Einmal im Jahr blüht der kleine Platz auf der Ennsleite in Steyr so richtig auf. Dann umsäumen Menschen und Blumenkränze das moosbefleckte Betondenkmal zu Ehren der Opfer des Februar 1934. Während des restlichen Jahres ist es dann wieder still um dieses Thema, und das, obwohl Steyr eine der wenigen Städte Österreichs war, in der sich viele Menschen für den Fortbestand der Ideale und Errungenschaften der jungen Republik eingesetzt hatten.
Versuchen wir es zu sagen: Die Gesellschaft muss sich diese Dinge ja wohl einmal ansehen, da sie sie selber schafft", schrieb Victor Hugo in seinem berühmten Werk "Die Elenden". Als er diese Worte verfasste, befand sich die Stadt Steyr gerade im Aufschwung. Der junge Unternehmer Josef Werndl hatte zuvor die Waffenfabrik von seinem Vater übernommen, 1869 gründete er die "Österreichische Waffenfabriks-Gesellschaft", ab 1926 kurz Steyr-Werke genannt. Die Geschichte der Stadt Steyr blieb für Jahrzehnte mit diesem Unternehmen verzahnt.
Bis zum Ersten Weltkrieg war Steyr durch die Waffenproduktion zu einem bedeutenden Industriestandort angewachsen – die Steyr-Werke waren neben den Pilsner Skodawerken in Böhmen der größte Rüstungsbetrieb der Monarchie. 1913 baute man den Betrieb im Stadtteil Ennsleite aus. Allerdings kam er durch das Verbot der Waffenproduktion in Österreich im Vertrag von Versailles in große Schwierigkeiten und das zweite Standbein des Unternehmens, die Erzeugung von Fahrzeugen, konnte diesen Wegfall nicht kompensieren.

Bereits im ersten Jahr nach dem Ersten Weltkrieg halbierte sich die Zahl der Beschäftigten von 8000 auf die Hälfte, ab 1929 ging es durch die Weltwirtschaftskrise endgültig bergab. 1930 blieben 2000 übrig, 1934 waren es gar nur mehr 1000 Arbeiter.
Steyr hatte damals rund 22.000 Einwohner, davon lebte Ende 1931 mehr als die Hälfte von öffentlicher Hilfe. 90 Prozent der Schulkinder waren unterernährt. Steyr wurde zum Synonym für Elend und Armut. So schrieb am 1. Jänner 1932 die "Arbeiter-Zeitung" in einem Artikel mit dem Titel "So stirbt eine Stadt! Wie die Menschen in Steyr zugrunde gehen": "Neunzig Prozent aller Kinder in Steyr sind furchtbar unterernährt, die Tuberkulose wütet unter ihnen, zerfrisst ihre Lungen, ihre Knochen, ihre Kehlköpfe. Es gibt Menschen, die tagelang im Bette liegen, weil sie weder Holz noch Kohle noch Kleider noch Schuhe haben. Es gibt Familien, deren einzige Kost seit Monaten Wassersuppen sind, weil sie nicht einmal Kartoffeln kaufen können."
Es gab viele Selbstmorde, die Stadt konnte kaum mehr für alle verarmten Einwohner sorgen. Der Traum der örtlichen Sozialdemokratie, analog zum Roten Wien ein Rotes Steyr aufzubauen, war zerplatzt: Kommunaler Wohnbau, soziale Infrastruktur oder neue Arbeitsplätze konnten nicht einmal vergleichsweise bescheiden verwirklicht werden.
Seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1918 galt Steyr als linke Hochburg, Linksparteien hatten im Gemeinderat die Mehrheit – auch in Steyr sollte ein sozialistisches Gemeinwesen aufgebaut werden, Arbeiterkultur als Gegenentwurf zur bürgerlichen Lebensart gefördert werden. Das Rot bezahlte die Stadt mit Benachteiligung durch den Bund, der die Stadt finanziell aushungerte.
1929 musste die Gemeinde Steyr Bankrott anmelden, was auch hinsichtlich der Organisation der öffentlichen Sicherheit fatale Konsequenzen hatte: Die Kompetenzen wurden am 1. Juli dem Bund übertragen. Die Polizei wurde binnen kurzer Zeit umgefärbt und um das Sechsfache erweitert, zur besonderen Genugtuung der Heimwehr, für die Steyr schon lange ein "rotes Tuch" gewesen war: "Der rotze Fetzen muss vom Rathaus", forderte Ernst Rüdiger Starhemberg aus Eferding, Bundesführer der Heimwehr.

Auf die drückende Armut folgte die Unterdrückung von Meinung und Menschen. Die Parteien der Kommunisten und Sozialdemokraten sowie der Schutzbund waren bereits verboten, nun terrorisierte die Heimwehr die Menschen. Immer wieder kam es zu Schlägereien zwischen Schutzbündlern und Heimwehrlern, selbst unter Kindern wurden deswegen gerauft. Der Steyrer Franz Weiss, geboren 1920, erinnert sich: "Wir sind so aufgewachsen, dass wir zwischen Rot und Schwarz unterschieden haben. Die Roten waren die Minderbemittelten, die am liebsten keine Arbeit kriegen sollten, und die anderen, das waren die Begüterten, die Reichen. Da haben wir oft Raufereien gehabt. Wir haben uns ausgekannt, weil daheim darüber geredet wurde."
1934 lebten 16 Prozent der Einwohner in Steyr in Untermiete oder als Bettgeher, in Waggons, Baracken und Asylen. Wohnungsnot war ein Erbe der Monarchie, die sich nicht um den Wohnungsbau gekümmert hatte, die während des Krieges als Notunterkünfte errichteten kalten Baracken auf der Ennsleite wurden noch in den 1930er Jahren vermietet. Die 300 Wohnungen, die dort durch eine lokale Genossenschaft errichtet wurden, konnten die Wohnungsnot nur wenig lindern.
Es gärte schon lange, viele Arbeiter und Arbeitslose hatten bereits in den Jahren zuvor Räte gebildet, sie streikten und demonstrierten. Das Widerstandpotenzial der Arbeiter, Arbeiterinnen und Arbeitslosen in der Stadt war bereits in den Kriegsjahren manifest – so führten schon im September 1916 der Mangel an Brot, Kartoffeln und Mehl zu tagelangen Unruhen, im Mai des folgenden Jahres brach in einer Kantine wegen ungenießbaren Fleisches der "Beuschelstreik" aus. An die 20 Streiks fanden bis 1927 in Steyr statt. Im Februar 1934 fehlte Massenmobilisierung aber, was mit ein Grund war, dass der Aufstand scheiterte.
Der Februarkampf in Steyr war von Beginn an auf Verteidigung ausgerichtet, obwohl sich Politiker und Funktionäre zuerst noch kämpferisch zeigten. So hatte am Rosenmontag der Linzer Schutzbundobmann Bernaschek die Spitze der Steyrer Sozialdemokratie (darunter Bürgermeister Franz Sichelrader, der Leiter des Schutzbundes, und August Moser, Obmann des Betriebsrates der Steyr-Werke) zu einer Krisensitzung nach Linz gerufen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie bekräftigten ihn in seinen Plänen, zu den Waffen zu greifen, und sagten Unterstützung zu. Allerdings soll Bürgermeister Sichelrader am Rückweg gesagt haben: "Hoffentlich drahn\'s (der SP-Parteivorstand in Wien) eam des o." Aber auch der Schutzbundobmann Steyrs traf nach dem Treffen keine Vorbereitungen für einen Kampf. Als Mann der Tat erwies sich tags darauf August Moser, er folgte Bernascheks Auftrag: Nachdem er am 12. Februar in der Früh von Kampfhandlungen in Linz informiert worden war, rief Moser nach dem einstimmigen Beschluss aller Betriebsräte der Steyr-Werke den Streik aus. Es streikten Arbeiter wie Angestellte.

Danach versammelten sich Schutzbündler in Gruppen, der Hauptsammelplatz und Hauptschauplatz der Kampfhandlungen war auf der Ennsleite, von wo aus man die restliche Stadt gut überschauen konnte. Man hatte dort entlang der Hangkrone aus Holzbrettern notdürftig Stellungen errichtet. Um Mittag wurde das Feuer eröffnet, weniger später wurden die Gleise der Eisenbahn gesprengt. Doch der Schutzbund in Steyr war nach einer ersten Verhaftungswelle kopflos, ohne zentrale Organisation. Aber auch wegen der mangelnden Ausrüstung und der schlechten Waffen war der Kampf von Beginn an ein aussichtsloser.
Unter den ersten Toten des 12. Februar war der Werksdirektor der Steyr-Werke, Wilhelm Herbst. Er galt unter den Arbeitern als Prototyp des kalten Kapitalisten, über die Not der Steyrer Arbeiter auf der Ennsleite soll er gesagt haben: "Solange die dort Rosen statt Kartoffeln in ihren Gärten anbauen, kann es ihnen nicht so schlecht gehen." Als er am 12. Februar den Betrieb verließ, wurde er in seinem Auto erschossen.
Andere Schutzbündler zogen indessen zur Steyrer Bundesheerkaserne, einem strategisch wichtigen Punkt. Auf ihren Angriff folgte jedoch bald Feuer aus Maschinengewehren, wenig später waren die Soldaten wieder Herr in ihrem Hause. Anders als etwa bei den Barrikadenkämpfen in Frankreich, wo sich rund hundert Jahre zuvor immer wieder viele Soldaten auf die andere Seite geschlagen hatten, hatten die Soldaten in Steyr keine Skrupel, auf Arbeiter zu schießen. Mit einer Ausnahme: Oberleutnant Karl Wallersgraber, der kurzfristig das Kommando des örtlichen Alpenjägerregiments übernommen hatte. Er wollte nicht auf die "Sozis" schießen.
Unterstützung für die Aufständischen kam aus allen Stadtteilen mit überwiegend arbeitender oder arbeitsloser Bevölkerung und aus der näheren Umgebung, wie etwa dem benachbarten Sierning/Letten, die auf ihrem Weg nach Steyr Telefonmasten umsägten. Die Steyrer Polizei und die Steyrer Bundesheereinheiten scheiterten am 12. Februar noch, die linke Bastion auf der Ennsleite zu stürmen. Erst als militärische Verstärkung anrückte, wendete sich das Blatt. So zog noch am Dienstag eine Feldhaubitzen-Batterie aus Enns los – zu Fuß, denn die Straßen waren wegen der Kälte spiegelglatt. Doch das Eis war ihr einziges Hindernis, sie konnten ungehindert durch die Dörfer und über die Äcker ziehen.
"Waffen unbrauchbar machen und dann abhauen!"
Während der kalten Nacht herrschte vorübergehend Ruhe in Steyr, die Kämpfer konnten sich erholen, Frauen und Kinder brachten warme Kleidung, Decken und Essen. Und in der Stadt weiter unten ging das Leben seinen gewohnten Lauf: Das Stadttheater brachte zum Faschingsdienstag eine Aufführung des "Dreidirndlhaus". Zwischen Kampf und Unterhaltung floss die Enns.

Um zwei Uhr in der Früh wurden die Kämpfe fortgesetzt. Im Dunkeln beschoss das Militär mit seinen Artilleriegeschützen vom gegenüberliegenden Plateau des Tabors ziellos die Ennsleite. Zeitzeugen berichten von den vielen Schreien und dem Weinen der Menschen. Es brach Panik aus, viele flüchteten in die Keller.
Schwerer Beschuss und Kugelhagel setzten sich bis zum Nachmittag des 13. Februars fort. Als den Schutzbündlern die Munition fast ausgegangen war, musste auch August Moser eingestehen, dass der Kampf verloren war: "Waffen unbrauchbar machen und dann abhauen! Wer erwischt wird, soll alles abstreiten und die Gefallenen belasten, denen tut\'s nimmer weh!" Militär, Polizei und Schutzkorps marschierten auf die Ennsleite, wo sie die Straßen zum Teil im Nahkampf einnahmen, die Schutzbündler wurden mit Gewehr und Bajonett zusammengedrängt. Einigen Schutzbündlern gelang die Flucht, die meisten der insgesamt rund 800 Kämpfer wurden gefangen genommen und in die kalten Pferdeställe ins Schloss Lamberg und in den Hof des Rathauses gepfercht.
Auf Seiten des Schutzbundes kamen im Zuge der Kämpfe in Steyr acht, auf Seiten des Bundesheeres zwei Männer ums Leben. Im Krankenhaus Steyr wurden ferner 32 Verwundete behandelt, darunter fünf Frauen. Ein Schutzbündler starb Monate später an seinen Verletzungen.
Starhemberg kam erst nach dem Ende des Kampfes nach Steyr und ließ sofort die grün-weiße Fahne der Heimwehr am Rathaus hissen. Nach der Niederlage zerstörten seine Männer die sozialdemokratischen Büchereien, vernichteten Notenblätter und Schriften, plünderten Konsumvereinslokale.

Wie in Wien, Linz und in der Steiermark wollte das austrofaschistische Regime auch vor dem Standgericht in Steyr ein Exempel statuieren. Es traf den Arbeiter Josef Ahrer: Er habe einen Heimwehrler und dessen Braut erschossen, hieß es in der Anklage. Schon damals war die Beweislage dürftig und auch die Zeugen verstrickten sich in Widersprüche. Trotzdem wurde er für schuldig befunden und am Samstag, dem 17. Februar, zum Tode verurteilt. Nach seiner Henkersmahlzeit um 22:30 Uhr (er hatte sich ein Schweinsschnitzel und zwei Flaschen Bier gewünscht) wurde er um 23:28 Uhr gehenkt. Ahrer starb eines qualvollen Todes: Der Todeszeitpunkt wurde mit 23:43 Uhr angegeben. Sein Genick brach nicht sofort, zwei Polizisten mussten sich an seine Beine hängen, bis er starb.