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Tückische Partikel

Von Eva Stanzl

Klimawandel

Sand, Staub und andere Teilchen in der Luft kühlen die Erde zwar ab, doch alle Aerosole sind klimawirksam, sagt Physikerin Bernadett Weinzierl.


Alpbach/Wien. Die intensive Hitzewelle diesen Sommer brachte die Erderwärmung täglich in die Schlagzeilen. Doch auf welchen Grundlagen beruht der Klimawandel? Welche physikalischen Gesetze und Gegebenheiten spielen mit? Welchen Anteil hat der Mensch, welchen die Natur und wie wirken Treibhausgase mit anderen Partikel zusammen? Ein Verständnis der komplexen Wechselwirkungen, die über Extremwetterlagen entscheiden, vermittelt die Aerosol-Forscherin Bernadett Weinzierl. Zusammen mit dem Ökonomen Gernot Wagner leitet die Professorin für Aerosol- und Clusterphysik der Universität Wien bis Dienstag in Alpbach das Seminar "Physik trifft auf Ökonomie - Klimaforschung und Politik".

"Wiener Zeitung": Was genau sind Aerosole und welche gibt es?

Bernadett Weinzierl: Ein Aerosol ist ein Partikel, das in der Luft schwebt - etwa aus Ruß oder Staub. Würde man der Luft einen Kubikmeter entnehmen und diesen "Würfel" unter dem Mikroskop betrachten, fände man Aerosol-Partikel in verschiedenen Formen, je nach ihrer Zusammensetzung. In der Sommerhitze etwa kam Luft von afrikanischen Staubstürmen zu uns. Auch Ruß von Waldbränden in den USA kann nach Europa geweht werden. Hinzu kommen Emissionen von Städten aus Verbrennungsmotoren, Seesalz-Partikel vom Meer und Vulkanasche, die in den Triebwerken von Flugzeugen ab 800 Grad zähflüssig werden und diese verstopfen kann.

Welche Aerosole sind klimawirksam?

Alle Partikel in der Luft sind auf ihre Art klimawirksam. Für Sonnenlicht stellen sie kleine Hindernisse dar. Ein Sonnenstrahl, der auf ein Teilchen trifft, wird in die andere Richtung gestreut. In dieser diffusen Strahlung kann man auch im Schatten einen Sonnenbrand kriegen. Je mehr Aerosole sich in der Atmosphäre befinden, desto weniger Strahlung kommt unten an, dann wird es in der Regel am Boden kühler - aber nicht bei allen Partikeln. Ruß etwa streut nicht nur, sondern er absorbiert auch Sonnenlicht. Somit wird es in der Schicht, in der er ist, wärmer: Der Ruß ändert die Temperatur-Struktur dieser Atmosphärenschicht und somit auch das Wetter.

Moment: Aerosole senken die Temperaturen zwar meistens, aber dann doch nicht immer?

In Summe haben Aerosole einen kühlenden Effekt - Treibhausgase hingegen wirken wärmend. Somit wirken Aerosol-Partikel der Klimaerwärmung entgegen. Wenn wir sie nicht hätten, wäre der Temperaturanstieg um 0,5 Grad höher als derzeit. Allerdings sind die Aerosole deswegen noch nicht gesund - man muss immer verschiedene Aspekte berücksichtigen.

Ein Beispiel?

In den 1970er Jahren wurden immens viele Sulfat-Partikel in die Erdatmosphäre ausgestoßen, was zu einer Abkühlung führte. Heute wäre das zwar für das Klima vorerst einmal gut. Aber wenn Sulfat (Salz der Schwefelsäure, Anm.) mit Wasser reagiert, entsteht saurer Regen. Und genau das war damals das Problem: Verbrennungen von schwefelhaltigen fossilen Brennstoffen (wie Kohle oder Erdölprodukte, Anm.), die als Heiz- und Treibstoffe verwendet werden, führten zum Waldsterben. Durch den Einbau von Filteranlagen konnte man das Problem in den Griff bekommen - eine Erfolgsgeschichte, wegen der wir aber auch ein bisschen weniger Abkühlung haben.

Ist eine partikelfreie Luft ohne Meersalz, Staub oder Ruß überhaupt möglich?

Es gibt Gebiete mit wenig Aerosolen, etwa in der Nähe der Antarktis ist das so von Natur her. Auch wenn es gerade geregnet hat, schweben nur wenige Aerosole in der Luft. In den Städten wiederum gibt es Ruß, der die menschliche Gesundheit schädigt. In jedem Fall stellt sich bei jeder Maßnahme die Frage, was man erreichen will - es gibt nichts umsonst. Wenn ich die Luft reinige, wirkt sich die Erderwärmung noch stärker aus. Aber für die menschliche Gesundheit ist jegliche Entfernung von Partikeln gesund - vor allem die der kleinen, die in die Lunge gehen.

Wozu benötigt die Natur Aerosole?

Sie dienen der Tropfen- und Wolkenbildung. Damit sich ohne Aerosole Wolken bilden, sind Übersättigungen von 400 bis 500 Prozent relativer Feuchtigkeit nötig. Mit Aerosolen entstehen Wolken bei 100 Prozent. In besonders verschmutzten Gebieten sind die Wolken von oben gesehen weißer, weil sie kleinere, aber mehr Tröpfchen haben. Die gleiche Wolke in sauberen Gebieten enthält bei der gleichen Menge Wasser weniger Partikel, die größer sind. Diese Zusammensetzung beeinflusst Strahlung und Niederschlagsbildung. Aus einer Wolke regnet es, wenn die Tropfen zu schwer sind, um durch den Aufwind gehalten zu werden. Kleinere Tropfen fallen bei gleichem Aufwind weniger schnell aus der Wolke und es regnet erst später. Wir nennen das Aerosol-Wolkenwechselwirkung.

Schädliche und nicht schädliche Aerosole: Wo ist die Grenze?

Darauf gibt es keine Antwort, weil es zu jeder Wechselwirkung Feedbacks gibt. Es können sich sogar Emissionen von Natürlichen Aerosolen verändern. Seesalz-Emissionen aus dem Meer sind temperaturabhängig, wodurch sie von der Erderwärmung mit bestimmt werden.

Tragen Aerosole zum menschengemachten Klimawandel bei?

Klimastudien berechnen den Einfluss externer Faktoren auf das Klimasystem, etwa die veränderte Konzentration von Treibhausgasen und anthropogenen Aerosolen. Das Ergebnis: Ruß leistet den drittstärksten Beitrag zur Erderwärmung: Wo viel Ruß ist, erwärmt sich der Boden auf eine Art und Weise, die zum Klimawandel durch Spurengase wie CO2 und Methan beträgt.