Tokio. Zum ersten Mal wurde in Japan bei einem Arbeiter im havarierten Kernkraftwerk Fukushima Daiichi Schilddrüsenkrebs als Folge seiner Arbeit dort anerkannt, wie die japanische Presseagentur Jiji berichtete. Damit hat er ein Anrecht auf Kompensationszahlungen. Der Mann in seinen Vierzigern war nach dem Erdbeben und dem Tsunami bei der Beseitigung der Schäden an der Anlage beschäftigt, in der es seit dem 11. März 2011 zu mehreren Kernschmelzen gekommen war. Zuvor war bei zwei Arbeitern Leukämie als Folge ihrer Tätigkeit dort anerkannt worden.
Bei einer Versammlung von Experten im zuständigen Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt vergangene Woche wurden erstmals die Kriterien festgelegt, nach denen Schilddrüsenkrebs als durch die berufliche Tätigkeit ausgelöste Krankheit infolge radioaktiver Strahlung anerkannt werden kann. Dazu zählt eine Strahlendosis von mindestens 100 Millisievert sowie eine Zeitspanne von fünf oder mehr Jahren seit der Strahlenexposition bis zur Entwicklung von Krebs.
Auf Basis dieser Kriterien schlussfolgerte eine Behörde für Arbeitsstandards in der am stärksten von den Folgen der Katastrophe betroffenen Provinz Fukushima, dass die Krebserkrankung des Mannes auf die Strahlung zurückzuführen ist, die im AKW freigesetzt wurde. Es war die schlimmste Katastrophe in einem AKW seit dem GAU im ukrainischen Tschernobyl 1986.
Der Arbeiter war seit 1992 bei dem Energiekonzern Tokyo Electric Power (Tepco) beschäftigt. Er hatte über 20 Jahre lang in mehreren Kernkraftwerken gearbeitet und war hauptsächlich in der Durchführung und der Beaufsichtigung des Reaktorbetriebs tätig.
Als nach der Katastrophe 2011 zwei Wasserstoffexplosionen die Reaktorgebäude Eins und Drei zerfetzten, war der Mann auf dem Gelände des Kernkraftwerkes. Nach Angaben der Zeitung "Asahi" war er dafür zuständig, Wasser- und Druckmessgeräte abzulesen sowie Brennstoff für Wasserpumpen bereitzustellen. Zwei Jahre nach Ende seiner Arbeit dort wurde bei ihm im April 2014 Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Die Zeitung beziffert seine kumulative Strahlungsdosis auf rund 150 Millisievert, davon knapp 140 seit Beginn der Katastrophe. 40 Millisievert davon sollen Folgen einer inneren Exposition durch Inhalieren oder andere Aufnahme radioaktiver Materialien gewesen sein.
Im Laufe des gesamten Arbeitslebens darf etwa in Deutschland die Strahlenbelastung eines Arbeiters im Kernkraftwerk insgesamt 400 Millisievert nicht übersteigen. Die Strahlung wird in einem Strahlenpass festgehalten.
Nach Angaben der Internationalen Strahlenschutzkommission steigen die Lebenszeit-Mortalitätsrisiken bei einer Strahlenexposition von 100 Millisievert um ungefähr 0,5 Prozent. Eine gemeinsame Studie von Tepco und einem wissenschaftlichen Komitee der Vereinten Nationen zu den Folgen von Strahlung hat erbracht, dass bis Ende März 2016 bei 174 Arbeitern, die im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi tätig waren, die gesamte Strahlendosis im Körper 100 Millisievert überstieg. Einer anderen Schätzung zufolge, die "Asahi" zitiert, sollen über 2000 Arbeiter diesen Wert alleine in ihrer Schilddrüse aufweisen.