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Gegen den Malestream

Von Fiona Sara Schmidt

Politik
© an.schläge

Seit mehr als dreißig Jahren berichtet das feministische Magazin "an.schläge" von Wien aus kritisch über Politik, Gesellschaft und Kultur.


Wien. Eigentlich wollte ich ein Praktikum bei einer Tageszeitung machen, als ich vor knapp sechs Jahren für ein Semester aus dem deutschen Gießen nach Wien kam. Doch ein Freund empfahl mir, es doch einmal bei einem feministischen Magazin zu versuchen, von dem ich bis dahin noch nie etwas gehört hatte. Zwar hatte ich Seminare zu feministischer Theorie und österreichischen Schriftstellerinnen belegt, doch nun ging es um die Praxis: Mitarbeit bei einer Zeitschrift, in der Frauen über Frauen schreiben, und die es schon länger gibt als mich.

Ingrid Draxl und Andrea Krakora hatten 1982 in Café Museum die Idee, eine feministische Frauenzeitschrift zu gründen, ein Jahr später erschien die erste Ausgabe der "an.schläge" mit einer Förderung des Sozialministeriums von 20.000 Schilling und einem Redaktionskollektiv, das in der Wiener Frauen- und Lesbenbewegung tief verwurzelt war. Das Gefühl einer vereinten Frauenbewegung gab es auch damals nur bei größeren Veranstaltungen, sonst waren die Schwerpunkte und Interessen unterschiedlich. Ingrid Draxl schilderte ihren Wunsch nach Öffnung als Motivation in einem Gespräch einmal so: "Raus aus diesem abgeschlossenen Zirkel zu den ‚normalen‘ Frauen. Ich habe damals die ganz naive Vorstellung gehabt, wir möchten alle Frauen ansprechen. Einerseits als Abgrenzung zu diesen Publikumszeitschriften. Aber auch als Abgrenzung zur rein intellektuellen Zeitschrift, die nur im Unibereich gelesen wird."

Enttabuisierung von Themen

Während aktuell die großen Medienhäuser um neue Finanzierungsmodelle ringen, trägt feministischer Journalismus das krisenhafte Moment bereits in sich. Auch wenn unsere Abozahlen steigen, an üppige Einnahmen aus Anzeigeverkäufen ist nicht zu denken, die knappen personellen und zeitlichen Ressourcen bedeuten stets Arbeiten am Limit. Selbstausbeutung und eine hohe Fluktuation begleiten das Projekt bis heute. Doch allen Schwierigkeiten zum Trotz: Die "an.schläge" erscheinen als einziges feministisches Printmagazin im deutschsprachigen Raum heute acht Mal pro Jahr. Feministische Medien - Print und mittlerweile auch Blogs - sind zentrale Orte der Auseinandersetzung für die Frauenbewegung geblieben. Sie waren es, die zur Enttabuisierung von Themen wie Gewalt in der Familie beigetragen haben und Themen wie Alltagssexismus in die etablierten Blätter brachten.

Einerseits sind Themen wie Abtreibung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen PartnerInnen oder die Diskriminierung von Transgender-Personen in den Mainstream-Medien angekommen. Die Zahlen zu Gehaltsunterschieden und Frauen in Führungspositionen sind bekannt. Doch feministische Themen sind in österreichischen Medien nach wie vor in erster Linie rund um den Frauentag zu finden, Nachrichtenmagazine wie das Profil bringen laufend antifeministische Polemik auf die Titelseite. Rückschläge längst geglaubter emanzipatorischer Errungenschaften sind an der Tagesordnung: Die Hymne wird in Frage gestellt, gegen das Binnen-I mobilisiert oder der sogenannte Genderwahn beklagt. Und wenn der Falter eine ganze Beilage zum Thema Feminismus bringt, ist die laut Impressum eine entgeltliche Einschaltung des Bundesministeriums für Bildung und Frauen. Beim tagesaktuellen feministischen Medium "dieStandard.at" wurde die Redaktion drastisch zusammengekürzt. Umso wichtiger ist es für uns, feministisch relevante Nachrichten aufzubereiten, gesellschaftliche Entwicklungen zu analysieren und feministische Kritik in der österreichischen Medienlandschaft hochzuhalten - aktuell etwa bei der Steuerreform.

Wie ein Geheimbund

Unser Magazin setzt auf einen bis zu 15 Seiten starken Schwerpunkt, zuletzt standen etwa Liebe&Feminismus, Science Fiction und Utopien sowie Religion im Fokus. Wir führen derzeit eine umfangreiche Interview-Serie zu Frauenpolitik, fragen, welche spezifischen Auswirkungen das TTIP auf Frauen hat oder welche geschlechtsspezifischen Aspekte es beim Thema Suizid gibt. Wichtig ist uns dabei immer, nicht auf Zuruf der Mainstream-Medien Empörung zu produzieren, sondern einzuordnen, zu analysieren und eigene Themen zu setzen. Wir sehen uns der queeren Bewegung verpflichtet, haben einen Blick auf mehrfache Diskriminierung, Klassenfragen und Migration.

Zu unserem Redaktionsalltag: Zwei fest angestellte und eine freie Redakteurin sowie eine Buchhalterin erledigen die tägliche Arbeit, an Redaktionssitzungen und den inhaltlichen Entscheidungen nimmt aber auch das (ehrenamtliche) Redaktionskollektiv teil. Die Vielfalt über weiße Akademikerinnen hinaus muss sich in Zukunft auch mehr im Kollektiv selbst spiegeln. An Nachwuchs mangelt es uns glücklicherweise nicht, laufend kommen neue Praktikantinnen in die Redaktion, viele bleiben uns als freie Mitarbeiterinnen treu.

So habe auch ich vor sechs Jahren angefangen, bis ich gefragt wurde, ob ich in das "Kollektiv" aufgenommen werden möchte - ein bisschen wie ein Geheimbund, bis heute. Jetzt arbeite ich selbst an den Kriterien für die Aufnahme mit und bin für Praktikantinnen der "an.schläge" zuständig. Fixe Hierarchien gibt es nicht, Strukturen müssen wir uns selbst schaffen. Das ist mitunter anstrengend, bedeutet aber auch viel Freiheit.

Fiona Sara Schmidt, geboren 1985, studierte Komparatistik in Gießen und Wien, seit 2009 als freie Mitarbeiterin und seit einem Jahr als leitende Redakteurin beim feministischen Magazin "an.schläge".