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Die Zukunft gehört den Exoten

Von Mathias Ziegler

Klimawandel

Stadtbäume leiden besonders unter den verschärften Bedingungen durch den Klimawandel.


Wien. Mehr Bäume braucht die Stadt, nicht nur zwecks Luftverbesserung (Stichwort CO2 und Photosynthese), sondern auch zur Kühlung - denn mehr Laub bedeutet auch ein angenehmeres Stadtklima. Doch für die zu erwartenden noch heißeren und noch trockeneren Sommer sind nicht alle heimischen Baumarten ausreichend gewappnet.

"Bis vor zehn Jahren hat man sicher die falschen Straßenbäume gepflanzt und war auch ein bisschen konservativ. Man hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt und den Klimawandel ignoriert", meint Thomas Amersberger. Der Kulturmanager und studierte Landschaftsökologe hat daheim im Burgenland einen Versuchsgarten mit Pflanzen aus aller Welt. Dort stehen auch Exoten wie der Paternosterbaum (auch Zedrachbaum genannt), der sich als erstaunlich winterhart erweist.

In Wien dominieren immer noch Ahorn, Linde und Esche den öffentlichen Raum. Dabei sei der Ahorn "bis auf die Auwälder und andere feuchte Plätze eigentlich nie für den Raum Wien geeignet" gewesen, meint Amersberger. In der Vergangenheit seien hier viele Fehler passiert: "Es wurden autochthone Pflanzen eingesetzt - man hat den Ahorn, der am Gürtel eingegangen ist, durch einen Ahorn ersetzt, statt trockenheitsverträgliche Bäume zu pflanzen." Das hatte auch mit der Grünbewegung in den 1970ern und 1980ern zu tun, meint Amersberger. "Die hat bei Nachpflanzungen nach dem verhinderten Kraftwerksbau in der Au den heimischen Ahorn forciert. In dieser Zeit ist er auch verstärkt in die Stadt gekommen, was ein ziemlicher Unsinn war. Da hat man Bäume gepflanzt, nach drei Jahren sind sie eingegangen, es wurden neue gesetzt, die wieder eingegangen sind. Ich habe damals dem Direktor der Wiener Stadtgärtner einen recht langen Brief geschrieben, und seine Antwort war eher ausweichend."

Zürgelbäume als Einspringer

Auch die heimische Esche ist nicht unbedingt für das Wiener Stadklima geeignet und wird oft von Pilzen befallen. "Sie ist auf eine halbwegs ausgeglichene Wasserversorgung angewiesen", erklärt Manfred Lexer vom Institut für Waldbau an der Boku Wien. "In längeren Trockenperioden geht es den Bäumen nicht gut, und das macht sie umso anfälliger für Sekundärkrankheiten und Schädlinge." Winter- und Sommerlinde wiederum werden im Trockenheitsstress von Spinnmilben befallen, deren Sekrete Autos, Fensterscheiben und Gehsteige verkleben. Und die Kastanie, ein klassischer Alleebaum, wäre an sich keine schlechte Wahl, hier ist allerdings die Miniermotte ein großes Problem.

Bei den Stadtgärtner hat aber vor einiger Zeit ein Umdenken eingesetzt: "Die MA 42 hat ein Stadtbaumsortiment mit internationalen Experten ausgearbeitet, das laufend evaluiert wird", erklärt deren Sprecherin Gabriele Thon. "So werden Bäume, die am Ende ihres Lebenszyklus angekommen sind, durch geeignetere Baumarten und -sorten ersetzt." Inzwischen werden etwa Zürgelbäume anstelle von Ahornbäumen gepflanzt.

Boku-Experte Lexer meint dazu: "Der Zürgelbaum ist ein klassischer Einspringer, der ist von Nordafrika bis Asien heimisch und sehr viel trockenheitstoleranter als unsere heimischen Arten." Allerdings ist er wiederum anfällig für Frostschäden, "aber in Wien sind die echten Frosttage im Jahr mittlerweile an einer Hand abzuzählen, das sollte also ein geringeres Problem darstellen, zumal die Winter künftig noch milder werden dürften".

In der urbanen Steinwüste

Durch die dichte Verbauung und die versiegelten Böden ist Wien jedenfalls aus Pflanzensicht eine Steinwüste, die sich im Sommer aufheizt. "Ein Stadtbaum steht in der Regel für sich alleine, und der Standort unterscheidet sich auch in den allermeisten Fällen ganz dramatisch von einem ‚natürlichen‘ Waldstandort. Man kann sich denken, wie das Wurzelwerks in diesem verdichteten Boden aussieht. Das sind echt extreme Bedingungen, vor allem vom Wasserhaushalt her." Zumindest Rasenflächen oder ein halbwegs natürliches Substrat würden schon helfen, weil sie Wasser speichern - ein Luxus, den allerdings die wenigsten Stadtbäume haben.

Immerhin bekommen die Jungbäume in Wien viel Wasser. "Bei neuen Anlagen wird eine Bewässerung mit eingeplant beziehungsweise werden Bewässerungsstutzen je Baumscheibe errichtet", erklärt Thon. "Bestehenden Baumscheiben für Jungbäume wurden mit Wassersäcken nachgerüstet." Außerdem soll ein Stammanstrich die Jungbäume vor Sonnenschäden schützen. Ein Baum ernähre sich nach rund fünf Jahren am Standplatz selbst, so Thon. Sie liefert auch ein paar Zahlen zur wichtigen Rolle, die die rund 480.000 Straßen- und Parkbäume in Wien spielen: "Ein ausgewachsener Stadtbaum spendet bis zu 150 Quadratmeter Schatten, kühlt seine Umgebung im Sommer um bis zu 3 Grad und verdunstet gut 400 Liter Wasser pro Tag." An einem Sommertag nimmt er 18 Kilo CO2 auf und produziert 13 Kilo Sauerstoff - und er dämpft nicht nur Lärm und Wind, sondern bindet auch bis zu einer Tonne Staub pro Jahr.

Mehr Vielfalt wäre gefragt

"Was in Wien ein bisschen fehlt, ist die Vielfalt", stellt Amersberger fest und empfiehlt den Stadtgärtner mehr Experimentierfreude. "Man sollte sich nicht auf ein paar wenige Arten beschränken." Der laut dem Botaniker "unheimlich trockenheitsresistente" Judasbaum zum Beispiel wäre vor allem für enge Gassen geeignet, weil er sich gut zurechtschneiden lässt und mit dann kleiner Krone wenig Licht mitnimmt. Als Straßenbaum neben dem Zürgelbaum empfiehlt er die Mannaesche, die Blasenesche, den Glanz-Liguster, den Japanischen Schnurbaum oder auch den bereits erwähnten Paternosterbaum. Als "wunderbare Sommerblüher" nennt er Kreppmyrthen oder Straucheibisch, "und gerade im 21. oder 22. Bezirk wären Seiden- und Mandelbäume im locker verbauten Gebiet sehr sinnvoll". In den Parks würde sich Amersberger mehr Judasbäume, Libanonzedern oder Mittelmeerzypressen wünschen. "Das sind seit Jahrzehnten und zum Teil sogar seit Jahrhunderten bewährte Bäume."

Auch Boku-Experte Lexer findet ein möglichst breites Portfolio bei den Stadtbäumen sinnvoll: "Ich glaube, niemand würde auf eine einzige Karte setzen. Das derzeitige Bestreben der Stadtgärtner ist, genügend Kandidaten zu finden." Er selbst ist ein großer Fan des aus Persien stammenden Eisenholzbaums: "Ein schöner Baum mit sehr hartem Holz, der nicht allzu groß wird, mit 10 bis 15 Meter ist er gut für die Stadt geeignet. Außerdem ist er trockenheitstolerant und winterhart, und er hat im Herbst wunderschönes rotes Laub."

Es müssen freilich nicht immer Exoten sein: So wäre der Französische Ahorn laut Amersberger ein guter Ersatz für den heimischen Ahorn. Und statt Sommer- und Winterlinde werden in Wien die aus Südosteuropa stammenden Silberlinden gepflanzt, deren Blätter auf der Unterseite behaart sind. "Da gibt es das Problem mit den Spinnenmilben überhaupt nicht." Die Silberlinde wäre auch ein guter Ersatz für die Rosskastanie, meint Amersberger.

Bäume wie in der Monarchie

Amersberger empfiehlt den Stadtgärtnern für die Zukunft einen Blick zurück in die Vergangenheit: "Eigentlich war man schon zu Monarchiezeiten moderner als heute. Damals hat man in Wien und Budapest Blaseneschen und andere trockenheitsresistente Bäume gepflanzt. Auch, weil Kaiser Franz Joseph ein Fan von exotischen Pflanzen war. Diese Bäume sind allesamt stadtverträglicher als das, was bis vor kurzem eingesetzt wurde." Auch die Papiermaulbeere und der Blauglockenbaum waren in der Monarchie beliebte Bäume und stehen heute noch in Budapest und Wien in vielen Straßen, erzählt Amersberger. "Man könnte also noch sehr viel mehr Kreativität zeigen."

Die ursprüngliche Bepflanzung der Ringstraße bestand übrigens aus Götterbäumen, die aus China importiert wurden. "Die sind damals durch einen schlechten Sommer und einen kalten Winter fast alle eingegangen bis auf einen, dessen Abkömmlinge heute in der ganzen Stadt als invasive Art sprießen. Das wiederum ist problematisch, weil sie auf Mauern wachsen und so die Bausubstanz beschädigen, aber auch durch das Ausbrechen in Naturräume bestehende Ökosysteme nachhaltig stören können."

Laub schlägt Nadeln

Bei den Stadtbäumen liegt der Fokus immer noch auf Laubbäumen. Nicht nur wegen der Optik im Stadtbild und der Vorteile einer dichten Krone, sondern wohl auch, weil Laub leichter zu entfernen ist als Nadeln. "Außerdem ist es schwierig bis unmöglich, Nadelbäume in der Höhe zurückzuhalten", sagt Lexer. "Die Kronen von Laubbäume kann man leichter durch fachgerechten Schnitt formen." Auch das muss ein Stadtbaum aushalten. Oder, wie es Lexer formuliert: "Ein Stadtbaum muss wirklich ein Multitalent sein."

Nicht nur bei den Bäumen geht man in Wien neue Wege. Auch in den Stadtbeeten werden bereits neue Stauden eingesetzt, die extrem wenig Wasser brauchen und deshalb pflegeleichter sind. "Da muss man schon sagen, dass man die Veränderung sieht", sagt Amersberger. "Da hoffe ich, dass von den Stadtgärtnern noch mehr kommen wird. Man muss sich jetzt auf das extreme Klima der Zukunft einstellen. Das Ganze kostet ja auch Steuergeld. Wenn jetzt ein Baum gepflanzt wird, muss der für das Klima der nächsten Jahrzehnte geeignet sein."

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