Sierra Leones Hauptstadt Freetown befindet. Als etwa vergangenes Monat mit einem dreiminütigen Schweigen an die Seuche erinnert wurde, schienen die Leute eher genervt.

"Das heißt aber nicht, dass sie Ebola vergessen haben", betont Menzel. Immer wieder räumten ihre Gesprächspartner ein, dass sie etwa die wirtschaftlichen Folgen von Ebola noch spüren. "Gleichzeitig sagen sie aber, dass man Ebola doch hinter sich gebracht hat, man keine Zeit hat, darüber nachzudenken, weil man nun ganz andere Probleme hat."

Vor rund einem Jahr ist das westafrikanische Land zum ersten Mal für Ebola-frei erklärt worden. Danach gab es noch zwei Rückschläge, sprich Neuinfektionen, doch seit dem Frühling dieses Jahres sollte Ebola endgültig besiegt sein. Laut offiziellen Statistiken hat die Seuche 3589 Menschen in Sierra Leone das Leben gekostet. In allen drei betroffenen westafrikanischen Ländern, neben Sierra Leone waren das noch Liberia und Guinea, starben mehr als 11.300 Männer, Frauen und Kinder, insgesamt waren 28.700 Menschen mit dem hochansteckenden Virus infiziert.

Doch auch nachdem Ebola besiegt war, blieben die Nachwehen, berichtet der Arzt Jacob Maikere, Einsatzleiter der NGO "Ärzte ohne Grenzen" in Sierra Leone. Viele Menschen litten, nachdem Ebola-überwunden war, noch an Gelenkschmerzen und Sehschwächen. Hinzu kamen psychische Folgen. "Bei manchen Überlebenden kommen traumatische Erlebnisse hoch, wenn sie wieder Chlor riechen", berichtet Maikere. Denn danach roch es in den der Behandlungszentren, in denen auf strenge Hygienemaßnahmen geachtet wurde. "Zudem haben viele ihre Angehörigen verloren. Auch das hat Traumata hinterlassen."

Deshalb betrieb Ärzte ohne Grenzen weiter eine Klinik für Ebola-Überlebende, in der diese nachbehandelt und, etwa in Gruppensitzungen, psychisch betreut wurden. Nachdem diese Behandlungen nun aber abgeschlossen sind, wurde diese Klinik kürzlich geschlossen. Die stärksten Nachwehen von Ebola zeigten sich nun ohnedies auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene, sagt Maikere.

Die Armut schafft ausweglose Teufelskreise

Denn der Verlust von Angehörigen hatte oft nicht nur psychische Nachwirkungen, sondern hat viele Menschen auch in tiefe Not gestoßen. Die Forscherin Menzel berichtet etwa von einer 19-Jährigen, der sie begegnet ist. Diese hatte durch Ebola ihren Mann, der die Familie ernährt hatte, verloren. Sie schickte daraufhin ihre Kinder zu ihrer Mutter aufs Land und prostituierte sich. Und blieb in einem ausweglosen Teufelskreis gefangen: Tagelang hatte sie keinen Kunden und daher nichts zu essen. Je mehr sie abmagerte, desto stärker mieden sie aber potenzielle Freier, da diese dachten, dass sie krank sei.

Über das tägliche Essen wird in Sierra Leone in Codes gesprochen: Wer etwa "one-zero-one" sagt, isst zwei Mahlzeiten am Tag, wer "zero-zero-one" sagt, nur eine. "Und gerade bei den Ärmeren scheint es, dass viele derzeit nur eine Mahlzeit am Tag haben", berichtet Menzel.

Denn die wirtschaftliche Lage hat sich verschlechtert. Vor dem Ebola-Ausbruch, der 2014 einsetzte, gab es eine Boomphase. Sierra Leone hatte - allerdings ausgehend von einem äußerst niedrigen Niveau - Wachstumsraten von bis zu 17 Prozent. Es herrschte Optimismus, Sierra-Leoner aus der Diaspora kehrten zurück und bauten Häuser. Doch mit Ebola kam die Wirtschaft zum Erliegen, Minen standen still, Investoren hielten sich zurück.

Noch immer kommt die Wirtschaft nicht richtig in Schwung. "Es ist aber fraglich, wie sehr das mit Ebola zusammenhängt", sagt Menzel. "Denn der Boom wurde vor allem von zwei Eisenerzminen getragen, und der Preis für Eisenerz ist derzeit im Keller."

Klar seien aber die Auswirkungen: Lebensmittel haben sich in dem von Importen abhängigen Land verteuert, es ist weniger Geld im Umlauf. Das macht das Leben für die Ärmeren noch schwerer, etwa für die städtischen Tagelöhner, die von Gelegenheitsjobs, beispielsweise auf Baustellen, oder kleinen Tauschgeschäften leben.

"Schwangerschaft ist eine Frage von Leben und Tod"

Das Welternährungsprogramm der UNO schlägt jedenfalls Alarm: Rund 3,5 Millionen Sierra-Leoner und damit die Hälfte der Bevölkerung sind in Gefahr, nicht ausreichend Lebensmittel zu erhalten. Dass Sierra Leone eines der am wenigsten entwickelten Länder ist, zeigt sich auch weiterhin im Gesundheitswesen. "Eine Schwangerschaft ist eine Frage von Leben und Tod", sagt der Arzt Maikere. Sierra Leone führt regelmäßig Statistiken zu Kinder- und Müttersterblichkeit an.

Und auch hier zeigen sich Nachwehen von Ebola, berichtet Maikere. Sierra Leone hatte sich in vielen medizinischen Indikatoren verbessert. Doch dann gingen die gesamten Ressourcen in die Bekämpfung von Ebola, wurden etwa Impfprogramme zurückgefahren. "Die größte Herausforderung ist es nun, das Gesundheitswesen zu stärken", sagt Maikere. Deshalb bleibt "Ärzte ohne Grenzen" mit verschiedenen Projekten, etwa einem Mutter-Kind-Programm, im Land. Doch viel der internationalen Hilfe, die mit Ebola nach Sierra Leone kam, ist wieder abgezogen. Und das bitterarme Land hat nur wenig Ressourcen, um ein breitflächiges Gesundheitssystem aufzubauen und auch zu erhalten.