Wiener Zeitung: Prof. Stephen Hawking sagte einmal – und dieses Zitat findet sich auch auf der Webseite von Ihrem Zentrum – dass "der Aufstieg einer leistungsfähigen künstlichen Intelligenz wird entweder das Beste oder das Schlimmste für die Menschheit sein. Wir wissen es derzeit noch nicht." Sehen Sie in welche Richtung es gehen wird? Was muss aus Ihrer Sicht getan werden, damit daraus das Beste für die Menschheit wird?

Charlotte Stix: Es ist  für uns am Leverhulme Centre for the Future of Intelligence sehr wichtig, sicherzustellen, dass die Entwicklung von KI zum Wohle der Gesellschaft und Menschheit erfolgt. Dies beinhaltet sowohl die Abmilderung von möglichen negativen Folgen als auch die Erstellung von Rahmenbedingungen für einen verantwortlichen Umgang mit KI. Unsere Projekte untersuchen den Einfluss von KI in verschiedenen Bereichen und in unterschiedlichen Zeitrahmen, von Verzerrungseffekten, technischer Werteanpassung bis hin zu dem Einfluss von KI auf die Demokratie.

Meine Forschung befasst sich hauptsächlich mit KI-Politik, Strategie und Ethik. Ich untersuche bestmögliche Wege, um Entscheidungen, die heute getroffen werden, so zu steuern, dass sie eine vorteilhafte Richtungsentscheidung für die Zukunft schaffen. Ich bin der Meinung, dass wir uns noch innerhalb des Zeitrahmens befinden in dem wir die Richtung, die die KI nehmen wird, sinnvoll und positiv beeinflussen können.

Wie wichtig ist eine internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich?

Eine internationale Zusammenarbeit ist unglaublich wichtig, um eine Technologie zu erreichen die für Alle nützlich ist und nicht nur für bestimmte Gruppen. Dies beinhaltet die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Nationen und globalen Regionen, aber auch zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Nationalstaaten.

Eines der anstehenden Probleme ist etwa die Rhetorik vom "KI-Rennen", das schnell als "KI-Wettrüsten" bekannt wurde. Diese Rhetorik und Situation muss schnellstens auf internationaler Ebenen entschärft werden. Was angehende Initiativen für die internationale Zusammenarbeit betrifft, hat mich besonders die ‘Digital Day Declaration on AI’ der Europäischen Kommission erfreut. In dieser Erklärung erklären sich alle 28 Mitgliedstaaten, einschließlich Norwegen, bereit ihre nationalen Strategien zu überprüft und in Anbetracht von KI potentiell zu modernisiert. Die Erklärung sieht zudem vor, dass die Mitgliedstaaten einen ständigen Dialog mit der Europäischen Kommission über KI führen.

Dies ist ein sehr bedeutender erster Schritt für einen Versuch der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Nationen.

Ich erwarte, dass Österreich, während seiner Ratspraesidentschaft im Europarat, eine treibende Kraft für eine umfassendere europäische KI-Strategie sein wird.

War das Thema künstliche Intelligenz zu lange ausschließliche ein Thema für Programmierer und Techniker? Ist jetzt die Zeit gekommen, dass auch Geisteswissenschaftler stärker involviert werden und einen Einfluss auf die öffentliche Diskussion haben?

Künstliche Intelligenz ist eine transformative Technologie, welche weder an nationalen noch sozialen Grenzen aufhört und alle Mitglieder der globalen Gesellschaft betrifft. Daher ist es ausschlaggebend, unterschiedliche Stimmen in die Prüfung, Entwicklung und die Einsatzbereiche dieser Systeme miteinzubeziehen.

Unterschiedliche Gruppen wie Technologen, Ethiker, aber auch Mitglieder der Gesellschaft, die direkt von dieser Technologie betroffen sind, zum Beispiel Patienten, werden von einer Zusammenarbeit profitieren, da sie von den Forschungen, Anliegen, Sorgen und Ideen des jeweils Anderen lernen.

Lassen Sie mich ein Beispiel geben wo verschiedenen Wissensbereiche miteinander verschmelzen: Das oft zitierte Trolley-Problem ist ein Problem, dass der normativen Ethik seit Jahrhunderten vertraut ist. Jetzt schaffen autonome Fahrzeuge eine neue drängende Realität und plötzlich suchen Technologisten, Politiker und die breitere Gesellschaft nach schnellen Antworten auf jene Technologien, die bereits im Versuchsstadium auf unseren Straßen sind.

Das Gleiche gilt für die Ausrichtung der KI auf unsere Werte und Ethik als globale Gesellschaft. Was sind Sie?

Was sind die großen Bedenken wenn es um Werte und Ethik von KI geht?

Charlotte Stix: Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, dass die menschlichen Werte und die Ethik im Laufe der Zeit Veränderungen unterworfen werden und somit vorübergehend sind. Etwas, dass wir vor 100 Jahren als vollkommen ethisch empfunden hätten, wird heute höchstwahrscheinlich nicht mehr im selben Licht gesehen.

Wie können wir also technisch und praktisch ein flexibles ethisches Rahmenkonzept fuer KI erschaffen, dass sich im Laufe der Zeit in Übereinstimmung mit der globalen Gesellschaft verändert? Dies bringt mich zum nächsten Thema, den oft sind die Diskussionen um Ethik und Werte für KI sehr westlich ausgerichtet. KI ist eine globale Technologie. Es wird die Gesellschaft sowohl im globalen Westen als auch im Osten oder Süden beeinflussen.

Wenn wir darüber nachdenken, ein ethisches Rahmenkonzept für KI zu erschaffen, dann müssen wir sicherstellen, dass dies durch einen wirklich inklusiven und breiten Dialog unterstützt wird.

Zudem müssen wir uns bewusst sein, dass Ethik und Werte von Kultur, Religion, Geschichte, Normen und vielem mehr geprägt sind. Es ist wichtig zu verstehen, dass dies nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie Menschen sich mit KI und Robotern in verschiedenen Teilen der Welt auseinandersetzten, sondern auch die Ethik und Werte welche als unantastbar angesehen werden.

Es gibt einige Gruppen, die dies erforschen, wie das IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) mit seiner globalen Initiative für ‘Ethik autonomer und intelligenter Systeme’, oder CHAI (Centre for Human-Compatible AI), mit Forschung zum Thema technische Werteanpassung.

Meiner Meinung nach könnte mit der Charta der Grundrechte ein interessanter philosophischer Rahmen für Ethik und Werte für KI geschaffen werden, ein Ausgangspunkt, dem hoffentlich die Mehrheit der Menschen auf der Welt zustimmen.