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Ein Trauma, das nachwirkt

Von Brigitte Pechar

Februar 1934

Politologe Plasser: Ressentiments bestehen noch, sind aber ungleich gedämpfter.


Wien. 80 Jahre nachdem der damalige Bundeskanzler Engelbert Dollfuß auf Arbeiter schießen ließ, legten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger am Zentralfriedhof beim Mahnmal der Opfer für ein freies Österreich (1934 bis 1945) einen Kranz nieder. Bereits vor 50 Jahren gedachten Sozialdemokratie und Volkspartei des Bürgerkriegs von 12. bis 15. Februar 1934: Bundespräsident Adolf Schärf (SPÖ), Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) reichten einander erstmals vor eben diesem Mahnmal die Hand.

Damals war dieser Handschlag noch viel schmerzlicher, als dies am Vorabend des 80. Jahrestages des Ausbruchs der Februarkämpfe war. Dennoch, so formuliert es der Politologe Fritz Plasser im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", "ist dieser gedächtnispolitische Akt für einen sozialdemokratischen Kanzler erheblich emotionaler" als für den ÖVP-Obmann.

Fast alle Regierungsmitglieder, die Klubobleute von SPÖ und ÖVP sowie Vertreter von Opferverbänden und Religionsgemeinschaften hatten sich am Zentralfriedhof eingefunden, um der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischem Schutzbund und dem Verband aus Bundesheer, Polizei und den regierungstreuen Heimwehren zu gedenken. Vertreter beider Parteien sprachen von einem symbolischen Akt, der das Gemeinsame vor das Trennende stelle. "Das ist ein wichtiges Zeichen sowohl in der Aufarbeitung als auch den Lehren, die man daraus zieht", sagte der Kanzler. "Damals wurde das Trennende in den Mittelpunkt gestellt - man hat aufeinander geschossen", so Spindelegger.

Dennoch, ganz geschmeidig verliefen die Gedenkfeierlichkeiten nicht - und weder Kanzler noch Vizekanzler ließen sich auf eine Rede ein. Noch immer wird Engelbert Dollfuß in der ÖVP als "eines der ersten Opfer" der Nationalsozialisten betrachtet - weil er im Juli 1934 von den Nazis ermordet wurde. Der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Andreas Khol meint zum Bild des Diktators im ÖVP-Klub noch immer: "Engelbert Dollfuß bleibt ein Säulenheiliger der Partei."

Der Politologe Emmerich Tálos, der sich in mehreren Büchern mit der Zeit des "Austrofaschismus" auseinandergesetzt hat, schreibt dagegen: "Mit Nationalsozialisten ließ Dollfuß verhandeln, mit den Sozialdemokraten nicht. De facto hat er Hitler den Weg geebnet."

"Arbeitermörder" Dollfuß

Zwei Pläne aus dem Beilagenband einer Arbeit des Bundesheeres aus dem Jahre 1935 über den Februar Bürgerkrieg. Der erste Ausschnitt zeigt auf einer Übersichtskarte vom Schutzbund besetzte Gebäude, darunter den Karl-Marx Hof. (blau: Bundesheer; rot: Schutzbund)...(Aus: Bundesministerium für Landesverteidigung: Der Februar-Aufruhr 1934. Das Eingreifen des österreichischen Bundesheeres zu seiner Niederwerfung, Wien 1935)
© Heeresgeschichtliches Museum / Militärhistorisches Institut – 17.034

In der SPÖ wird Dollfuß als "Arbeitermörder" und Baumeister des Austrofaschismus bezeichnet. Daher kamen auch mehrere Aufforderungen an den Koalitionspartner, sich vom Bildnis jenes Mannes, der die Demokratie ausgeschaltet hat, im ÖVP-Klub zu trennen. Selbst Bundespräsident Heinz Fischer wurde in einer Aussendung zum Gedenktag für seine Verhältnisse ungewöhnlich deutlich. Zwar würdigte er das Bekenntnis zur Versöhnung "als Zeichen von Reife und Stärke". Doch unterstrich er Dollfuß’ "schwere und unübersehbare Schuld": Er habe schon 1933 den Rechtsstaat ausschalten lassen und schließlich im Februar "mit Kanonen auf Wohnhäuser schießen" und politische Gegner standrechtlich hinrichten lassen.

"Die ÖVP ist noch nicht so weit", sagt Plasser zu der Wahrscheinlichkeit, dass sie Dollfuß aus ihren Parlamentsräumlichkeiten verbannt. Er wertet es aber als einen ersten Schritt, dass Klubobmann Reinhold Lopatka bereit ist, Erläuterungen zum Bildnis anbringen zu lassen. "Es mag sein, dass in zehn Jahren ein weiterer Schritt folgt und es zu einer tatsächlichen Flurbereinigung kommt." Plasser sieht in der ÖVP auch Zeichen dafür, dass man sich von der Märtyrer-Interpretation langsam abwendet.

... Auf dem zweiten ist der taktische Einsatz des Bundesheeres gegen den Südteil des Karl-Marx Hofesdargestellt (blau: Bundesheer; rot: Schutzbund). (Aus: Bundesministerium für Landesverteidigung: Der Februar-Aufruhr 1934. Das Eingreifen des österreichischen Bundesheeres zu seiner Niederwerfung, Wien 1935)
© Heeresgeschichtliches Museum / Militärhistorisches Institut – 17.034

Ressentiments rund um einen solchen Jahrestag seien zwar noch immer vorhanden, "aber ungleich gedämpfter als in den 50er oder 60er Jahren". Der Kontext des Ereignisses 1934 - eine höchst fragmentale Struktur - sei heute glücklicherweise so weit entfernt und decke in keiner Weise die österreichische Realität ab. Dennoch bestünden auf SPÖ-Seite verständlicherweise noch Ressentiments. "Für die SPÖ ist das Jahr 1934 ein Trauma - und wird es auch bleiben", sagt Plasser. Im sozialdemokratischen Kern löse dieses Ereignis nach wie vor tiefe Betroffenheit aus. Zwar seien die betroffenen Opfer schon rar, aber es gebe in sehr vielen Familien traumatische Erinnerungen. Dennoch, sagt Plasser, führten diese historischen Erinnerungen 80 Jahre danach nicht mehr zu wechselseitigen Schuldzuweisungen.

Historische Realität

In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Diskurs entspannt. Weder Sozialdemokraten noch ÖVP-Politiker würden parteidogmatischen Deutungen unterliegen und es werde zunehmend ein differenziertes Bild der Historiker akzeptiert. "Es gibt einen Konsens, sich der historischen Realität zu stellen", so Plasser.

Immerhin sei die Christlichsoziale Partei selbst 1936 verboten worden. Es habe Menschen gegeben, die 1945 SPÖ gewählt hätten, obwohl sie vorher christlichsozial und später wieder in der ÖVP aktiv gewesen seien, weil sie der Abkehr der ÖVP von der Vaterländischen Front noch keinen rechten Glauben haben schenken können.

Dennoch: "Das Trauma der SPÖ besteht zu Recht und wird noch lange Zeit fortwirken."

Historischer Abriss12. November 1918 Ausrufung der Republik.

Es bildeten sich paramilitärische Einheiten wie die Heimwehr auf der rechten Seite des politischen Spektrums und der Republikanische Schutzbund der Sozialdemokratischen Partei. Die Heimwehren verstanden sich als Schutzverbände gegen behaupteten Linksextremismus. Der Schutzbund sah sich als Wächter der Republik, musste sich aber den Begriff "Diktatur des Proletariats" im Parteiprogramm vorhalten lassen.

Nach dem "Schandurteil" von Schattendorf kam es am 15. Juli 1927 zu Demonstrationen (Justizpalastbrand), die mit Waffengewalt aufgelöst wurden (89 Tote).

Im März 1933 schaltete der christlichsoziale Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament aus. Eine patt ausgehende Abstimmung über die Eisenbahnergehälter und taktisch bedingte Rücktritte der drei Parlamentspräsidenten nutzte Dollfuß, um das Parlament für handlungsunfähig zu erklären.

Im Jänner 1934 wurde der Verkauf der "Arbeiterzeitung" verboten.

Dollfuß befahl die Waffensuche beim Schutzbund. In den Morgenstunden des 12. Februar 1934 widersetze sich Schutzbund-Kommandant Richard Bernaschek der Durchsuchung des Linzer Parteiheims der Sozialdemokraten (im "Hotel Schiff") und eröffnete das Feuer auf die Polizei. Die Kämpfe griffen auf andere Industriestädte und Wien über. Bundesheer, Polizei und Gendarmerie verhielten sich loyal zum diktatorischen Staat. Nach den Kämpfen wurden neun prominente Schutzbündler standrechtlich hingerichtet.