Wer erfolgreich regieren will, darf keine Schulden machen. Nicht mehr ausgeben als einnehmen, einen ausgeglichenen Haushalt führen, kurz: die schwarze Null, sie muss stehen. Damit unsere Kinder und Kindeskinder später nicht die Last tragen müssen, so die Begründung. Doch so starr Regierende jahrelang an dieser Bedingung festhielten, so plötzlich mussten sie heuer davon abrücken. Das Coronavirus legte das wirtschaftliche Leben lahm, der Staat musste eingreifen. Seither verteilt er milliardenschwere Zuschüsse, bürgt für Kredite, senkt Steuern, Gebühren und verschuldet sich so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Am Ende des zweiten Quartals betrug der öffentliche Schuldenstand in Österreich 315,7 Milliarden Euro, Ende 2019 waren es noch 280,3 Milliarden Euro. Die Schuldenquote, also das Verhältnis der Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), stieg auf 82,6 Prozent, Ende 2019 waren es noch 70,5 Prozent des BIP. Bis Ende 2020 soll das Budgetdefizit auf 9,2 Prozent des BIP steigen, prognostiziert die Österreichische Nationalbank (OeNB). Doch nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den kommenden wird es wohl ein rotes Minus geben.
Ist die Schwarze Null also ein Fall für die Geschichtsbücher? Kann sich ein Staat jahrelang verschulden, ohne pleitezugehen? Müssen die Schulden zurückgezahlt werden? Und wenn ja, wer soll sie bezahlen? Es gibt nicht nur eine Antwort auf diese Fragen. Ökonomen und Parteien haben dazu unterschiedliche Ansichten und Lösungsvorschläge, wie sich der Staat aus der Pandemie herauswirtschaften könnte. Die "Wiener Zeitung" hat mit allen fünf Parlamentsparteien sowie drei Ökonomen gesprochen und deren Vorschläge zusammengetragen:
- ÖVP: Wirtschaftswachstum ohne neue Steuern
Das Budget 2020 und 2021 ist für die Kanzlerpartei deutlich von der Corona-Krise geprägt. Ab 2022 soll es aber wieder ein "normales Budget" geben: also ein Budget, bei dem die Schwarze Null wieder im Vordergrund steht. Schließlich habe sich diese Politik bewährt, heißt es aus der ÖVP: Die ausgeglichenen Haushalte der vergangenen Jahre würden jetzt Früchte tragen. Österreich sei auf dem internationalen Finanzkapitalmarkt hoch angesehen und könne sich deshalb günstig Geld leihen.
Aus den Schulden herauskommen will die ÖVP mit Wirtschaftswachstum. Es brauche ein Bündel an Maßnahmen, wie die Eigenkapitalstärkung der Unternehmen, branchenspezifische und nachhaltige Investitionsanreize sowie eine Ankurbelung der Kaufkraft durch umfassende Beschäftigungsprogramme im Zuge der konjunkturellen Phase. Wie genau diese Maßnahmen aussehen könnten, bleibt offen. Fest steht jedoch: Die ÖVP spricht sich gegen jegliche neue Steuern aus.
- SPÖ: Millionärssteuer und Digitalsteuer
Die größte Oppositionspartei verweist auf die hohen Kosten von Arbeitslosigkeit: 100.000 Arbeitslose mehr bedeuten laut SPÖ automatisch 3 Milliarden Euro höhere Schulden. Wie kann das aber verhindert werden? Die Sozialdemokraten wollen auf eine Steuerreform für untere und mittlere Einkommen setzen. Sie fordern einen kollektivvertraglichen und steuerfreien Mindestlohn von 1.700 Euro. Zudem solle das Arbeitslosengeld erhöht werden.
Die Schulden senken würden die Genossen mittels Millionärssteuer, Digitalsteuer, Finanztransaktionssteuer, EU-weiten Mindestkörperschaftsteuersätze, einer Solidarabgabe von Online-Konzernen und unbefristet 55 Prozent Spitzensteuersatz für Einkommen ab 1 Million Euro.
- FPÖ: Schuldenschnitt und Verwaltungsreform
Von der Schwarzen Null müssten wir uns in den nächsten Jahren verabschieden, heißt es seitens der FPÖ. Die Freiheitlichen fordern einen Schuldenschnitt für Überbrückungskredite. Zudem dürfe es keine Steuererhöhungen geben, da diese die Wirtschaft noch mehr belasten würden.
Um die Ausgaben zu senken, schlagen die Blauen einmal mehr eine Verwaltungsreform vor. Wie genau diese aussehen könnte, wolle man zwar nicht verraten. Vielmehr sollten sich alle Parteien zusammensetzen und ohne ideologische Scheuklappen nachdenken. Als Reformbeispiel wird die Zusammenlegung von Gemeinden in der Steiermark angeregt. Eine Möglichkeit für weniger Staatsausgaben gebe es auch bei den Pensionen. Die Altersversorgung sollte ein Versicherungssystem sein, das sich selber erhalte und nicht - wie derzeit - vom Bund mitfinanziert werde.
- Grüne: Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer
Schon vor der Krise hätte es einen gerechten Beitrag der Vermögenden gebraucht, nach der Krise werde das umso mehr gelten, sagen die Grünen. Neben der überfälligen Reform von Grund- und der Erbschaftssteuer sei auch eine einmalige Solidarabgabe von Millionären wie etwa in Argentinien eine Option. Dringend notwendig sei eine stärkere Besteuerung von umweltschädlichem Verhalten. Keine Option für die Grünen sind höhere direkte Belastungen der gerade erst entlasteten kleinen und mittleren Arbeitseinkommen.
- Neos: Steuersenkung und CO2-Bepreisung
Für eine budgetäre Konsolidierung sei vor allem Wachstum notwendig, lautet die Devise der Neos. Dementsprechend müssten Ausgaben zur Krisenbewältigung in Bereiche investiert werden, die zukünftiges Wachstum generieren würden, also in Digitalisierung, Klima, Infrastruktur und Bildung. Notwendig sei eine drastische Senkung der Lohnnebenkosten und der Einkommenssteuer, die Abschaffung der sogenannten Kalten Progression sowie eine konsequente CO2-Bepreisung, so die Neos.
Finanzieren wollen sie diese Maßnahmen durch eine Senkung der Ausgaben. Dazu brauche es tiefgreifende Reformen der großen budgetären Positionen: Pensionen, Pflege, Gesundheit und Verwaltung. Rund 13 Milliarden Euro pro Jahr könnten dadurch eingespart werden, rechnen die Pinken vor.
EU fördert mit einem Drittel ihrer Wirtschaftsleistung
Die EU-Staaten haben bis Juli 1.250 fiskalpolitische Maßnahmen im Wert von 3,5 Billionen Euro ergriffen. Das entspricht 27 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) der EU, hat der EU-Rechnungshof errechnet. Bei den meisten Maßnahmen handelt es sich um Programme zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Liquiditätshilfen.
Bis zu diesem Zeitpunkt erfüllten sieben Euro-Staaten die Maastricht-Kriterien - demnach darf der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Österreich gehört mit 82,6 Prozent nicht dazu. Im Vergleich aller 27 EU-Länder scheint die Republik unter den Top 10 der am meisten verschuldeten Staaten auf (2. Quartal, Eurostat).
Mittlerweile ist die Verschuldung in Österreich auf 83,5 Prozent des BIP angewachsen. Für die Ökonomin Margit Schratzenstaller vom Wirtschaftsinstitut Wifo ist die derzeitige stark anwachsende Verschuldung kein Grund zur Sorge. Österreich verschuldet sich nämlich zu sehr günstigen Konditionen, erklärt sie. "Die steigenden Schulden werden daher zu keinen Mehrausgaben bei den Zinsen führen. Im Gegenteil: Heuer werden die Zinsausgaben trotz Rekordneuverschuldung und -schuldenstand einen historisch niedrigen Wert erreichen."
Die Ursache: Ebenso wie schon in den vergangenen Jahren und auch noch in den nächsten Jahren läuft eine Reihe alter Kredite aus. Diese waren relativ hoch verzinst und werden nun durch neue Schulden refinanziert, für die die Zinskosten praktisch Null betragen. "Die beträchtliche Neuverschuldung schränkt also derzeit den Budgetspielraum des Staates nicht ein", erklärt die Ökonomin. Aus ihrer Sicht ist es daher nicht dringend notwendig, Schulden abzubauen. Zumindest nicht sofort.
Sobald die Corona-Krise überwunden ist, sollte allerdings längerfristig ein Abbau der Staatsverschuldung angestrebt werden. Doch auch dann sollten keine übereilten und kurzfristigen Konsolidierungspakete umgesetzt werden. Stattdessen rät Schratzenstaller zu langfristigen Reformen mit dem Schwerpunkt auf einer ökologisch und sozial nachhaltigen, stabilen Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung. Konkret: Die hohen Abgaben auf Arbeit sollten durch umweltbezogene Steuern, Einnahmen aus der Grundsteuer und einer Erbschaftssteuer sowie den Abbau von Steuerausnahmen ausgeglichen werden und zu einem Herauswachsen aus der Verschuldung beitragen.
Schnell raus aus den Schulden
Im Gegensatz zu Schratzenstaller kann es für Monika Köppl-Turyna nicht schnell genug gehen, was den Schuldenabbau betrifft. "Wir sollten schnell zur Schwarzen Null zurückkehren", sagt die Chefin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. "Die Schulden sind so hoch, dass es keine andere Möglichkeit gibt", erklärt sie. "Wenn wir sie nicht zurückzahlen, nehmen wir uns den Spielraum für kommende Krisen, die dann nicht mehr abgefedert werden können." Es droht zudem eine Inflation, das Geld wäre dann immer weniger Wert. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann daher nicht unendlich viel Geld drucken. Schon jetzt führt diese Geldpolitik aus Köppl-Turynas Sicht zu Ungleichheit. Sie verweist auf den Immobiliensektor, wo die Wohnungspreise stark ansteigen.
Deutlich weniger Ausgaben soll es laut der Ökonomin in den Bereichen Pensionen und Föderalismus geben: "Ein Viertel des Bundeshaushalts geht für die Finanzierung der Pensionen drauf", sagt die Ökonomin. Damit sich das Pensionssystem selbst erhält, hält sie eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters für notwendig. Gleichzeitig fordert sie, Frauen am Arbeitsmarkt zu stärken. Auch der Föderalismus ist ihr zu teuer: "Die Bundesländer generieren keine Einnahmen, stattdessen eine Menge Ausgaben." Die mangelnden Kontrollmöglichkeiten, etwa bei Landesförderungen, kritisiert sie ebenfalls: "Föderalismus funktioniert nur, wenn er effizient ist."
Das Limit ist die Inflationsdynamik
Der Staat verschuldet sich überwiegend durch Staatsanleihen, erklärt Klaus Prettner, Volkswirt an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Die Anleihen verkauft der Staat weltweit an all jene Personen oder Institutionen, wie etwa Banken und Pensionsversicherungen, die bereit sind, diese zum gegebenen Zinssatz zu halten. "Dieser Zinssatz ist also der Preis, den ein Staat für seine Verschuldung zahlen muss", sagt Prettner.
Derzeit gibt es eine sehr hohe Nachfrage nach Staatsanleihen. Sie gelten als sichere Geldanlageform, wodurch der Preis der Neuverschuldung sinkt und diese den Staat relativ wenig kostet. In manchen Staaten, etwa Deutschland, ist die Verzinsung sogar negativ. Investoren bezahlen also nun dafür, dass sie ihr Geld in sicheren Staatsanleihen anlegen können und nicht in den risikoreicheren Markt für Unternehmensanleihen oder für Aktien gehen. Diese in Staatsanleihen umgewandelten Schulden muss der Staat jedoch zurückzahlen, sobald sie fällig werden und die vorher vereinbarte Laufzeit zu Ende ist.
Für die Bedienung der Staatsanleihen gibt es laut Prettner zwei Möglichkeiten: Entweder der Staat zahlt, und der Schuldenstand als Anteil am BIP sinkt. Oder der Staat bedient die fällig werdenden Staatsanleihen, indem er neue Staatsanleihen ausgibt - und die Verschuldung bleibt. "Es ist also möglich, einen zahlungsfähigen Staat zu haben, der permanent einen Schuldenstand von beispielsweise 80 Prozent des BIP hat und diesen nie abbaut", erklärt der Volkswirt.
Doch wann muss der Staat seine Schulden abbauen? Solange die Inflation niedrig ist, kann die EZB weiter frisches Geld drucken. Sollte allerdings irgendwann zu viel Geld gedruckt werden, kann dies zu hoher Inflation oder zu einer Blasenbildung führen. Dann müsste die Zentralbank ihre expansive Geldpolitik stoppen, und die Zinsen würden steigen. Bei diesem Szenario hätte vor allem eine Gruppe von Staaten ein Problem: jene mit einem hohen Schuldenstand.