- © Karikatur: Wolfgang Ammer
© Karikatur: Wolfgang Ammer

Das präparierte Gehirn des Mathematikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855) ist doch nicht von Gauß, sondern gehörte einem anderen Gelehrten. Bei Recherchen zu eigenen Forschungsarbeiten sei sie durch Zufall auf diesen Irrtum gestoßen, erklärte die Neurowissenschafterin Renate Schweizer jüngst im Fachjournal "Brain".

Eines von 200 US-Babys wird von einer Jungfrau geboren, ergab eine Befragung über das Sexualleben von US-amerikanischen jungen Frauen. Wenig überraschend entpuppte sich dieses Ergebnis als nach wissenschaftlichen Kriterien falsch. "Die Boa constrictor kann Kinder bekommen, ohne sich zuvor mit einem Männchen gepaart zu haben. Dass es so etwas aber auch beim Menschen gibt, kann ich ausschließen", schrieb die US-Medizinerin Amy Herring von der University of North Carolina in Chapel Hill jüngst im "British Medical Journal". Die Befragten hätten vermutlich die Daten ein wenig durcheinandergebracht oder womöglich die Bedeutung des Begriffs "intercourse" nicht präzise erfasst, immerhin trete das Phänomen häufiger in Familien auf, in denen Glaube und Enthaltsamkeit vor der Ehe eine wichtige Rolle spielen.

Offener Zugang zu Forschungsdaten könnte die Nachvollziehbarkeit und somit die Qualität der Wissenschaft verbessern. - © corbis
Offener Zugang zu Forschungsdaten könnte die Nachvollziehbarkeit und somit die Qualität der Wissenschaft verbessern. - © corbis

Was haben die beiden Beispiele gemeinsam? Sie sind exemplarisch für wissenschaftliche Irrtümer. Der eine wurde (typischerweise) zufällig entdeckt. Der andere schlich sich ein, weil die Fragen für die Testpersonen unterschiedlich interpretierbar waren.

Erkenntnisgewinn ist ein Prozess von Versuch und Irrtum und festgelegte wissenschaftliche Methoden sollen mögliche Irrtümer ausschließen. Doch mit immer zahlreicheren Forschungsergebnissen und immer komplexerer Forschung erhöht sich die Zahl der Fehlerquellen und steigt die Gefahr, in einen Irrtum zu tappen. "Für meine Dissertation habe ich innerhalb von drei Jahren drei Kristallstrukturen gemacht. Das war immens viel Arbeit. Dasselbe passiert heute in wenigen Stunden. Durch die technischen Möglichkeiten ist die wissenschaftliche Produktivität enorm gestiegen - und damit die Produktivität der Wissenschafter", sagt Christoph Kratky, ehemaliger Präsident des Wissenschaftsfonds FWF und Professor am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz.

Keine Biowissenschaften ohne Genetik, keine Atom-Kollisionen ohne Bildgebung auf dem Computer: An einem wissenschaftlichen Experiment wirken immer mehr Disziplinen mit. Erkenntnisprozesse müssen heute auf vielen Beinen ruhen, nicht immer ist dabei Verlass auf die Ergebnisse.

Wissenschaftliche Publikationen, "die gelesen, zitiert und als Forschungsgrundlage verwendet werden, enthalten viel mehr Fehler, als man annehmen würde oder einem lieb wäre", schreibt der britische "Economist". Statistische Unschärfen schleichen sich ein. Gutachter, die im System der Peer Review zur Publikation eingereichte Arbeiten prüfen, sehen weniger Fehler, als sie sollten. Karrieredruck, steigender Wettbewerb und Ehrgeiz drängen Wissenschafter dazu, schneller zu veröffentlichen, als weise wäre. Ein Karrierepfad, der ihnen möglichst viele Publikationen abverlangt, verschärft grundlegend die Problematik. "Es kostet nichts, wenn man sich irrt", sagt Brian Nosek, Psychologe an der Universität Virginia, der sich mit Irrtümern in seiner Disziplin befasst: "Was einen Forscher aber teuer zu stehen kommt, ist, wenn seine Ergebnisse gar nicht veröffentlicht werden."

"Wen würde Sie nehmen, wenn Sie zwei sehr gescheite Leute hätten, die sich um einen Job bewerben? Den mit vielen veröffentlichten Studien oder den, der noch nichts veröffentlicht hat, aber darüber nachdenkt?", stellt Kratky in den Raum. Der Publikationsprozess gelte als integraler Bestandteil der wissenschaftlichen Erkenntnisfindung. "Forscher können im Besitz der größten Ergebnisse der Menschheitsgeschichte sein, aber wenn niemand davon erfährt, sind sie wie nicht passiert, weil sie keine Denkanstöße für weitere Erkenntnisse liefern können."

Wissenschaft ist erst Wissenschaft, wenn sie bekannt gemacht wird, denn erst dann kann das Wissen für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden. Ist der Druck groß und das Geld knapp, können sich jedoch methodische Fehler oder Kompromisse einschleichen. "Validität kommt nach unterschiedlichen Kriterien zustande", erklärt Andreas Schibany, Forschungsökonom am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS). "Naturwissenschaftliche Studien müssen nachvollziehbar und wiederholbar sein und dürfen keine Fehler enthalten. Prognosen zu Budgetlöchern sind dagegen ein Blick in die Zukunft auf der Basis vergangener Informationen und der Annahme, dass die Parameter in der Gegenwart gleich bleiben: Wenn sich die Gegenwart ändert, stimmt die Prognose nicht mehr." Rationalistisch-analytische Wissenschaften, wie etwa die Philosophie, arbeiten wiederum mit theoretischen Konzepten und logischen Argumenten, aus denen sich Schlüsse ableiten lassen. Und in der Soziologie ändert sich laufend der Untersuchungsgegenstand, schon allein, weil gesellschaftliche Werte sich wandeln.