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Angemessen unversöhnlich

Von Judith Belfkih

Frauentag
Lisz Hirn, geboren 1984, studierte Philosophie und Gesang in Graz, Paris, Wien und Kathmandu. Sie ist als Philosophin, Publizistin und Dozentin in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig sowie im Vorstand der Gesellschaft für angewandte Philosophie.
© Nikolai Friedrich

Ungleichheiten auflösen? Das wird Frauen und Männern nur gemeinsam gelingen, ist Philosophin Lisz Hirn überzeugt.


Wien. Dass junge Frauen, ja eine ganze Gesellschaft sich aktuell so versöhnlich zeigen in Sachen Gleichstellung, wundert Lisz Hirn nicht nur am Frauentag. "Es ist wieder schick, konservativ zu sein", meint die Philosophin. Ein Gespräch über Orchideenfrauen und Biedermänner, den Gewinn von gemeinsamem Machtverlust und gleichberechtigte Elternschaft.

"Wiener Zeitung": Frauen haben sich nur an der formalen Oberfläche emanzipiert, lautet Ihre These. Wie ist das zu verstehen?

Lisz Hirn: "Emanzipation ist gelungen und Frauen sind völlig gleichgestellt": Dieses Urteil haben wir als Gesellschaft zu früh gefällt. Eine gewisse Zahl an privilegierten Frauen mit höherer Ausbildung hat profitiert. Aber etwa für Frauen aus schwächeren sozialen Verhältnissen hat sich durch die rechtliche Gleichstellung wenig geändert.

Eine kleine Gruppe emanzipiert sich also auf Kosten einer größeren?

In gewisser Hinsicht. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Mich interessiert, warum es diese Quotenfrauen gibt, die als Symbol für alle genommen werden. Für mich sind das Orchideenfrauen. Selbst konservative Regierungen brüsten sich mit ihnen. Aber es sind privilegierte Frauen, die diese Wege gehen können - unter patriarchalen Bedingungen. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel hat deutlich gesagt: Mit Kindern wäre ihr Weg nicht möglich gewesen.

Also schaden Quoten mehr?

Nein. Aber Frauen, die so tun, als hätten sie es ohne Quote geschafft. Frauen, die ohne Solidarität und vielleicht ohne Kinder an die Spitze gekommen sind, haben ja nicht unbedingt ein Interesse daran, Frauen mit Kindern zu fördern. Sie haben vieles aufgegeben für ihren Weg. Es wäre emotional grausam, das zu fordern.

Ist die Diskriminierung also an Mutterschaft geknüpft?

Sie trifft alle Frauen. Die einen, weil sie keine Kinder kriegen, die anderen, weil sie welche haben. Eine funktionierende Demokratie sollte auf Schwächere Rücksicht nehmen. Mutterschaft an sich ist natürlich keine Schwäche. Aber eine Frau, die Mutter wird, schwächt sich sozial. Sie kümmert sich um jemanden und muss daher gewisse Dinge vorübergehend zurückstellen. Das ist eine notwendige Schwäche, schließlich braucht eine Gesellschaft Kinder. Was Mütter hier leisten, fair auszugleichen, um sie vor Abhängigkeiten und Altersarmut zu schützen, sollte selbstverständlich sein.

Sie fordern dazu das Ethos gleichberechtigter Elternschaft - wie lässt sich dies herstellen?

Das ist weniger eine Frage individueller Emanzipation als Ergebnis politischer und ökonomischer Maßnahmen. Auch die gleichberechtigten Partnerschaften sind nach der Geburt des ersten Kindes plötzlich gar nicht mehr so gleichberechtigt. Aus finanziellen Gründen, aber auch, weil es bequem ist, sich nicht um ein kleines Kind kümmern zu müssen - was in unserer Gesellschaft ein sehr niedrig bewerteter Job ist. Und einer, den wir Frauen eher zutrauen - das erfahren alle Kindergartenpädagogen in Form von Vorurteilen.

Können da Maßnahmen wie der Papamonat helfen?

Was ist ein Monat in Relation zu über 200? Die restlichen sind dann Frauensache? Der Papamonat hat mit gleichberechtigter Elternschaft nichts zu tun. Die würde bedeuten, dass es beider Verantwortung ist, diesen kleinen Menschen ins Leben zu begleiten - und nicht nur die "gute Mutti", die als kostenlose Ressource einer neoliberalen Gesellschaft Wärme und Liebe spendet.

Frauen müssen sich aber auch für diese klassische Rollenverteilung entscheiden dürfen . . .

Dafür müssten wir uns als Gesellschaft fragen, ob wir uns Geschlechtergerechtigkeit finanziell überhaupt leisten könnten. Wie entschädigen wir Mütter für die geleistete Arbeit bis hin zu einer fairen Pension? Und wir müssen uns fragen, wie wir Macht besser verteilen können, wie wir Frauen im öffentlichen Diskurs repräsentieren. Mütter mit kleinen Kindern haben eine andere Zeiteinteilung und können dadurch an vielen maßgeblichen politischen Entscheidungen nicht teilhaben. Dabei sind sie es, die an vielen drängenden Fragen näher dran sind als so mancher Mann.

Mutterschaft wird damit zu einer politischen Angelegenheit und ist gar nicht mehr der intime private Bereich, als der Familie derzeit gilt.

Mutterschaft war nie ein rein privates, individuelles Problem. Früher haben Familien in größeren Strukturen funktioniert. Der Fokus auf die Mutter ist vielleicht 150 Jahre alt. Früher war die ganze Familie, die Umgebung verantwortlich. Die Aufwertung der Mutter macht ja auch etwas mit dem Kind. Und es macht sie zum einzigen Repräsentanten des Glücks für das Kind. Das ist auch eine enorme Verantwortung für die Mutter.

Damit geht aber auch eine Macht einher, die viele Frauen nicht aufgeben wollen...

...und Männer wollen die Macht nicht aufgeben, Alleinverdiener zu sein. Niemand verliert gerne Macht und Einfluss. Männer und Frauen verlieren dabei aktuell aber beide. Er verliert, weil er finanziell massiv unter Druck steht. Sie gerät in langfristige Abhängigkeiten. Von einer Gleichstellung würden beide profitieren. Das ist eine Erkenntnisfrage.

Wenn beide Geschlechter profitieren, warum ändert sich nichts?

Frauen allein werden es nicht schaffen, diese Veränderungen durchzusetzen. Dazu braucht es Männer, die ihren eigenen Nutzen erkennen. Das war bei allen bisherigen Errungenschaften so - vom Frauenwahlrecht bis zur Abtreibung -, da hat es potente Frauen und Männer gebraucht.

Aktuell wird Gleichwertigkeit oft mit Gleichheit verwechselt. Warum?

Gleichheit ist ein moralisches Prinzip, keine Tatsachenbehauptung. Frauen und Männer sind nicht gleich. Entscheidend ist, dass wir gemeinsame Interessen haben, die gleichwertig gewahrt werden müssen. Da geht es um das gleiche Bedürfnis nach Obdach, nach liebevollen Beziehungen. Dafür spielen körperliche Unterschiede keine Rolle. In patriarchalen Systemen werden die Bedürfnisse von Männern denen von Frauen vorgezogen. Wenn wir wollen, dass in einer Gesellschaft Kinder geboren werden, dann müssen wir auf die Interessen der Frauen Rücksicht nehmen. Kinder zu haben, kann nicht allein auf ihre Kosten gehen.

Traditionelle Rollenbilder sind wieder populärer, auch bei Frauen. Woran liegt das?

Diese Backlashes kommen immer wieder und sind ein Abwehrmechanismus in unsicheren Zeiten - aber auch ein Resultat knapper werdender Ressourcen. Da wird der Familienerhalter gestärkt. Die Frau muss ja nicht unbedingt auf den Arbeitsmarkt, ist ja auch praktisch, wenn sie da Platz für Männer frei macht. Somit erhält sich das System noch eine Runde. Das wird vor allem dann problematisch, wenn es rechtliche Konsequenzen hat - wie in Debatten über das Abtreibungsverbot oder Bekleidungsvorschriften.

Aktuell dominiert die Debatte die Gewalt gegen Frauen. Ließe auch die sich durch Geschlechtergerechtigkeit bekämpfen?

Sicher auch dadurch. Und mit der Enttabuisierung des Körpers. Da nehmen wir uns als Gesellschaft als viel emanzipierter wahr, als wir es sind. Was junge Menschen an Unwissenheit, aber auch Abscheu gegenüber Themen wie Verhütung oder Menstruation haben, ist erschreckend. Sobald etwas tabuisiert wird und durch Unwissen vage bleibt, wird es unheimlich, ruft es nach Macht und Kontrolle. Dagegen angehen kann man mit ordentlicher Aufklärung im Biologie- und Ethikunterricht oder mit Gratis-Verhütungsmitteln.

Das effizienteste Schräubchen bleibt aber wohl Geld?

Da ist eine Urforderung des Feminismus und der Schlüssel, um viele Missstände anzugehen. Wenn Frauen nur aus ökonomischen Zwängen bei ihren Partnern bleiben - das kann auch nicht im Interesse der Männer sein.

Was feiern wir am 8. März? Wäre der einzige Grund nicht die Abschaffung des Frauentages?

Er ist aber leider noch immer notwendig. Und zugleich peinlich. Wir haben es noch immer nicht geschafft. Echte "Brüderlichkeit" zwischen Menschen kann es nur unabhängig von Geschlecht geben.

Lisz Hirn:

"Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist"

Molden Verlag, 144 Seiten, 20 Euro