Zum Hauptinhalt springen

Die Unmöglichkeit der Nachhaltigkeit

Von Gregor Kucera

Klimawandel
Das papierlose Büro, Green IT, Clean IT und jetzt Klimaneutralität: Die IT-Branche ist erfinderisch, was neue Hypes und Trends betrifft.
© T. Casey/Unsplash

Großkonzerne entdecken das Thema Klimaneutralität, aber einen holistischen Ansatz für eine bessere Welt gibt es nicht.


Es gibt Dinge, die wird man nicht erreichen, selbst wenn man sich sehr bemüht: Unsterblichkeit zum Beispiel. Oder Autos, die keine Schadstoffe ausstoßen oder beinhalten und gänzlich aus nachwachsenden Rohstoffen gebaut sind und sich daheim im eigenen Garten kompostieren lassen. Der gesellschaftliche Konsens ist nun aber dahingehend, dass man in der heutigen Zeit mobil sein muss, somit ist ein Ende des Autos nicht absehbar. Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die Abkehr von fossilen Brennstoffen - wobei der Weisheit letzter Schluss nicht im Elektroauto liegen sollte - und städtebauliche Maßnahmen sollen hier eine Veränderung bewirken. Was beim Thema Automobil schon der gesunde Menschenverstand sagt, ist in anderen Bereichen des Alltags noch längst nicht in der Breite angekommen. Auch ob Veganismus besser ist, wenn man stets Avocados isst, ist Inhalt zahlreicher Diskussionen.

Sicher ist, dass die Informationstechnologie und die mobilen Endgeräte für Unmengen an Problemen sorgen, Lösungen sind aber nicht in Sicht. Kunden, die schon einmal ein nachhaltiges Smartphone ihr Eigen nennen wollten, kennen das unbefriedigte Gefühl. Einzig der holländische Hersteller des "Fairphones" konnte es bisher in eine breite Öffentlichkeit und den Massenmarkt schaffen und bis es so weit kam, war es ein langer Weg. Dabei lesen sich die Vorzüge des fairen Smartphones eigentlich so, wie alle Handys sein sollten - die Anwender können einzelne Komponenten tauschen, die Materialien sind aus fairem Handel oder zumindest nicht aus Regionen, die über den Abbau der Rohstoffe Kriege finanzieren oder die Umwelt zerstören - was im Übrigen immer noch ein kleiner Bruchteil des Gesamten ist, aber es ist immerhin ein Anfang.

Der Rest der Elektronikindustrie scheint jedoch immer noch nicht vom Nachhaltigkeits- und Klimaschutz-Gen erfasst. Und auch nicht besser sieht es bei den großen Onlinekonzernen aus. "Woran die Menschen selten denken, ist die mangelnde Nachhaltigkeit der Datennutzung. Wir glauben, dass wir unsere Bilder und Daten in einer Cloud speichern. Dahinter verbergen sich jedoch dieselbe Beschäftigungskette und die gleichen Probleme wie in der Smartphoneherstellung. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Datennutzung nachhaltiger machen", meinte kürzlich "Fairphone"-Gründer Bas van Abel.

Unsichtbar ist nicht klimaneutral

Und tatsächlich, diese ominöse Cloud und das extreme Datenaufkommen brauchen unglaublich viel Energie. Doch weder die Kunden noch die Unternehmen scheinen darauf ernsthaft reagieren zu wollen. Oder besser gesagt, bis kürzlich. Nun haben nämlich Amazon und Microsoft vermeldet, dass sie Klimainitiativen starten würden. Der US-Softwarekonzern kündigte gleich einen neuen Plan zur Reduzierung und letztlichen Eliminierung seines CO2-Fußabdrucks an. Bis zum Jahr 2030 will Microsoft CO2-negativ werden. Auch will das Unternehmen bis 2050 sämtliches Kohlendioxid aus der Umwelt entfernen, das es direkt oder über den Stromverbrauch seit seiner Gründung 1975 ausgestoßen hat. Ein hehres Ziel, allein man wird es wohl erst in ein paar Jahren auf seine Nachhaltigkeit überprüfen können.

Auch Amazon hat sich nun den Klimaschutz auf seine Fahnen geheftet. Die Bestellung von 100.000 Elektro-Lieferwagen für die Paketzustellung soll der erste Schritt sein, um die Initiative "Climate Pledge" umzusetzen und so seine Emissionen abzubauen oder zu kompensieren, um bis 2040 klimaneutral zu sein, erklärte Amazon-Gründer Jeff Bezos. Nun gut, ein erster Schritt. Dies haben sich auch hunderte Mitarbeiter gedacht, doch schien ihnen mehr möglich. Und entgegen den Konzernrichtlinien, die im Übrigen andere Großkonzerne auch haben, setzten sie sich über einen Maulkorberlass hinweg und kritisierten öffentlich die Pläne. Mehr als 300 Mitarbeiter beteiligten sich namentlich an einem veröffentlichten Blog-Eintrag der Amazon Employees for Climate Justice (AECJ, deutsch: Amazon-Angestellte für Klimagerechtigkeit). Darin wird der Internetkonzern aufgerufen, seine Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel deutlich ambitionierter zu gestalten als angekündigt. Der Protest nun sei "die größte Aktion von Mitarbeitern, seit Amazon damit begonnen hat, damit zu drohen, dass sie gefeuert werden könnten", erklärte das Bündnis.

Und damit ist man natürlich schon beim nächsten Thema: der Nachhaltigkeit selbst. Wenn Klimaschutz zu einem Feigenblatt für Konzerne verkommt, dann bedeutet es nicht mehr viel, zumindest nicht aus einer holistischen Sicht. Denn dann kommt nicht nur das Thema Klimaneutralität ins Spiel. Es geht um weit mehr. Es geht um Mitarbeiter und deren Arbeitsbedingungen, um Lieferanten und die Kunden.

Apropos Kunden: Ein echter Wahnsinn ist der Umgang mit Rücksendungen. So wurde vor einiger Zeit bekannt, dass intakte Waren einfach vernichtet werden, anstatt diese wieder in den Verkauf zu bringen. Aber was wäre der Onlinehandel ohne den kostenlosen Rückversand? Zu verschieden die Größenangaben, die Erwartungshaltungen und auch oft die Bilder im Netz von der Realität. Die Analogien dazu finden sich im Lebensmittelhandel und der Bekleidungsindustrie, wo genussfähige Waren weggeworfen oder alte Kollektionen zerschnitten werden, anstatt verschenkt zu werden.

Teure Produkte, wenig Lohn

Bei einem T-Shirt um 3 Euro mag es zwar nachvollziehbar, muss aber trotzdem nicht hingenommen werden, dass die Bezahlung der Arbeiter gering, die Ausbeutung der Umwelt dafür groß ist. Doch wenn ein Smartphone mehr als 1000 Euro und ein Laptop schon über 2000 Euro kostet, da sollte man eigentlich davon ausgehen können, dass sich entlang der Wertschöpfungskette einige Verbesserungen zum Wohle aller ergeben. Aber dem scheint nicht so zu sein.

Als wären die möglichen Bereiche, die man verbessern könnte, nicht schon groß genug, kommt auch noch das Thema Obsoleszenz. Nicht jeder konnte früher seine Elektrogeräte zuhause richten, aber man konnte sie wenigstens reparieren lassen. Ein Umstand, der in der heutigen Zeit immer seltener wird. Dabei ist gerade aus dem Recycling der Rohstoffe und dem Wiedereinbau funktionsfähiger Komponenten in Zukunft eine enorme Einsparung zugunsten der Umwelt möglich.

Ach ja, die Zukunft: Schauspieler Patrick Stewart, der als TV- und Kino-Held Captain Picard im Weltraum für das Gute kämpft, hat im echten Leben große Sympathien für Klimaschützerin Greta Thunberg. "Ich bin ein Riesenfan von ihr. Greta ist eine bemerkenswerte junge Frau. Bemerkenswert, dieser Mut, die Entschlossenheit, der Eigensinn und der Humor." Es wartet noch viel Arbeit auf die gesamte Wertschöpfungskette und alle Teilnehmer am Markt. Nur dann darf man eine Änderung erwarten.