"Wiener Zeitung": In Wien gibt es bereits mehr niedergelassene Wahlärzte als Kassenärzte, warum ist das so?

Johannes Steinhart: Im Unterschied zu Kassenärzten können sich Wahlärzte frei niederlassen. Grundsätzlich spricht nichts gegen die Existenz einer Vielzahl an Wahlarztordinationen. Die Ärztekammer fordert  allerdings seit Längerem vehement zusätzliche Kassenordinationen. In Wien gibt es momentan rund 100 Kassenstellen weniger als im Jahr 2000 und das, obwohl die Einwohnerzahl um vieles zugenommen hat. In Wien bräuchte es rund zusätzliche 300 Kassenstellen für eine optimale Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Wie ist die Situation der Wahlärzte (auch finanziell) in Wien?

Das ist sehr unterschiedlich, da es sehr vom jeweiligen Leistungsspektrum abhängt. Noch mehr als im  Kassenbereich spielt auch die Persönlichkeit des Arztes und die speziellen Angebote eine Rolle. Die Ärztekammer setzt sich selbstverständlich auch für die Interessen der Wahlärzte ein und unterstützt sie in vielerlei Hinsicht.

Wird der Wahlarztbesuch zum Standardfall werden?

Nein, das hoffe  und glaube ich nicht, denn gerade sozial schwächer gestellte Menschen sind auf ein funktionierendes Kassensystem angewiesen. Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass sich die Politik seit einigen Jahren ein öffentliches Gesundheitssystem nicht mehr leisten will.  Nur so ist das stetige zurückfahren von Ambulanzen und Kassenordinationen zu erklären.  Wir als Ärztekammer treten für eine rasche Aufwertung der niedergelassenen Ärzte ein. Dafür braucht es rund 300 zusätzliche Kassenstellen sowie eine Entbürokratisierung des Praxisalltags.

Unsere statistische Auswertung hat ergeben: Je reicher der Bezirk, desto mehr Wahlärzte lassen sich dort nieder. Was sagen Sie zu dieser Tendenz?

Ich sehe das als erstes Anzeichen einer Zweiklassenmedizin an. Ich kann es aber weder meinen Kolleginnen und Kollegen noch den Patientinnen und Patienten übel nehmen, dass sie sich den aktuellen Tanzenden der Gesundheitspolitik anpassen. Wahlärzte siedeln sich selbstverständlich dort an, wo die Nachfrage nach ihren Leistungen am größten ist.  Wenn Patientinnen und Patienten gewünschte Leistungen und Rahmenbedingungen im Kassenbereich nicht vorfinden, weichen sie, wenn sie es sich leisten können, in den Wahlarztbereich aus.