In der Einleitung zu ihrem neuen Buch bemerkt Marjorie Perloff, dass ihren amerikanischen Landsleuten zum Autornamen Roth immer nur ein Vorname einfalle: Philip. Um diesen literarisch engen Horizont der USA ein wenig zu erweitern, hat Perloff 2016 die Studie "Edge of Irony" veröffentlicht, die nun unter dem Titel "Ironie am Abgrund" auch in deutscher Übersetzung erhältlich ist.
In dieser elegant geschriebenen philologischen Analyse werden sechs österreichische Autoren des 20. Jahrhunderts vorgestellt, die dem amerikanischen Lesepublikum wenig bedeuten: Karl Kraus, Robert Musil, Elias Canetti, Paul Celan, Ludwig Wittgenstein - und natürlich der andere Roth: Joseph, der Verfasser des Romans "Radetzkymarsch". Einen weiteren Dichter, der in diesem Zusammenhang naheläge, nämlich Franz Kafka, übergeht Perloff, weil sie der Ansicht ist, dass er in den USA ohnehin "häufig gelesen und regelmäßig zitiert - oder falsch zitiert - wird".
Aus Wien geflohen

Marjorie Perloff lebt in Los Angeles. Geboren ist sie jedoch 1931 in Wien, als Kind jüdischer Eltern. 1938 floh die Familie vor dem antisemitischen Hass der Nationalsozialisten, ging zuerst nach Zürich, dann in die USA. Das junge Mädchen, das in Wien noch Gabriele Mintz hieß, wurde rasch eine überzeugte Amerikanerin und nahm den englischen Vornamen Marjorie an. Als Literaturwissenschafterin genießt sie hohes Ansehen. Sie ist nicht etwa eine Expertin für Austriaca, sondern hat länderübergreifende Aspekte der internationalen Moderne untersucht, unter anderem das Phänomen der Vielsprachigkeit in der zeitgenössischen Lyrik. Seit 1953 war sie mit dem Mediziner Joseph K. Perloff verheiratet, der 2014 verstorben ist. Seinem Andenken hat die Autorin ihr neuestes Buch gewidmet, in dem sie sich mit ihrer österreichischen Herkunftskultur beschäftigt.
Wie es bei dem Thema naheliegt, steht am Anfang ihrer Darstellung eine persönliche Reminiszenz: "Für jedes kleine Kind, auch für ein jüdisches wie mich, das zwischen den beiden Weltkriegen in der unruhigen kleinen Republik Österreich aufwuchs, gab es nichts Aufregenderes als Geschichten über die Habsburger Kaiser..." Allerdings hält sich Perloff mit der Habsburg-Nostalgie so wenig auf wie mit privaten Erinnerungen. Im Unterschied zu Claudio Magris, der das wirksame Schlagwort vom "habsburgischen Mythos in der österreichischen Literatur" geprägt hat, sieht Perloff das entscheidende historische Ereignis nicht in der müd-milden Langzeitregierung des Kaisers Franz Joseph, sondern im Schock des Jahres 1918: "Es geschah wie über Nacht: Millionen Untertanen des Reichs erwachten - falls sie den Krieg überlebt hatten - als Bürger von neugegründeten Nationalstaaten."