Wiener Zeitung: Herr Professor Pfaller, was bringen Sie als Philosoph den Studenten einer Kunstuniversität bei?
Robert Pfaller: Ich glaube, die vornehmste Aufgabe der Philosophie an Kunstuniversitäten besteht darin, die Kunstschaffenden darauf aufmerksam zu machen, dass sie selbst in ihrer Kunst schon denken. Und dieses kunstimmanente Denken ist mindestens so innovativ wie jedes andere, das aus theoretischen Bereichen stammt. Es geht nicht darum, die Leute zu belehren oder von außen mit Philosophie zu infizieren - diesbezüglich habe ich es immer mit einem Philosophen wie Wittgenstein gehalten, der sagt: "Der Philosoph behandelt eine Frage wie eine Krankheit".
Grundsätzlich kann man sagen, dass überall, wo Kunst oder Wissen produziert wird, meistens spontan auch noch eine Philosophie entsteht, die zu benennen versucht, was das Neue und Aktuelle an der Kunst oder der wissenschaftlichen Leistung ist. Diese "spontane" Philosophie birgt aber immer die Gefahr in sich, dass sie verkennt, was tatsächlich geleistet wurde.
Woher kommt diese Gefahr?
Daher, dass Leute das, was sie produzieren, in einer Sprache zu kommentieren versuchen, die auf die Vorlieben des Zeitgeistes Rücksicht nimmt. Wenn man zum Beispiel die eigene Kunst als "interaktiv" beschreibt, weil die Interaktivität gerade einen Hype erlebt - dann verkennt man möglicherweise, dass es in der eigenen Kunst etwas ganz anderes, viel Entscheidenderes und Originelleres gibt als die interaktive Dimension. Die Theorie, die man als Etikettierung gebraucht, erzeugt oft eine Blendung. Wenn die spontane Philosophie der Kunstschaffenden eine solche Verkennung der künstlerischen Leistung mit sich bringt, dann hat die Philosophie die Aufgabe, so eine Verkennung aufzuheben. Sie muss diese "Kommentar-Philosophie" kritisieren und überprüfen, ob nicht vielleicht eine viel bessere Theorie oder Philosophie in der jeweiligen künstlerischen Arbeit enthalten ist.
Klingt kompliziert. Haben Künstler in der Regel überhaupt ein Theoriebedürfnis?
Eine Kunstuniversität hat immer mehrere gegenläufige Aufgaben: Man muss einerseits die Verkrampften lockern und andererseits die Zerfahrenen strukturieren. So komplex ist es auch in Bezug auf die Theorie: Es gibt einerseits Studierende mit starkem Theoriebedürfnis, die sich mitunter von der Philosophie sogar zu viel erwarten - nämlich Defizite zu beheben, die aus der künstlerischen Arbeit stammen. Deren Erwartungen an die Philosophie muss man eher senken bzw. die Energien dorthin richten, wo sie tatsächlich hingehören. Andererseits gibt es mitunter sehr philosophieresistente Künstler, sogenannte Bauchkünstler. Bei ihnen braucht man etwas Geduld. Da der "Bauch" aber ja nur eine Metapher ist, ist es nicht ausgeschlossen, dass er eines Tages auch zu denken beginnt!
Wie sieht es bei jenen Studenten aus, die kein Gymnasium absolviert, sondern eine sogenannte "Zulassungsprüfung zur Feststellung der besonderen Begabung" gemacht haben?
Da gibt es oft Leute mit großer Begabung, die massive Vorbehalte gegenüber der Philosophie hegen. Sie haben noch nie die Erfahrung gemacht, dass das Lesen eines Textes interessant sein kann, und man damit auch kritische Waffen in die Hand bekommt. Sie haben die Schule nur solange besucht, als man Texte auswendig gelernt hat und nachsagen musste, und haben sich zu Recht dagegen zu sträuben gelernt. Des Öfteren habe ich erlebt, dass gerade solche Menschen eine starke Liebe zur Philosophie entwickelt haben, weil sie bemerkten, dass diese sie lehrt, mittels Argumenten ihre wichtigsten rebellischen Absichten zu präzisieren und zu verfechten.
Und wie unterstützen Sie jene, die ein Bedürfnis nach Philosophie entwickeln?
Viele meiner Kollegen an internationalen Kunstunis geben vor allem Überblicksvorlesungen und machen dann eine Stunde Foucault, eine Stunde Derrida etc. So etwas ist dann nützlich, wenn man meint, dass es in der Philosophie in erster Linie auf das Wissen ankommt. Ich habe einen anderen Zugang. Ich glaube, dass es in erster Linie auf das Tun ankommt und dass junge Leute, wie bei einem Handwerk, zunächst lernen müssen, etwas zu tun. Autos zu reparieren lernt man am besten an einem alten VW-Motor, der nicht allzu kompliziert ist. Man baut einen Teil aus und schaut, was dann nicht mehr funktioniert. Spätestens dann weiß man, wozu der Teil gut war.
Dementsprechend verwende ich gern kurze, ältere Texte, von den französischen Moralisten etwa, oder von Epikur, die auf den ersten Blick nichts mit Kunst zu tun haben. Wenn ein solcher Text durch Basteln ein wenig handhabbar geworden ist, kann man beginnen, den Einfallsreichtum der Studenten anzustacheln. Ich versuche sie dann zur Überlegung anzuregen, was man diesem Text, der überhaupt nicht von Kunst handelt, in Bezug auf Fragen der Gegenwartskunst abgewinnen könnte. Ich möchte die Leute in die Lage versetzen, dass sie sich auf diese Weise ohne allzu großen Aufwand philosophische Texte selbst verständlich machen und zur Klärung ihrer eigenen Fragen einsetzen können. Wichtig ist dazu vor allem, Texte "missbrauchen" zu lernen. Man muss die Philosophie für Fragen einsetzen können, für die sie gar nicht gedacht war.
