Wien. Das menschliche Gehirn ist eines der komplexesten Gebilde im Universum. Auf kleinstem Raum verbinden sich 86 Milliarden Nervenzellen zu unzähligen Netzwerken, die Sinnesreize bewusst machen, sie einordnen und abspeichern und dabei noch alle Köperfunktionen steuern. Wegen seiner enormen Leistungsfähigkeit wird unser Denkorgan immer wieder mit einem Supercomputer verglichen. In Wirklichkeit aber haben die beiden Systeme sehr unterschiedliche Begabungen, sagt der Informatiker Stefan Woltran, Professor für Künstliche Intelligenz an der Technischen Universität Wien.

- © adobestock/haywire media
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"Wiener Zeitung": Die Leistung von Computern verdoppelt sich etwa alle zwei Jahre. Somit werden Maschinen irgendwann die Leistungsfähigkeit des Gehirns erreichen. Wie sinnvoll sind solche Vergleiche?

Stefan Woltran: Die Frage lässt sich mit einer anderen Analogie gut beantworten: Die Humanbiologie ist ebenso irrelevant für die Künstliche Intelligenz wie die Ornithologie für die Luftfahrttechnik.

Stefan Woltran geboren 1975 in Mödling, studierte Informatik an der Technischen Universität Wien und ist Professor für Künstliche Intelligenz am dortigen Institut für Informationssysteme. - © Florian Aigner/TU Wien
Stefan Woltran geboren 1975 in Mödling, studierte Informatik an der Technischen Universität Wien und ist Professor für Künstliche Intelligenz am dortigen Institut für Informationssysteme. - © Florian Aigner/TU Wien

Wie bitte?

Sowohl Vögel als auch Flugzeuge können fliegen. Sie sind aber grundverschieden. Wenn man Flugzeuge also als "künstliche Vögel" sieht, dann können wir zwar Maschinen bauen, die wesentlich schneller fliegen als Vögel - nicht zuletzt durch Technologien wie den Düsenantrieb, den man in der Natur so nicht findet. Es wäre jedoch extrem schwierig, ein Objekt herzustellen, das einer Feder gleicht oder fliegen kann wie ein Adler. Ähnlich ist es mit dem Computer: Zwar kann er viel schneller "rechnen" als der Mensch, ihm liegen jedoch fundamental andere Technologien zugrunde.

Grundlegend: Wie verarbeitet der Computer Information?

Computer sind nicht mehr als "Rechner", die Bit-Operationen nach vorgegeben Programmschritten durchführen. Im Kern ist das auch in modernen, hochgradig parallelen Architekturen für neuronale Netze nicht anders. Der Philosoph John Searle argumentiert, dass man durch das schiere Abarbeiten von simplen Berechnungsschritten, um ein Problem zu lösen, das Problem selbst nicht "verstehen" kann. Searle folgert daraus, dass es völlig unklar ist, wie diese Systeme jemals dazu gebracht werden können, selbständig zu denken.

Warum heißt es dann "Künstliche Intelligenz" (KI)?

Die Annahme ist, dass ein System zum Denken befähigt ist, wenn es nur hinreichend komplex ist. Zu unterscheiden ist zwischen "Starker KI" und "Schwacher KI". Schwache KI ist die Simulation von Fähigkeiten, die man menschlicher Intelligenz zuordnet - etwa die Fähigkeit, die Brettspiele Schach oder Go zu spielen. Hierbei ist nicht das Ziel, ein System zu schaffen, dem man Intelligenz an sich zuschreibt. Starke KI verhält sich hingegen tatsächlich intelligent, wobei diese Begriffsdefinition sehr schwierig ist. Intelligenz subsumiert nämlich Bewusstsein und Selbstreflexion und es gibt derzeit noch keine Idee, wie man diese Fähigkeiten einer Maschine verleihen könnte. Daher ist die Frage, ab wann sich ein System intelligent verhält, schwer zu beantworten. Der britische Mathematiker Alan Turing war der Ansicht, dass dies gegeben sei, wenn ein Mensch nicht unterscheiden kann, ob er sich mit einem Artgenossen oder einem Computer unterhält.