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Die Pilze der Götter

Von Thomas Seifert

Gehirn

Psychoaktive Pflanzen sollten den Menschen seit jeher dabei helfen, die Grenzen ihres Bewusstseins zu erweitern.


Wien. "Jene, die die Pilze essen, sehen Visionen und spüren ihren Herzschlag. Die Visionen, die sie sehen, sind das eine Mal furchterregend, das andere Mal witzig", schrieb der Ethnograf Fray Bernardino de Sahagún in seinem Buch "Codex Florentinus" aus dem Jahr 1569. Bernardino de Sahagún studierte die Azteken und war darauf gestoßen, dass die Ureinwohner des Landes, das die Conquistadores unterworfen hatten, reiche Kenntnisse der bewusstseinserweiternden Wirkung der verschiedensten Pflanzen hatten.

Die Archäologen haben heute Zeugnisse dieser altertümlichen Drogenkultur: Eine prä-kolumbianische Statue, die zirka um 1200 vor Christus entstanden sein muss, zeigt einen zweigeteilten Kopf: Die linke Seite zeigt einen Jaguar-Kopf, die rechte Seite ein menschliches Antlitz, auf dem das Bild eines Amanita-muscaria-Pilzes eingearbeitet ist. Hat der unbekannte Künstler aus dem südamerikanischen Altertum seine Psilocybin-Drogenerfahrung verarbeitet?

Medizin und religiöse Rituale

"Die Menschen in Mesoamerika nützten diese psychotropischen Drogen vor allem zu medizinischen Zwecken und für religiöse Rituale", wird der spanische Experte für tropische Neurologie, Francisco Javier Carod-Artal auf der renommierten Naturwissenschaftswebsite livescience.com zitiert. Mittelamerikanische Grabfiguren aus der Zeit um 200 vor Christus zeugen davon, dass vor über 2200 Jahren neben Pilzen auch die psychedelische Droge Peyote, die aus dem Kaktus Lophophora williamsii gewonnen wird, verwendet wurde. Der Name Peyote leitet sich aus der Nahuatl-Sprache ab, die von Azteken und Nahua gesprochen wurde, für die Peyotl nichts anderes als der "Götterbote" war. Der Kaktus wurde für Feldfruchtbarkeitsrituale oder Rituale, die Jagderfolg und Kriegsglück garantieren sollten, verwendet. Die Schamanen erhofften sich hellseherische Fähigkeiten, Peyote wurde aber auch jenseits des Rituals zur Bekämpfung von Hunger, Durst und Ermüdung verwendet.

Wirkstoff Meskalin

Peyote wurde später von den christlichen Missionaren verdrängt und durch den Agavenschnaps Tequila ersetzt, wurde aber ab zirka 1870 bei den Indianerstämmen Nordamerikas verwendet. Die wichtigste psychoaktive Substanz von Peyote ist Meskalin, eine chemische Verbindung, die 1897 vom deutschen Chemiker Arthur Heffner entdeckt wurde. "Heffners Entdeckung repräsentiert das erste Zusammenprallen von indigenen religiöser Praxis - altertümlich, emotional und subjektiv - mit moderner Pharmakologie - eine damals noch junge Wissenschaft, objektiv und distanziert", schreibt Autor Cody Johnson in seinem Buch "Magic Medicine".

Psychotropische Substanzen waren nun dem Reich der Religion, der Magie und Mystik entrissen und wurden von der Wissenschaft studiert und neugierige Psychonauten erhofften sich Bewusstseinserweiterung. So schilderte der britische Schriftsteller Aldous Huxley in seinem im Jahr 1954 erschienenen Essay "Die Pforten der Wahrnehmung" seine Erfahrungen mit Meskalin. Die sinnliche Wahrnehmung eines Blumenstraußes habe er als so intensiv empfunden, dass Huxley ihn in seiner "Istigkeit" (er verwendet dieses Deutsche Wort auch im englischen Original) spürte und ihm Wörter wie "Gnade" oder "Verklärung" in den Sinn kamen. Huxleys Buch wurde für die Beatnik-Generation zum kultigen Reiseführer durch diese neue Welt mysteriöser Substanzen. Eine ganze Generation war auf der Suche nach dem Selbst, dem eigenen Bewusstsein.

Auf die Beatniks folgten die Hippies, die voller Enthusiasmus auf Huxleys Spuren wandelten. Der höchst umstrittene Psychologe Timothy Leary gab beim "Human BeIn", einem Hippie-Festival im Jahr 1967 im Golden Gate Park in San Francisco, die Devise aus: "Turn on, tune in, drop out". Leary war aber auch gleichzeitig das Enfant terrible der Hippie-Psychonauten, der nicht eben zu deren positiven Imagebildung beitrug. Leary wurde mehrmals verhaftet und verurteilt, floh mithilfe der linksradikalen militanten Untergrundorganisation Weathermen zunächst nach Algerien, dann in die Schweiz und nach einem kurzen Aufenthalt in Wien weiter nach Afghanistan - von wo aus er schließlich 1976 an die USA ausgeliefert wurde. In der Wissenschaft wurde unterdessen die Forschung an psychoaktiven Drogen mehr und mehr Tabu.

Renaissance ab 2006

Der US-Journalist Michael Pollan schildert in seinem kürzlich erschienenen Buch "How to Change your Mind", dass es seit 2006 eine Renaissance in der Erforschung psychoaktiver Substanzen gibt. Palliativmediziner und Psychologen versprechen sich neue Wege zur Bekämpfung der Depression, Ärzte experimentieren mit der Droge MDMA zur Bekämpfung von postraumatischem Stresssyndrom etwa bei Armeeveteranen. Und auch Psilocybin, das aus Pilzen wie jenen gewonnen wird, über deren Wirkung der Spanier Bernardino de Sahagún verwundert geschrieben hat, dient in klinischen Experimenten als Hilfsmittel bei psychoanalytischen Sitzungen.