Spinnt man diesen Gedanken weiter, könnten in den Gerichtssälen der Zukunft nicht mehr psychiatrische Gutachten, sondern naturwissenschaftlich fundierte Hirnscans über die Zurechnungsfähigkeit entscheiden. Der US-amerikanische Neurowissenschafter David Eagleman geht sogar so weit, das Rechtssystem mithilfe der Hirnforschung reformieren zu wollen. Sein Ansatz: Dass Justizsysteme davon ausgehen, dass Menschen rationale Entscheidungen fällen, sei falsch. Sie müssten vielmehr - anhand von Hirnscans - die Individualität der Gehirne berücksichtigen.
Noch lassen sich Zurechnungsfähigkeit und freier Wille, der in der Rechtssprechung entscheidend ist, mit Hirnscans allerdings nicht abbilden. "Es wäre schön, wenn das so wäre", sagt dazu Reinhard Haller, österreichischer Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe und psychiatrischer Gerichtsgutachter. "Wenn man hier eine gewisse Objektivierung hineinbringen könnte, wäre das wünschenswert." Denn mithilfe der Psychiatrie sei es mitunter sogar schon schwierig, zu sagen, ob es sich bei einer Depression um eine leichte, mittlere oder schwere Form handelt.
"Therapie hilft nicht viel"
Aktuell definiert die Rechtssprechung bei der Zurechnungsunfähigkeit vier Störungen: "Wer zur Zeit der Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einer diesen Zuständen gleichwertigen seelischen Störung (zum Beispiel Rauschzustand, Anm.) unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt nicht schuldhaft", heißt es im § 11 StGB Zurechnungsunfähigkeit.
Grundsätzlich gehe es aber um viel mehr als das, sagt Haller. Es gehe um die Frage, "ob das menschliche Gehirn jemals in der Lage sein wird, sich selbst zu begreifen". Auf dem Weg dorthin wäre vor Gericht ein Mix aus psychiatrischen Gutachten und Hirnscans sinnvoll, sagt Hans Markowitsch, emeritierter Professor für Neurowissenschaften. Ein Scan koste 500 bis 700 Euro. "Vor 100 Jahren gab es noch keine psychiatrischen Gutachten, und so selbstverständlich, wie sie heute sind, werden eines Tages neurologische Befunde sein", sagt er.
"Wenn man bei Psychopathen sagt, dass sie nicht anders können, dass sie keinen freien Willen haben, wären auch sie vermindert strafmündig und müssten adäquat untergebracht werden", sagt Markowitsch. Eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Unterbringung zurechnungsunfähiger Rechtsbrecher in Österreich ist der Maßnahmenvollzug. In Norwegen gibt es eine "Gefängnisinsel", die die Rechtsbrecher großteils selbst bewirtschaften. "Das funktioniert ganz gut, es ist aber teuer", so Markowitsch.
Therapie helfe indes "nicht sonderlich viel. Echte Psychopathen sind kaltherzig, weil ihre Hirnstruktur anders ist." Die Gefahr, rückfällig zu werden, sei enorm.
Der österreichische Psychologe und Neurowissenschafter Niels Birbaumer, der in Deutschland an der Uni Tübingen arbeitet, ist anderer Meinung. Er glaubt, eine Methode gefunden zu haben. Im Zuge einer Versuchsreihe konfrontierte er Schwerverbrecher mit dem Scan ihres eigenen Gehirns. "Sie saßen vor dem Bildschirm und beobachteten jene Hirnteile, die defekt sind, während sie Fotos mit angsteinflößenden Szenen sahen", sagt Birbaumer. Auf einer Art Thermometeranzeige konnten sie den Blutfluss in diesen Regionen - unter anderem in besagter Amygdala - verfolgen.