Familie und Freunde treffen sich in einem Landrestaurant zum Mittagessen, man hat sich länger nicht gesehen. Die Freundin der Mutter ist älter geworden, aber immer noch eine äußerst fesche Person. Auch heute hält ihr eine Brille die Haare hinter die Ohren. Die Mutter trägt ihre korallenfarbene Bluse, die ihr Gesicht strahlen lässt. Der Vater sagt, er sei müde. Das sagt er oft, hoffentlich geht er bald zum Arzt, er kümmert sich viel zu wenig um seine Gesundheit - kümmert man selbst sich auch zu wenig um ihn? Ein Schwank aus dem Leben des Mannes der Freundin legt einen Teppich des Smalltalk über die Sorgen. Im Raum duften Köstlichkeiten, der Blick in die Speisekarte lässt das Wasser im Mund zusammenrinnen. Der Schwester gelüstet nach Schnitzel und dem Kind, obwohl es erst fünf ist, nach Beef Tartare. Heran schwebt der Kellner und nimmt die Bestellungen auf. Herein scheint die Sonne. Herbstliches Kaiserwetter, aber etwas zu kühl, um im Garten zu sitzen. Irgendwann wird es diese Zusammenkünfte nicht mehr geben. Man sollte sich öfter treffen.

- © primipil - stock.adobe.com
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Farben, Gerüche, Töne, Stimmungen und Empfindungen: In jedem Moment erfasst das Gehirn unzählige Einzelheiten und verknüpft sie zu einem Gesamteindruck. "Bewusstsein ist nicht nur die Fähigkeit, die Vorgänge in der Umwelt wahrzunehmen und darauf zu reagieren, sondern auch, uns unserer Schlussfolgerungen daraus gewahr zu werden", erläutert der deutsche Hirnforscher und Neurophysiologe Wolf Singer. Der Mensch verknüpft, was er erlebt, und setzt es in einen Bezug zum Ich. Zieht seine Schlüsse, vergleicht soeben Erlebtes mit seinen Erfahrungen, wägt ab, bewertet, entscheidet, worauf er die Aufmerksamkeit als Nächstes richten soll, plant die Zukunft und bereut die
Vergangenheit, empfindet Ablehnung und Vorfreude, Spannung und
Harmonie.

Doch wie das Gehirn all diese Leistungen vollbringt, ist ein Rätsel. "Wir wissen nicht, wie Bewusstsein zustande kommt", sagt Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof. "Bewusstsein ist schwer nach objektiven Kriterien zu messen. Das liegt schon allein daran, dass wir nicht wissen, wie Gefühle, wie Liebe und Hass, entstehen." Natürlich ist einem selbst klar, ob man vor Wut schäumt oder vor Verliebtheit Schmetterlinge im Bauch hat. Doch um wissenschaftlich nachzuweisen, welche Teile des Gehirns dabei auf Hochtouren laufen, müssten hunderte Testpersonen hunderte Male in exakt dieselben Gefühlslagen versetzt werden können. "Auch das Gedächtnis ist dem experimentellen Beweis nicht zugänglich. Deswegen haben wir keine Ahnung, wie es wirklich funktioniert", sagt Südhof, der die Synapsen, also die Kommunikationswege im Gehirn, die sich laufend verändern, erforscht. Seine Conclusio zum Sitz des Ich: "Das Bewusstsein, und damit das Ich, ist ein Ergebnis der Aktivität einer Riesenmenge von Netzwerken im Gehirn, die alle zusammenspielen."