Die Abteilung für Philosophie der Universität für Angewandte Kunst, wo Robert Pfaller als Professor lehrt, liegt zwischen zwei Kirchen, zwischen St. Maria und St. Barbara, gleich an der Ecke zur Predigergasse, gleich hinter dem Konvikt der Dominikaner. Und gerade aus diesem ehrwürdigen Viertel der Wiener Innenstadt, in dem man von Heiligkeit fast überwältigt wird, kommt zu Beginn eines neuen Jahrhunderts das leidenschaftliche Plädoyer für die lebensfrohe Tradition des Materialismus, das Robert Pfaller in dem Buch "Wofür es sich zu leben lohnt" formuliert hat.
Zu diesem Rahmen passt es auch, wenn er sagt, dass es "das Rebellische" ist, was er in der Philosophie liebt, zum Beispiel Wittgenstein, der gleich die Philosophie abschaffen wollte, oder den Stoiker Epiktet, einen freigelassenen Sklaven, der vor 2000 Jahren seine Zeitgenossen mit drastischen Geschichten aufrütteln und von Einbildungen, die sie am guten Leben hindern, befreien wollte. "Eine Grundaufgabe der Philosophen", sagt Pfaller, "besteht darin, angesichts der Gegenwart zu erstaunen." Vielleicht rührt dieser Drang, zur Auseinandersetzung mit der prallen Welt außerhalb der akademischen Sphären, auch daher, dass er sich zu Beginn seiner Studienzeit gar nicht so sehr zur Philosophie hingezogen fühlte, sondern mehr zu den Künsten und die spröderen Reize der Philosophie erst im Laufe seines Studiums entdeckte, an das sich dann Anstellungen in Linz und in Chicago schlossen, ehe er an die Universität für Angewandte Kunst berufen wurde.
Auf jeden Fall hat das Erstaunen zu der Diagnose geführt, die Pfaller dem aktuellen Lebensstil der Industrienationen stellt. Hinter dem oft beschworenen Selbstverständnis als "Spaßgesellschaft" entdeckt er etwas ganz anderes, nämlich "dass die reichsten Bevölkerungen der Welt es verlernt haben, sich die Frage zu stellen, wofür es sich zu leben lohnt". Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe sich die Wende zu einer "Kultur der Ängstlichkeit, Hemmungen, Ekelgefühle und Verbote" vollzogen, eine Neigung zu asketischen Idealen, die die elementare Fähigkeit beeinträchtigen, das Leben zu genießen. Es handle sich um einen "Beleuchtungswechsel" in der Kultur, der bei unveränderter Bühne deren Bild verändert: "Objekte und Praktiken wie Alkoholtrinken, Rauchen, Fleisch essen, schwarzer Humor, Sexualität, die bis dahin glamourös, elegant und großartig lustvoll erschienen, werden seither plötzlich als eklig, gefährlich oder politisch fragwürdig wahrgenommen."
Die einschneidende Veränderung im Lebensstil, die dieser Beleuchtungswechsel markiert, hat auch verschiedene Symptome hervorgebracht, zum Beispiel die nostalgische Sehnsucht nach der Zeit vor dem Wechsel, nach den 60er Jahren, wie sie sich in vielen Modeerscheinungen beobachten lässt, am besten in der Autoindustrie, die plötzlich Remakes alter Modelle auf den Markt bringt. "Zwischen 1960 und 1975", sagt Pfaller, "hätte doch niemand daran gedacht, alte Automodelle nachzubauen."
In der Zeit des Neoliberalismus, so kann man bei Pfaller lernen, ist weithin die heidnische Freude am Leben verloren gegangen, "eine Auffassung der Welt, die lehrt, diese Welt als großartig zu begreifen und sie dankbar als das Beste zu schätzen, was wir haben". Verdrängt wurde sie, wie auch in anderen Phasen der europäischen Geschichte, von einer "weltabgewandten, metaphysischen Auffassung", der ähnlich wie den frühen Christen in vortrefflicher politischer Korrektheit die irdischen Genüsse minderwertig erscheinen. In dem Buch "Wofür es sich zu leben lohnt" setzt sich Pfaller in vielen Details mit den modernen Erscheinungsformen der Weltabgewandtheit auseinander, von allgegenwärtigen Rauchverboten bis zum Verschwinden der großen erotischen Leidenschaft aus der Welt des Kinos und dem Erscheinen der Sexualität als bizarrer Entgleisung in Privatpornos im Internet.
Das Ungute
Dass Robert Pfaller in seinen Texten immer wieder auf das Kino zu sprechen kommt, hängt mit den Rollenbildern zusammen, die das Kino der Gesellschaft übermittelt. Denn das Genießen, so lernen wir weiter, braucht die Spannung, die zwischen der privaten Person, die genießt, und der öffentlichen Rolle entsteht. "Während es in den 60er und 70er Jahren noch breiten Teilen der Bevölkerung möglich war, sich im erotischen Verhalten an Loren, Mastroianni, Dunaway, McQueen, Schneider, Piccoli und anderen wenigstens perspektivisch zu orientieren, bleibt den Bewohnerinnen und Bewohnern der postmodernen, postsexuellen Welt diesbezüglich wenig übrig."
Eine elementare Schwierigkeit beim Genießen besteht nämlich darin, dass jede Lust etwas Zwiespältiges in sich trägt, "das Ungute", wie es bei Pfaller heißt. So steht dem Genuss, der mit Alkohol verbunden sein kann, das Wissen um seine Nebenwirkungen entgegen. So haftet dem ersten Kuss im Jugendalter auch ein Moment des Ekels an. Deswegen, so lernen wir, gehört zum Genießen eine Rolle, die gesellschaftlich vorgegeben ist, ein kultureller Auftrag, eine Rolle, die sich von der privaten Person unterscheidet. "Wenn zum Beispiel", sagt Pfaller und schenkt Kaffee ein, der neben kleinen Schokoladestücken auf dem Besprechungstisch bereit steht, "ein Kollege im Büro Geburtstag hat und mit Sekt auf diesen Geburtstag angestoßen werden muss. Dann ist das kultureller Auftrag, der erst den Genuss möglich macht. Jemand, der einfach seinen Sekt ins Büro mitbringt und dort konsumiert, wäre ein abstoßender Alkoholiker."