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Feminismus heute - wo bleibt die Entscheidungsfreiheit?

Von Elodie Arpa

Frauentag

Wollen wir die Erfolge der Gleichberechtigung weitertreiben, dann müssen wir jede Lebensrealität würdigen.


Ich bin dankbar, in unserer heutigen Zeit als junge Frau aufzuwachsen. Denn vor einem Jahrhundert hätte meine Meinung niemanden interessiert, mein Text wäre nicht abgedruckt worden und meine Stimme hätte kein Gewicht gehabt. Noch meine Großmutter hätte ohne Zustimmung meines Großvaters nicht arbeiten gehen können. Abtreibung war bis 1975 illegal. Und bis vor 30 Jahren war Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand.

Es sind Meilensteine wie diese, die ich - die wir - vielen mutigen Frauen zu verdanken haben. Doch wo stehen wir heute? Ist uns der Mut der Frauenrechtlerinnen der 1900er verloren gegangen? Oder schlägt der heutige Feminismus vielleicht eine falsche, geradezu realitätsferne Richtung ein? Sich zu Gleichberechtigung zu bekennen, fällt leicht. Sich als Feminist zu positionieren, weniger. Männer sehen sich im Wort nicht repräsentiert. Und Frauen fürchten als radikal, als geradezu männerhassend wahrgenommen zu werden.

Meine These: Der Feminismus, wie wir ihn heute erleben, geht an der Lebensrealität vieler Frauen vorbei und hat sich zunehmend auf Sprache (Stichwort Gendern) fokussiert, auf Quoten in Aufsichtsräten und Minderheitenrechte. Diesen Maßnahmen ist ihre Wichtigkeit nicht abzusprechen. Nur sind sie der Mehrheit der Frauen kein persönliches Anliegen. Die Politik der vergangenen Jahre hat Frauen in ihrer Lebensrealität allein gelassen, sie nicht abholen können und Feminismus zu einem Wort gemacht, das, statt für Mut und Fortschritt zu stehen, mit Verbissenheit und Unsinnigkeit in Verbindung gebracht wird.

Dabei wird vergessen, was Gleichberechtigung tatsächlich bedeutet: Dass einem alle Wege offen stehen und man die Freiheit hat, sein Leben so einzurichten, wie man es möchte - und zwar unabhängig von seinem Geschlecht! Gerade in den vergangenen Jahrzehnten scheint diese Maxime, dieses Grundprinzip der Gleichberechtigung vergessen worden zu sein. Um als Frau erfolgreich zu sein, hat man eine Männerrolle zu übernehmen. Man hat Karriere zu machen, in Vorstands- und Aufsichtsratsposten zu kommen und bestimmt und risikofreudig aufzutreten.

Doch mit der Glorifizierung des beruflichen Erfolgs ist auch eine Herabwürdigung des gegenteiligen Lebensmodells verbunden. Als Hausfrau betitelt zu werden, kommt einer Beleidigung gleich. Viele Kinder zu bekommen, ist merkwürdig. Und Eigenschaften, die als weiblich gelten, wie Bedachtsamkeit oder Zurückhaltung, werden als Schwäche wahrgenommen. Damit werden Menschen immer noch in eine Richtung gedrängt. Wurden Frauen, die arbeiten gehen, früher als Rabenmütter beschimpft, sind es nun Frauen, die sich entscheiden, zu Hause zu bleiben, die schief angeschaut werden. Dabei sollte jede Lebensentscheidung auf diesem Spektrum an Möglichkeiten eben möglich sein, toleriert werden, ja wertgeschätzt und unterstützt werden - und zwar für Männer wie für Frauen!

Um das zu erreichen, müssen leistbare und ganztätig verfügbare Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden, Vaterkarenzen zur Normalität und Bezahlungsgerechtigkeit zur Selbstverständlichkeit werden. Um das zu erreichen, müssen wir aber auch aufhören, eine erfolgreiche Karriere gegen das reine Familienleben auszuspielen und beginnen zu verstehen, dass die Lebensrealität (und auch die Wünsche) der meisten Menschen weder in dem einen noch in dem anderen Extrem liegen. Frauen sollen keine Tabus auferlegt und Grenzen gesetzt werden. Nicht von Männern. Und nicht von anderen Frauen.

Wollen wir 100 Jahre Frauenwahlrecht am heutigen Weltfrauentag nicht nur im Gedenken an ein historisches Ereignis feiern, sondern die Erfolge der Gleichberechtigung weitertreiben, dann müssen wir die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Dann müssen wir jede Lebensrealität würdigen. Und dann müssen wir endlich verstehen, dass wahres Empowerment nicht bei einer Entscheidung aufhört, die man selbst nicht nachvollziehen kann, sondern gerade erst dort beginnt.