Maximal vier weitere Personen sind bei den Ostergottesdiensten des Wiener Erzbischofs im Stephansdom (live im ORF) mit dabei. Im Interview (das aufgrund der Corona-Krise via E-Mail geführt wurde) erzählt Kardinal Christoph Schönborn, wie es ihm in dieser Ausnahmesituation geht, warum er sich keine Sorgen um den Zusammenhalt in der Katholischen Kirche macht und wo er in der Krise jeweils die Grenzen von Theologie und Naturwissenschaft verortet.

"Wiener Zeitung": Herr Kardinal, wie fühlt es sich an, fast ganz alleine im menschenleeren Stephansdom zu zelebrieren?

Christoph Schönborn: Das ist eine neue Erfahrung. Ich vergegenwärtige mir aber die vielen tausenden Menschen, die vor den Fernsehapparaten mitfeiern - und den ganzen Himmel, der, wie wir ja glauben, jede Messfeier von drüben mitfeiert. Dann ist der Dom für mich gesteckt voll. Vielleicht ist ja eine der guten Wirkungen der Krise, dass wir wieder mehr wahrnehmen und würdigen, was wir haben, und weniger jammern über das, was fehlt.

 Sie gehören selbst zu einer Corona-Risikogruppe. Kann man sich als Hirte, zudem als Vorsitzender der Bischofskonferenz, überhaupt isolieren?

Ich habe physischen Kontakt nur noch mit meinen engsten Mitarbeitern. Aber nicht nur, weil ich einer Risikogruppe angehöre, sondern weil wir alle zum Social Distancing aufgerufen sind, um Leben zu retten. Isoliert bin ich dank den modernen Technologien nicht. Ich bin mehr am Telefon als je zuvor.

Haben Sie sich für die heurige Fastenzeit ein Fastenopfer auferlegt?

Niemand hat sich so eine Fastenzeit ausgesucht, wie wir sie jetzt erleben. Sie ist in sich schon Opfer - und für manche ein sehr schweres.

Der Stephansdom ist leer - doch die Bänke sind trotzdem voll. Mehr als 600 Fotos haben Gläubige in der Karwoche via Internet hochgeladen oder gemailt, die dann ausgedruckt wurden. - © www.netzwerk-gottesdienst.at/Otmar Spanner
Der Stephansdom ist leer - doch die Bänke sind trotzdem voll. Mehr als 600 Fotos haben Gläubige in der Karwoche via Internet hochgeladen oder gemailt, die dann ausgedruckt wurden. - © www.netzwerk-gottesdienst.at/Otmar Spanner

Ein Blick auf die Altersstruktur der Gottesdienstbesucher zeigt, dass üblicherweise sehr viele alte Menschen in die Kirche gehen. Eine Gruppe, die jetzt nicht nur massiv gefährdet ist, sondern auch oft keinen Zugang zum Internet hat. Denen helfen also auch keine Streaming-Angebote. Was kann die Kirche in Zeiten der Isolation tun, damit sie nicht übrig bleiben, sich womöglich enttäuscht abwenden?

Der vorübergehende Wegfall der sonntäglichen Feiergemeinschaft ist tatsächlich für viele ein Schlag. Ich höre aber mit großer Freude, dass in den meisten unserer Pfarren die Seelsorger und viele Gemeindemitglieder über Telefon, Aushang, den Schriftenstand in der Kirche - und erstaunlich oft auch über das Internet - mit den älteren und vor allem den einsamen Menschen Kontakt halten. Dazu gibt es auch viele Zeichen der Verbundenheit, die wir jetzt erst wieder richtig schätzen lernen: vom Glockenläuten zu den Feierstunden über die Kerzen im Fenster der Häuser, in denen die Menschen gerade beten, bis hin zum reichhaltigen Angebot des ORF und anderer Sender. Sie übertragen ja jetzt viel mehr Gottesdienste als sonst. Viele Pfarren - konkret wissen wir es von mehr als hundert in unserer Diözese - leisten für gefährdete Menschen auch Alltagshilfe wie Einkaufen oder den Gang zur Apotheke. Und unsere Telefonseelsorge arbeitet derzeit mit doppelter Besetzung, die Krankenhausseelsorge macht Überstunden. Da gibt es so viele Dienste, die getan werden . . .

Ostern sagt uns, dass der Tod nicht das letzte Wort hat. Verliert die Kirche nicht gerade ihre Kernbotschaft, mit Blick auf die vielen Sterbenden auch bei uns in Österreich?

Im Gegenteil. Jetzt wird die Tatsache, dass wir alle einmal sterben werden, für viele wieder greifbarer, wirklicher. Umso erlösender ist die Botschaft, dass der Tod uns nicht ins Nichts fallen lässt, sondern in unser eigentliches Zuhause bei Gott führt. Sehr traurig ist allerdings, dass die Quarantänemaßnahmen dazu führen, dass nicht mehr in allen Fällen die Sterbenden seelischen Beistand erhalten und ihre Angehörigen in ihren letzten Stunden bei ihnen sein können. Das ist für die Betroffenen oft ein großer Schmerz - eben weil der Halt und der Trost des Glaubens ihnen nach wie vor so viel bedeuten.

Was bedeutet die Corona-Krise für die Katholische Kirche, für die Religionsgemeinschaften insgesamt? Auch das Leben in den Pfarren ist ja mehr oder weniger zum Stillstand gekommen, Sakramente müssen verschoben werden. Wird da gerade sehr viel kaputt? Verlieren die Menschen ihren Glauben?

Umfragen zeigen uns, dass gläubige Menschen jetzt eher im Glauben wachsen, mehr beten, Zuversicht aus ihrer Religion schöpfen. Natürlich sind viele Menschen traurig, dass ihnen das Mitfeiern der Eucharistie in der Kirche, die schöne Hochzeit, der Trost einer großen Begräbnisfeier jetzt nicht möglich sind. Aber aus vielen Reaktionen höre ich, dass das die Vorfreude stärkt auf die Zeit, in der das alles wieder möglich sein wird. Ich sehe unsere Zeit als eine besondere Fastenzeit: Wir haben die Chance, unsere Freude an den guten und schönen Dingen durch die Entbehrung ganz neu zu entdecken. Ich kann nur ermutigen: Probieren wir doch einfach wieder ein Tischgebet oder ein gemeinsames Vaterunser im Kreis der Familie!

Tatsächlich legen viele Pfarrgemeinden jetzt eine gewisse Kreativität an den Tag, etwa mit YouTube-Osternachtfeiern oder Online-Gebetstreffen. Haben Sie die Hoffnung, dass die Kirche jetzt Jungvolk dazugewinnen kann durch die Onlinisierung des Glaubenslebens?

Die Onlinisierung hat ja schon längst die Alten erreicht. Worauf die Jungen sehr genau schauen, sind Authentizität und Lebensrelevanz. Ein Gottesdienst oder Impuls im Internet kann natürlich die Schwellenangst senken und Interesse wecken. Aber nicht der Übertragungsweg, sondern der Inhalt und die Glaubwürdigkeit der Protagonisten sind entscheidend: Glauben wir, was wir sagen? Sind wir der Liebe Gottes begegnet - oder haben wir sie nur studiert? Und macht der Glauben in unserem Leben wirklich einen Unterschied? Bin ich erlöster, befreiter, liebevoller?

Die Kirche trägt die Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Coronavirus-Pandemie mit, etwa das Versammlungsverbot. Sind Sie insgesamt zufrieden mit dem Krisenmanagement? Gerade die sozial schwächsten Gruppen trifft diese Krise ja jetzt am härtesten.

Ich habe den Eindruck, dass die Regierung mit großem Verantwortungsbewusstsein agiert. Mir scheint, sie macht ihre Sache auch ohne Zuruf der Kirche gut. Natürlich ist es mir ganz wichtig, dass neben den großen Opfern, die die gesamte Bevölkerung für die Menschen der Corona-Risikogruppen bringt, nicht auf diejenigen vergessen wird, die anderen Risiken ausgesetzt sind. Das beginnt bei den vielen Menschen, die ihre Arbeit oder ihre Geschäftsgrundlage verloren haben. Aber auch das Leid der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln und an der türkischen Grenze geht weiter und ruft uns zu noch größeren Anstrengungen auf.

Sie haben jüngst in Ihrer "Heute"-Kolumne geschrieben, dass das Virus "nicht eine Strafe Gottes ist", aber dass Gott "durch Krisen bei uns anklopft". Sehen Sie hier einen Widerstreit zwischen Religion und Naturwissenschaft im Umgang mit dem Virus?

Überhaupt nicht. Seuchen haben einen natürlichen Ursprung und müssen mit medizinischem Sachverstand bekämpft werden. Da kann die Theologie nicht mitreden, höchstens über den Umweg der Ethik. Was anderes ist aber die Frage, ob Gott uns durch die Natur etwas sagen will. Da hat die Naturwissenschaft keine Expertise. Ich kann mir Gott nicht so vorstellen, dass er Corona als Strafe schickt. Aber dass er in der Krise bei uns anklopft und uns zum Nachdenken einlädt, daran glaube ich.

Hat er auch schon bei Ihnen persönlich angeklopft? Gibt es etwas Konkretes, das Sie für sich - oder auch für die Katholische Kirche insgesamt - aus dieser Krise mitnehmen können?

Ich stelle mir - wie wir alle - die Frage, wie es weitergehen wird, mit der Wirtschaft, mit den vielen Arbeitslosen, der Spannung in vielen Familien . . . Ich gehe durchaus auch durch Momente der Niedergeschlagenheit, der Sorge und auch der Angst. Aber dann hilft mir doch mein Glaube, darauf zu vertrauen, dass es zwar nicht einfach sein wird, aber dass es doch gut werden wird. Gott lässt uns nicht im Stich.

Welche Osterbotschaft geben Sie den fünf Millionen Katholiken Österreichs mit auf den Weg durch diese Krise?

Das bekannteste Symbol des christlichen Glaubens ist das Kreuz. Die Corona-Krise ist für viele Menschen eine Erfahrung des Kreuzes. Im Blick auf das Kreuz weiß ich aber, dass Gott mich im Leid nicht alleine lässt. Christus ist bei uns und teilt unser Leid. Und auf das Kreuz folgt die Auferstehung. Diese frohe Gewissheit haben wir schon in diesem Leben - und über den Tod hinaus.