
2014 wird das Eis in die Bronx kommen. Und es wird auch dann nicht mehr schmelzen, wenn die Frühlinge ins New Yorker Land ziehen. Die Kingsbridge Armory diente der US-Armee zu einer Zeit als Waffenlager, als diese noch nicht zur Gänze mit der Aufrechterhaltung der globalen Sicherheit (und Überwachung) ausgelastet war. Ein in der ersten Dekade des vergangenen Jahrhunderts errichtetes Ungetüm, dessen dicke Mauern und Zinntürme an eine mittelalterliche Trutzburg erinnern.
Die Eingeweide der romanischen Festung, die einen ganzen Häuserblock einnimmt, werden im kommenden Jahr eine neue Bestimmung erfahren: Sie werden bald die größte Indoor-Eislaufarena der Welt beherbergen. 320 Millionen Dollar sind dafür im New Yorker Stadtbudget reserviert. 2017 sollen die Bauarbeiten für das künftige "National Ice Center" abgeschlossen sein.
"Ein Superlativ, wie er der Stadt New York würdig ist", nannte der scheidende Bürgermeister Michael Bloomberg das Prestigeprojekt. Laut dem streitbaren Multimilliardär wird das ganzjährig geöffnete Eislaufzentrum dem Herzen jenes Stadtbezirks wirtschaftliche Impulse bescheren, der es am nötigsten hat.
Auch wenn die Bronx längst ruinenfrei und weitgehend sicher ist, trägt sie immer noch schwer an ihrem aus den 1970ern und 1980ern tradierten Image als Großstadtslum, in dem sich Mörder und Gendarm gute Nacht sagen. Die Hoffnung, dass die neue Attraktion die Massen in den einzigen Teil New Yorks ziehen wird, der auf dem Festland liegt, ist legitim. Aber sie erzählt auch noch eine andere Geschichte: jene von einem grundlegenden Identitätswandel, in dem sich die größte Stadt Amerikas heute wiederfindet.
In den vergangenen 150 Jahren hat sich das Bild von New York City, allen voran das der Insel Manhattan, unwiderruflich ins kollektive Weltgedächtnis eingebrannt. Aus guten Gründen. Quer über die Jahrzehnte, aber vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts, wurden zwischen dem Hudson und dem East River die höchsten Häuser und das größte öffentliche Verkehrsnetz errichtet. Hier lebten ein Gutteil der reichsten und der ärmsten Menschen der freien Welt auf engstem Raum zusammen, Erstere in unermesslichem Luxus, Letztere in unzumutbaren Dreckslöchern. Hier wurde - von Al Smith und Franklin D. Roosevelt - der amerikanische Wohlfahrtsstaat erfunden. Hier brannten die meisten Wohnungen der USA. Hier wurden enorme Reichtümer und großartige Kunstwerke geschaffen - und manchmal auch wieder vernichtet. Und hier sorgte ein scheinbar nie abreißender Strom von immer neuen Emigranten sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland im Paarlauf mit dem weltoffenen Teil der Alteingesessenen dafür, dass der kreative (im Guten) wie finanzielle (im Guten und im Bösen) Output New Yorks verlässlich extrem hoch blieb.
Das alles selbst - oder gerade - in Zeiten, in denen die größte US-Metropole nur knapp an ihrem Untergang vorbeischrammte. Wie Mitte der 1970er, als es der "jüdische Bengel aus der Bronx" (Eigenbeschreibung des damaligen Bürgermeisters Ed Koch) gemeinsam mit dem mächtigen Banker Felix Rohatyn (einem gebürtigen Wiener) schaffte, die Stadt vor dem Bankrott zu bewahren.

Seit dieser dunklen, heute vielerorts verklärten Zeit - im Internet leicht zu findende Filmdokumentationen tragen Titel wie "1977 - New Yorks Coolest Year in Hell" - ist viel Wasser den Hudson River hinunter- und viel Geld hinaufgeflossen. Die höchsten Häuser der Welt stehen heute in Asien und im Nahen Osten, und Präsidenten hat New York City seit Theodore Roosevelt keinen einzigen mehr hervorgebracht. Dafür hat die Stadt in ihre Infrastruktur investiert, in den sozialen Wohnbau, in den Polizeiapparat, ja sogar in die notorisch dysfunktionale städtische Müllentsorgung.
Am meisten vom Aufschwung profitiert hat aber, wie man heute weiß, vor allen anderen jener politisch-finanzindustrielle Komplex, der landläufig unter dem Kürzel "Wall Street" zusammengefasst wird. Mit allen damit einhergehenden Konsequenzen.
Nämliche lassen sich heute nicht zuletzt an den Erzeugnissen zweier Wirtschaftszweige ablesen, die die Stadt einst maßgeblich im Weltbewusstsein verankerten - und so unter anderem dafür sorgten, dass die Ereignisse des 11. September 2001 sogar viele von jenen Menschen persönlich betroffen machten, die selber noch nie einen Fuß auf den New Yorker Asphalt gesetzt hatten: Film und Fernsehen. "Breaking Bad", "Homeland", "The Wire" - die nach allgemeinem Urteil mit Abstand innovativsten und klügsten Unterhaltungsserien unserer Zeit - und die genannten sind nur die drei wichtigsten - haben nicht nur, aber auch gemeinsam, dass sie allesamt nicht in New York spielen.
Das stellt einen nicht zu unterschätzenden Paradigmenwechsel dar: War es den amerikanischen Studiobossen bis in die späten 1990er noch selbstverständlich, dass sich bis zu 90 Prozent ihrer Krimi- oder Working-Class-Serien im Schatten des Empire State Building, der Freiheitsstatue oder der Wolkenkratzer von Midtown abspielten (von "Kojak" bis "NYPD Blue" beziehungsweise von "All in the Family" bis "King of Queens"), hat die New Yorker Kulisse als auch nur halbwegs gültiges Abbild amerikanischer Realität heute endgültig ausgedient.